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Beitrag vom 08.11.2013
Laura von Wangenheim - In den Fängen der Geschichte. Inge von Wangenheim, Fotografien aus dem sowjetischen Exil 1933 - 1945
Bärbel Gerdes
Auf der Spurensuche nach ihrer Großmutter, der DDR-Schriftstellerin und Schauspielerin Inge von Wangenheim macht die Enkelin eine sensationelle Entdeckung: Hunderte Fotos aus deren Zeit in der UDSSR
Mein Leben lang versuchte ich eine Erklärung dafür zu finden, warum sie nicht meine Großmutter sein wollte.
Laura von Wangenheim, 1968 in Berlin geboren, Theatermalerin, Ausstatterin und Designerin, ist die Enkelin von Gustav und Inge von Wangenheim. 25 Jahre alt war sie, als ihre berühmte Großmutter, die linke Bestsellerautorin und Schauspielerin, starb, doch begegnet ist sie ihr nur wenige Male. Die Kommunikation beschränkte sich hauptsächlich auf mit Schreibmaschine geschrieben Briefen, die mit sozialistischen Grüßen endeten, und auch in der persönlichen Begegnung blieb Inge von Wangenheim für die Enkelin eine fremde, unnahbare Figur.
Während die Autorin ab den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bereits zur Machtelite der DDR gehörte und Orden und Preise einheimste, entschieden sich Laura von Wangenheim und ihre Mutter 1982 zur Ausreise aus der DDR – ein Schritt, der den Bruch mit der Großmutter besiegelte. Bis zu ihrem Lebensende im Jahre 1993 verweigerte sie den Kontakt zu ihren Kindern und Kindeskindern.
Laura von Wangenheim wusste nur wenig über das Leben ihrer Großmutter. Lediglich kleine flüchtige Fetzen der Familiengeschichte waren ihr bekannt: dass die Großeltern das nationalsozialistische Deutschland schon früh verlassen hatten, dass sie in die Sowjetunion emigrieren und 1941 kreuz und quer vor den Deutschen durch Zentralasien flüchten mussten. Was genau in diesen Jahren geschah, darüber verharrte Inge von Wangenheim in Schweigen, diesem dröhnenden Schweigen, das die Kindheit meiner Mutter und ihrer Kinder bestimmte.
2010 beginnt die Enkelin mit der Spurensuche. Ausgehend vom Nachlass ihres Großvaters, dem Regisseur und Drehbuchautor Gustav von Wangenheim im Archiv der Akademie der Künste in Berlin, forscht sie weiter und macht im persönlichen Nachlass ihrer Großmutter im Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt einen atemberaubenden Fund. In einem unscheinbaren Pappkarton findet sie Dutzende unentwickelter, ordentlich beschrifteter Filmrollen.
Sie zeigen auf 1050 Fotos den Alltag in Moskau und auf der privaten Datscha der von Wangenheims in den dreißiger und vierziger Jahren. Leute vom Land, die Gemeinschaftswohnung, Gartenszenen in Bolschewo, Fotos des Ehepaares, vor allem aber auch Bilder von Moskau, die es in seinem Aufbruch zeigen. Die beiden Jahrzehnte sind in die Geschichte der Sowjetunion als Zeiten des Großen Terrors eingegangen. Die Stalinistischen Säuberungen begannen, zeitgleich explodierte die Stadt. Während Hunger und Armut das Land in die Knie zwangen, veränderte sich das Moskauer Stadtbild radikal. Die Metro wurde gebaut, Prachtboulevards entstanden, die Industrialisierung wurde vorangetrieben, der gesamte Innenstadtbereich [wurde] in atemberaubend kurzer Zeit umgepflügt.
1933 bereits hatte Gustav von Wangenheim eine Einladung erhalten, in Moskau ein deutsches Theater für emigrierte KünstlerInnen zu gründen. 1934 sollte er an der Realisierung des Films Kämpfer mitwirken, ein heroisierendes Werk, das den Widerstand der ArbeiterInnen gegen den Faschismus darstellt. Doch als Mitte der dreißiger Jahre Stalins Schwerpunkte auf die Errichtung der Schwerindustrie und die Kollektivierung der Landwirtschaft wechselten, änderte sich auch das kulturelle und politische Leben. Die flüchtende Landbevölkerung prallte auf ausländische Intellektuelle, die schnell zu Volksfeinden und Schädlingen mutierten.
1936 stellten die Wangenheims einen Ausreiseantrag, dem nicht stattgegeben wurde. Sie zogen sich auf ihre Datscha zurück, bis sie 1941 aufgrund des Einmarsches der Deutschen in die Sowjetunion nach Zentralasien evakuiert wurden. 1945 kehrten sie nach Deutschland zurück.
Inge von Wangenheim sprach Zeit ihres Lebens nicht über diese Jahre. … man bläst nicht in einen Daunenhaufen, um zu einer einzigen Daune zu gelangen. … Ich empfehle also, nicht daran zu rühren, schrieb sie dem Exilforscher Peter Diezel.
Laura von Wangenheim vermutet, dass sie befürchtete, dass mit der Auseinandersetzung ihrer eigenen Geschichte ihr politisches Weltbild in sich zusammenbrechen würde.
Der Bildband hätte ein großartiger Auftakt zu einer Biographie über Inge von Wangenheim werden können. Leider wird diese Chance vertan. Nur fragmentarisch beleuchtet die Enkelin das Leben ihrer Großmutter, wobei ihre Verletzungen aufgrund deren Ablehnung zwischen den Zeilen hervortreten. Gerne hätten wir mehr erfahren über die Frau, die als Schauspielerin begann, eine stramme Genossin wurde, sich in den vierziger Jahren dem Schreiben zuwandte und in den sechziger Jahren ihren Mann verließ, um mit seiner Sekretärin eine Lebenspartnerschaft einzugehen.
So jedoch hinterlässt uns das Buch mit dem Gefühl, dass noch allzu viel unterbelichtet blieb.
AVIVA-Tipp: Der sensationelle Fotofund mit Alltagsszenen aus der Zeit des Moskauer Exils von Inge und Gustav Wangenheim könnte Auftakt zu einer Biographie über die Schriftstellerin und Schauspielerin sein.
Zur Autorin: Laura von Wangenheim, geboren 1968 in Berlin, ist Theatermalerin und Ausstatterin. Sie arbeitet als Grafikdesignerin in Berlin.
Inge von Wangenheim (1912-1993) absolvierte in Berlin eine Schauspielausbildung und spielte kleinere Rollen an unterschiedlichen Theatern. 1931 trat sie mit ihrem Mann, dem Regisseur Gustav von Wangenheim, der KPD bei. 1933 Emigration in die Sowjetunion, 1941 Evakuierung nach Kasan und Taschkent. 1945 kehrte sie nach Deutschland zurück und begann zu schreiben, 1946 wurde sie Mitglied der SED. Ihr umfangreiches literarisches Werk umfasste u.a. Romane und Memoiren, in denen sie die Schattenseiten ihres Exils stets verschwieg. Inge von Wangenheim wurde mit zahlreichen Preisen und Medaillen der DDR geehrt. Sie starb 1993 in Weimar.
Laura von Wangenheim
In den Fängen der Geschichte. Inge von Wangenheim. Fotografien aus dem sowjetischen Exil 1933-1945
Rotbuch-Verlag, erschienen 2013
111 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-86789-190-5
25,00 Euro
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