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Beitrag vom 04.10.2013
Peter Comans (Hg.) - Splitter von Licht und Nacht. Jiddische Gedichte
Judith Kessler
Anna Margolin, Kadja Molodowsky, Malka Heifetz Tussman und Rochl Korn sind jüdische Frauen, die aus der Tradition ausbrachen, die zu den Wegbereiterinnen einer neuen Frauenrolle zählten und die...
... dazu beitrugen, das männliche Monopol in den jiddischen LiteratInnenkreisen zu durchbrechen.
"Majn shtam redt" - Vier Jiddisch-Dichterinnen sind erstmals auf Deutsch erschienen.
Alle vier wurden Ende des 19. Jahrhunderts geboren, wuchsen in der reichen Kultur des jiddischen Osteuropa auf, erhielten eine für Mädchen ungewöhnlich gute Ausbildung, wanderten in die Neue Welt (in die USA beziehungsweise nach Kanada) aus, lebten zeitweise in Palästina/Israel und wurden durch die Schoa ihrer europäischen Wurzeln beraubt. Sie gelten im englischsprachigen Raum heute als die wichtigsten Vertreterinnen jiddischer Lyrik.
Trotz ihrer Gemeinsamkeiten – alle waren links orientiert, griffen soziale Themen auf, sahen sich zwar nicht als Feministinnen, wandten sich aber vehement gegen die Marginalisierung von Frauen – hatten sie eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt. Dem Übersetzer und Herausgeber Peter Comans, der auch Abraham Sutzkevers "Geh über Wörter wie über ein Minenfeld" übertragen hat, ist es gelungen, sie in seiner eben erschienenen Auswahl ihrer Gedichte, erstmals in deutscher Sprache (und transkribiert aus dem Jiddischen), in einen lebendigen Austausch treten zu lassen.
In den Gedichten der vier geht es um das Exil, die verlassene Heimat, oder auch um Rollenspiele, beziehungsweise deren Verweigerung, wie etwa im 1929, schon in New Yok geschriebenen Gedicht "Ich bin gewejn a mol a jingling" der in Weißrussland als Rosa Lebensbojm geborenen Anna Margolin (1887–1952).
Malka Heifetz Tussman (1896–1987), in eine chassidische Familie in der Westukraine geboren, ist wohl die poetischste der Vier. Natur und Liebe oder die unbeschwerte Kindheit auf dem Land spielen ein große Rolle. Noch mit 90 Jahren schreibt sie 1977 in Tel Aviv.
Einen großen Raum nimmt das Grauen der Schoa ein, das den Frauen ihre Ohnmacht deutlich werden lässt, das Ende aller Normalität und Orientierung. Rochl Korn (1898–1982), die ihre gesamte Familie in der Schoa verloren hatte, thematisiert in ihrem Nachkriegswerk vor allem die Trauer über den Verlust ihres Volkes und ihrer Lebenswelt.
AVIVA-Tipp: Die Schoa bedeutete auch das Ende der osteuropäisch-jüdischen Kultur. Fortan gab es kaum mehr VerfasserInnen oder LeserInnen jiddischer Poesie. Der Band "Splitter von Licht und Nacht" lässt die Dichterinnen und eine verlorene Welt wieder auferstehen.
Peter Comans (Hg.)
Splitter von Licht und Nacht. Jiddische Gedichte
Anna Margolin, Kadja Molodowsky, Malka Heifetz Tussman und Rochl Korn
Campus Judaica 2013
452 Seiten
34,90 Euro
www.campus.de