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Beitrag vom 27.01.2014
Juden in Sachsen – herausgegeben von Gunda Ulbricht und Olaf Glöckner
Karmela Neiburger
Konzipiert als Sonderausgabe für die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Dresden/Leipzig 2013 erschien diese Sammlung von acht Essays in einer Publikation von HATiKVA e.V. Dresden...
... und dem Moses Mendelssohn Zentrum Potsdam. Den sieben HistorikerInnen ist es in ihren Essays gelungen, die Geschichte des jüdischen Volkes in Sachsen vom Mittelalter bis zum Wiederaufbau der Gemeinde nach der Wende zusammen zu tragen.
Anfänge jüdischen Lebens in Sachsen im Mittelalter (von Christiane Donath)
Juden in Deutschland haben eine lange und wechselvolle Geschichte. Anhand von archäologischen Überresten, einigen christlichen Quellen und Werken der jüdischen Gelehrten können wir heute einen Einblick in die ersten jüdischen Ansiedlungen schon im 11.-12. Jahrhundert gewinnen. Hauptsächlich lagen diese Siedlungen an strategisch wichtigen Handelswegen. Die Anwesenheit von großen jüdischen Gemeinden an einem Ort war ein Indiz dafür, dass die Stadt eine wirtschaftliche Bedeutung hatte.
Da für die Existenz des Judentums das Religiöse immer im Zentrum stand, war die Synagoge ein Mittelpunkt. Die Gemeinden standen unter Selbstverwaltung und wendeten das jüdische Recht an. Außer Handelsleuten war das sächsische Judentum reich an Gelehrten.
Das von Isolation geprägte jüdische Leben wurde nur selten von außen akzeptiert. Immer wieder waren Juden Opfer von Pogromen und Verfolgungen.
Doch Juden waren eine gute Quelle für Steuereinnahmen, daher war auch Sachsen an weiteren Ansiedlungen von Juden interessiert. Dennoch konstatiert die Forscherin Christiane Donath die kontinuierliche Vertreibung der Juden aus Sachsen. Um 1500 lebten hier keine Juden mehr.
Jüdisches Leben in Sachsen vom 17. Jahrhundert bis 1840 (von Daniel Ristau)
Dank ihrer Handelstätigkeit spielten Juden im 17. Jahrhundert wieder eine wichtige Rolle in der Wirtschaft. Ab dieser Zeit wurden jüdische Ansiedlungen in Sachsen erneut akzeptiert. Trotz des Verbots, G´ttesdienste durchzuführen, hielten sich die Juden nicht an diese Verordnungen. Das Essay berichtet auch über die ersten jüdischen Studenten an den sächsischen Universitäten und die sogenannten "Judentaufen".
In den 1770er Jahren begann die Zeit der Haskala (ca. 1770-1880), der jüdischen Aufklärung. Einige Juden schickten ihre Kinder an christliche oder an Reformschulen. Auch im bürgerlichen Alltag konnten die besser gestellten Juden nach äußerlicher Erscheinung kaum von ihren christlichen Nachbarn unterschieden werden.
Juden in Sachsen zwischen bürgerlicher Revolution und Erstem Weltkrieg (von Solvejg Höppner)
Als Folge der Revolution 1848-1849 erwarben die sächsischen Juden die Staatsbürgerrechte. Die Historikerin zeigt den langsamen Prozess der Bildung des Reformjudentums in dieser Region. Aber der Wunsch, mit der Einführung von neuem - Reform- oder konservativen - Ritus dem Antisemitismus entgegenzuwirken und damit mehr Anerkennung innerhalb der deutschen Gesellschaft zu erhalten, ging nicht in Erfüllung. Je mehr Juden Rechte in Deutschland erhielten, desto mehr wurde innerhalb der jüdischen Gemeinschaft die Frage nach der jüdischen Identität gestellt. Der Zwang zu Einheitsgemeinden hat die Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinden nur verstärkt.
Trotz allem ist die allmähliche Erhöhung der Stellung der Juden in Sachsen zum Ende des 19. Jahrhunderts zu beobachten: Die Namen von Simon Schocken, Gründer der Schocken-Kaufhäuser, oder Henriette Goldschmidt, die 1911 die Hochschule für Frauen errichtete, waren gut angesehen. Das alles aber hat die jüdische Bevölkerung in Sachsen nicht vom Antisemitismus verschont: Gerade hier entwickelte er sich drastisch - von dem Ersten Internationalen Antijüdischen Kongress im Jahr 1882 in Dresden bis zum Verbot (1892-1910) der Schita (nach jüdischem Ritus durchgeführten Schlachtung). Es gab auch Menschen, die sich gegen Antisemitismus aussprachen, doch insgesamt waren deren Stimmen zu leise.
