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Beitrag vom 05.04.2013
Valeria Luiselli - Die Schwerelosen
Julia Lorenz
Nichts als Gespenster: Mit Transzendenz und Magischem Realismus eroberten lateinamerikanische LiteratInnen schon einmal die Feuilletons und LeserInnen. Die neue Generation öffnet erneut die...
...Pforten zum Geisterhaus, verabschiedet sich jedoch von der exotischen Opulenz ihrer namhaften VorgängerInnen.
"Mitohnegesicht" treibt sein Unwesen im Haus, und das nicht nur nachts: Er wirft Bücherstapel um, öffnet Türen und schließt sie wieder, da ist sich der "Mittlere" sicher. Doch ein Hausgespenst hat auch seine positiven Seiten: "Manchmal wiegt Mitohnegesicht die Kleine, während ich schreibe" erzählt die junge Protagonistin. Mit ihrem Mann, ihrer Tochter und dem "Mittleren" der eigentlich das älteste Kind ist, aber noch nicht "der Große" sein möchte, lebt sie in einem geisterhaft-einsamen Haus in Mexiko City. Sie schreibt an einem Roman, ihr Mann an einem Drehbuch. In der Abgeschiedenheit erinnert sie sich an ihre Jugend in New York, ihre Arbeit als Lektorin, an Bekannte, die zu FreundInnen oder Liebhabern wurden, an eigenwillige Nachbarn - und schließlich an Gilberto Owen.
Der mexikanische Schriftsteller, ein Freund Federico GarcÃa Lorcas, zieht die junge Frau seit ihrer ersten Begegnung mit seiner Poesie in den Bann. Fieberhaft hatte sie versucht, ihren Verleger in New York zur Publikation seiner Werke zu bewegen, immer wieder war er ihr erschienen: Owen, der bereits zu Lebzeiten versuchte, sich in die Schwerelosigkeit zu verabschieden. Der Dichter besetzt ihr Denken, seine gespenstische Präsenz verfolgt sie bis in ihre neue Heimat - bis schließlich eine neue Erzählstimme Besitz von ihrem Roman ergreift.
Valeria Luiselli weiß um die Anziehungskraft des Unausgesprochenen. "I don´t believe in the ´grand finale´. I hate Wagner", entgegnete sie einer Journalistin des britischen Guardian auf die Frage, ob am Ende ihres Romans "Die Schwerelosen" eine allumfassende Aussage oder konkrete Schlussfolgerung stehe. Den Weg aus dem Dickicht der kunstvoll verwobenen Erzählstränge sollte wohl jede/r selbst erforschen - denn die Grenzen zwischen historischen Fakten und Imagination sind fließend in Valeria Luisellis literarischer Welt:
"Alles Fiktion, sage ich zu meinem Mann, aber er glaubt mir nicht. Wolltest du nicht einen Roman über Owen schreiben? Ja, sage ich, das ist ein Buch über das Gespenst Gilberto Owen", erklärt die Protagonistin.
Mit den Ahnen- und Spukhaus-Epen der AutorInnen des Booms der lateinamerikanischen Literatur wie Gabriel GarcÃa Márquez und Isabel Allende hat der Roman nicht viel gemein: Luiselli gelingt das Kunststück, Ãœbernatürlichkeit mit ihrer substanziellen Sprache zu fusionieren. Die mexikanische Autorin unterzieht die überbordende, opulente Rhetorik ihrer literarischen VorfahrInnen einer radikalen Verjüngungskur: Nicht minder bildgewaltig, dabei aber lakonischer, schräger und subtiler kreiert sie einen ureigenen Sound, der ebenso leicht - gar schwerelos? - wie intensiv daherkommt und lange nachhallt.
AVIVA-Tipp: Valeria Luiselli erzählt nicht. Sie flüstert, schleicht auf Zehenspitzen durch ihren Roman, tupft mit unprätentiöser Eleganz bestechend schöne Sätze aufs Papier und verschwindet, um die Szene schließlich polternd durch die Hintertür zu betreten. Unangestrengt beherrscht die junge Autorin den Spagat zwischen erzählerischer Genauigkeit und dem Spiel mit Assoziationen und Andeutungen, die sich mal materialisieren, mal ins Leere laufen. Ebenso mühelos jongliert Luiselli mit literarischen Referenzen und fügt diese geschmeidig ins Gesamtkonzept ein, ohne dabei den schalen Nachgeschmack von pseudo-intellektuellem Namedropping zu hinterlassen.
"Die Schwerelosen" ist ein kleines Kunstwerk, das sein Leben neben seiner Verfasserin auch Dagmar Ploetz verdankt, der es gelang, Atmosphäre und Tonfall des spanischen Originals in die harte deutsche Sprachrealität zu retten.
Zur Autorin: Valeria Luiselli wurde 1983 in Mexiko City geboren und schreibt für Magazine und Zeitungen wie die New York Times und Letras Libres. Darüber hinaus verfasste sie bereits Beiträge für das New York City Ballet Libretti und den hochgelobten Essay-Band "Papeles falsos". Valerie Luiselli arbeitet als Lektorin, Journalistin und Dozentin und lebt in New York und Mexiko City.
Valeria Luiselli
Die Schwerelosen
Originaltitel: Los Ingrávidos, erschienen 2011 bei Editorial Sexto Pisto, Mexiko
Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz
Verlag Antje Kunstmann, München, erschienen im März 2013
190 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
16,95 Euro
ISBN 978-3-88897-819-7
www.kunstmann.de
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