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Beitrag vom 26.04.2013
Birgit Haustedt - Die wilden Jahre in Berlin. Eine Klatsch- und Kulturgeschichte der Frauen
Julia Lorenz
Salonnières, Rennfahrerinnen, Künstlerinnen und Provokateurinnen aus Überzeugung prägten die weibliche Topografie Berlins in den 1920er Jahren. Valeska Gert, Vicki Baum, Dora Benjamin und andere...
...Freigeister dekonstruierten gängige Frauenbilder - bis der Nationalsozialismus sie von der Bühne verbannte.
Siegfried Kracauers "Kleine Ladenmädchen" gingen ins Kino, Irmgard Keuns "Kunstseidenes Mädchen" zog mit einem gestohlenen Pelz in die große Stadt, um "ein Glanz" zu werden, und wer als Dame von Welt etwas auf sich hielt, ließ sich die Haare zum Bubikopf schneiden und flanierte durch die frischgebackene Weltmetropole: Während Frauen in der Nachkriegszeit lieber als treusorgende Gattinnen hinterm Herd statt rauchend im Kaffeehaus gesehen wurden, standen die Roaring Twenties ganz im Zeichen der weiblichen Emanzipation - und zwar nicht nur vom anderen Geschlecht, sondern vor allem vom Moraldiktat.
Autorin Birgit Haustedt begibt sich auf Spurensuche in den Tanzlokalen und Cafés, Literatursalons und Straßen Berlins und wirft Schlaglichter auf die mal erstaunlichen, mal tragischen Werdegänge der Grandes Dames der Dekade. Neben Marlene Dietrich und Claire Waldoff, den Ikonen Berlins lesbischer Subkultur, werden auch vergessene Frauenbiografien beleuchtet - so beispielsweise die der Betty Stern: Obwohl die "letzte große jüdische Salonnière" Berühmtheiten wie Erich Maria Remarque und Elisabeth Bergner bei ihren Soireen willkommen heißen durfte und mit einer hilfreichen Portion Vitamin B so manches Sternchen zum Star machte, findet sie heute kaum noch Erwähnung.
Anders als Else Lasker-Schüler: Die "Königin der Cafés" und stilbildende Avantgardistin dachte das Prinzip weiblicher Eigenständigkeit radikal zu Ende und lebte seit der Jahrhundertwende auf Parkbänken, in Pensionszimmern und Kaffeehäusern. Für das oberflächliche Treiben der jungen und forschen "Girls", die in den 1920ern die Etablissements Berlins frequentierten, tagelang mit perfekt frisierter Wasserwelle an Cafétischen ausharrten und hofften, endlich entdeckt zu werden, hatte die Künstlerin nicht viel übrig.
Bei aller Liebe zu Klatsch- und Skandalgeschichten zeigt Birgit Haustedt, dass sich Frauen auch im freigeistigen Berlin der 1920er Zwängen und Anforderungen unterworfen sahen, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben: So musste Vicki Baum, Autorin des Romans "Menschen im Hotel", erst ihren Look ändern, um als Aushängeschild des Ullstein-Verlags und dem von ihm propagierten Ideals der "Neuen Frau" akzeptiert zu werden. Auch Häme blieb den kühnen Vorreiterinnen nicht erspart: Während Bertolt Brecht Frauen mit sportlichen Interessen ihre erotische Anziehungskraft absprach, verinnerlichte gar Erika Mann die Geringschätzung weiblicher journalistischer Arbeit seitens Kollegen wie Joseph Roth derart, dass sie über schreibende Frauen konstatierte: "Fast ist es, als übersetze sie: das Leben in die Literatur, in keine ungemein hohe Literatur, aber doch in eine brauchbare, oftmals liebenswerte."
Dabei war es ausgerechnet Erika, Enfant terrible der LiteratInnenfamilie und leidenschaftliche Rallye-Fahrerin, die nach der Etablierung der NS-Diktatur mit ihrem Kabarett "Die Pfeffermühle" gegen das Regime anspielte. Viele Vertreterinnen der neuen, unkonventionellen Frauengeneration emigrierten, andere - wie Leni Riefenstahl oder die Tänzerin Mary Wigmann - ließen sich von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke einspannen.
Doch nicht alle konnten nach der harschen Zäsur durch Hitlers Machtübernahme in Nazideutschland oder im Exil an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Während Marlene Dietrich als Schauspielerin und Erika Mann als Vortragsreisende in den USA große Erfolge feierten, sanken viele Sterne des avantgardistischen Berlins - was auch die Autorin nicht verschweigt: "Als Klaus Mann, der Valeska Gert nach einem missglückten Tanzabend 1936 in New York in ihrer Garderobe besucht, zu ihr sagt: ´Früher fand ich Sie so toll, dass ich nachts von Ihnen träumte, das kann ich heute nicht mehr verstehen´, antwortet Valeska Gert: ´Früher gab es Hitler nicht´".
AVIVA-Tipp: Haustedts Ton trifft einen Nerv. Lässig und mit Chuzpe erzählt die promovierte Literaturwissenschaftlerin von mutigen Frauen, die Männerdomänen eroberten - und dabei auf Verehrung und Gegenwind stießen. Zugegeben: KennerInnen der Dekade dürften die gesammelte Klatsch- und Kulturgeschichte nicht allzu viel Neues bieten, sind schließlich mit Dietrich, Waldoff und Co. die "üblichen Verdächtigen" der "wilden Jahre in Berlin" vertreten. Dennoch liefert die 1999 erstmalig erschienene Publikation einen informativen und äußerst unterhaltsamen Einblick ins Berlin der Goldenen Zwanziger und macht in der Neuauflage auch optisch Lust auf Schmökern.
Zur Autorin: Birgit Haustedt arbeitete u.a. für GEO und Merian. Sie veröffentlichte literarische Reiseführer über Rom, Venedig und Florenz und lehrte an der Universität in Salerno. Sie lebt als freie Autorin in Hamburg.
Mehr Infos unter: www.birgithaustedt.de
Birgit Haustedt
Die wilden Jahre in Berlin. Eine Klatsch- und Kulturgeschichte der Frauen
Edition Ebersbach, Berlin, erschienen im März 2013, 1. überarbeitete und gekürzte Ausgabe als 50. Jubiläumsband der Reihe blue notes des erstmalig 1999 erschienenen Text/Bildbandes
144 Seiten, gebunden mit Leinen-Einband, zahlreiche Abbildungen
15,80 Euro
ISBN 9783869150673
www.edition-ebersbach.de
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