Die sächsischen Israelitischen Gemeinden in der Weimarer Republik (von Gunda Ulbricht)
Die Entstehung der Weimarer Republik (1918-1930) hat zunächst alle rechtlichen Unterschiede von Religion und Abstammung beseitigt. Die Historikerin Ulbricht macht in ihren Auslegungen sichtbar, inwieweit die rechtliche Gleichstellung gleichzeitig dazu führte, dass Juden an den jüdischen Feiertagen arbeiten und Kinder die Schule besuchen mussten: "Dass jüdische Mädchen und Jungen für die jüdischen Feiertage nunmehr keine Freistellung erhalten sollten, wurde durch führende Vertreter der jüdischen Gemeinden als antisemitisch gewertet." Als Folge der allmählichen Säkularisierung ging ein Drittel der jüdischen Bevölkerung in Dresden die Ehe mit einem Nicht-Jüdischen Partner ein. Der Versuch zur Assimilation hat den Antisemitismus nur verstärkt. In dieser Zeit haben die Auseinandersetzungen auch innerhalb der Jüdischen Gemeinde zugenommen.
Juden in Sachsen während der Herrschaftszeit des Nationalsozialismus (von Irina Suttner)
Nicht jeder Jude hat die Machtübernahme der NSDAP im Jahr 1933 als Bedrohung wahrgenommen. Viele glaubten an einen vorübergehenden Zustand. Erst nach dem 10. November 1938, als Tausende von jüdischen Männern deportiert wurden, wurde Emigration als eine Rettung gesehen. Vielen fehlten jedoch entweder Mittel oder Kontakte, um ein neues Leben im Exil zu beginnen. Diejenigen, die nicht flüchten konnten, wurden in den Osten deportiert und ermordet.
Jüdisches Leben in Sachsen 1945 bis 1989 (von Nora Goldenbogen)
Nach dem Kriegsende kehrte ein Teil der überlebten und befreiten Juden aus den Konzentrationslagern zurück nach Sachsen. Einige haben sich durch die Traumatisierung des Erlebten von der jüdischen Identität abgelöst. Ein Wendepunkt in der Geschichte der Juden in Sachsen hat die im Jahr 1991 beschlossene "Kontingentflüchtlingsregelung" gesetzt. Tausende von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wagten einen Schritt in den Neuaufbau des jüdischen Lebens in Deutschland, u.a. auch in Sachsen.
Mit der Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion erhielt der Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinden in Sachsen neue Impulse, doch vor den Einwanderern steht erneut die Frage nach ihrer jüdischen Identität.
AVIVA-Tipp: Die Sonderausgabe "Juden in Sachsen" zeigt die nachhaltige und beeindruckende Verbindung der deutschen Juden mit Deutschland, die geprägt war von ständiger Abgrenzung und Annäherung. Die Sammlung der Essays verschafft den Interessierten einen breiten Überblick über das Zusammenleben zweier Völker über einen Zeitraum von beinahe eintausend Jahren.
Dass die Geschichte zu Wiederholungen neigt, ist auch in dieser Publikation gut erkennbar. "Juden in Sachsen" liefert einen Anlass, darüber zu reflektieren.
Die HerausgeberInnen:
Gunda Ulbricht, geb. 1966, promovierte 1995 zur Geschichte der Städte in der Weimarer Republik. Seit 200 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei HATIKVA-Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V.
Olaf Glöckner, geb. 1965, studierte Israelwissenschaften, Neuere Geschichte und Jüdische Studien an der Humboldt Universität zu Berlin und an der Universität Potsdam. Er promovierte 2010 zur Zuwanderung und Integration von russisch-jüdischen Eliten in Israel und Deutschland seit 1990.
Juden in Sachsen
HerausgeberInnen: Gunda Ulbricht, Olaf Glöckner
Edition Leipzig bei Seemann Henschel, erschienen Oktober 2013
ISBN-13: 978-3-361-00694-2
1. Auflage, 256 Seiten, kartoniert, mit Glossar, 200 Abbildungen, umfangreiche Literaturauswahl und Bibliographie sowie Sach- und Personenregister im Anhang
Preis: 19,95 Euro
www.henschel.de
Weitere Informationen zu Jüdischem Leben in Sachsen finden Sie unter:
www.hatikva.de
www.juden-in-sachsen.de
www.mmz-potsdam.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Jüdisches Berlin - Photos aus Kaiserreich und Weimarer Republik", erschienen im Jaron Verlag, 2008
"Berliner Juden 1941 - Namen und Schicksale", herausgegeben von Hartmut Jäckel und Hermann Simon.
"Jüdisches im Grünen. Ausflugziele im Berliner Umland" herausgegeben von Judith Kessler und Lara Dämmig.
"Juden. Bürger. Berliner. Das Gedächtnis der Familie Beer - Meyerbeer – Richter".
"Juden in Berlin – Biografien" herausgegeben von Elke-Vera Kotowski.
"Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland", herausgegeben von Marion Kaplan.
"Jüdische Friedhöfe in Berlin" von Johanna von Koppenfels.