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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 10.03.2014


Petra Morsbach - Dichterliebe
Angelina Boczek

Der letzte Roman der Schriftstellerin, Dramaturgin und Regisseurin spielt wieder an einem überraschenden Ort. Hier führt sie uns in eine "KünstlerInnenklave" auf dem Lande, in der weniger...




... erfolgreiche LiteratInnen aus Ost- und Westdeutschland durch ein Stipendium gelandet sind.

"Dichterliebe" kann mehrdeutig verstanden werden, einmal als die Liebe des Dichters zur Dichtung, auch kann die Liebe des Dichters zu einer Frau gemeint sein. Mit beiden Bedeutungen wird im Roman gespielt. Der einst in der DDR erfolgreiche Lyriker Henry Steiger lernt gleich zu Anfang des Buches eine neue Stipendiatin des KünstlerInnenhauses kennen, "Frau mit Sonnenbrille, Typ Westschnepfe: So stelle ich mir eine Zahnarztgattin auf Kulturtourismus vor".

Die anfängliche Skepsis gegenüber Sidonie (so hieß auch die Freundin Rainer Maria Rilkes, später die Geliebte Karl Kraus´) weicht schnell einem sexuellen Interesse, nicht zuletzt deshalb, da Henry an nichts arbeitet, nur halbherzig über Projekte nachdenkt und Zeit totschlägt mit dem "Griff zur Flasche".

Wünschenswert sei es, er würde einen Roman über "Liebe" schreiben: "Das ist es! Die Liebe unter DDR-Aspekt! Liebe als einziger Freiraum in den Zwängen der Zone. Das muntere Liebesleben der Ossis, war es nicht legendär?" Diese Ratschläge seines Verlegers, der sich den Verlag angeblich von seiner reichen Gattin finanzieren lässt, schlägt er in den Wind.

Nein, Henry kommt zu keinem Schluss, "die Nebenthemen und ihre Verschlingungen" beschäftigen ihn, die früheren Frauengeschichten und jetzt mehr und mehr die "Kollegin" Sidonie.

Teils in Rückblenden sinniert Henry, allein oder mit weiteren StipendiatInnen, über das Ost-West-Verhältnis, über den damaligen und jetzigen Kulturbetrieb, über die Liebe.
Den StipendiatInnen werden vom Ich-Erzähler Henry typische- Ost- bzw. West-Eigenschaften zugeschrieben, allen wird geringes Können bescheinigt, auch Sidonie. Dies alles jedoch ironisch und selbstironisch, keinesfalls bösartig und gemein, Henry ist ein eher tragik-komischer Held und die von ihm verehrte Sidonie nicht so dumm, wie er glaubt.

Das zeigt sich in der Sprache, die Petra Morsbach einsetzt, keine/r der ProtagonistInnen wird verhöhnt, keine/r verletzend bloßgestellt. Henry lässt sie über Dichtende sagen: "Wir sind Wahnsinnige. Wären wir´s nicht, wir würden nichts schaffen. Wir entwerfen Modelle des Lebens, die gut oder schlecht sind, farbig oder schwarzweiß, fein oder grob, doch eins müssen sie liefern, sonst will uns keiner: die Illusion von Bedeutsamkeit – der Menschheit, des einzelnen, des Ich. ... Was wir Dichter stiften, sind Märchen. Nur wenn die überzeugend bedeutsam sind, pompös, schmeichelhaft nach der jeweiligen Mode, können wir unsere Existenz auf sie gründen. Der Haken: Wir müssen selbst daran glauben. Und wer das tut, ist verrückt."

Es geht in dem Roman von Petra Morsbach tatsächlich um die widersprüchlichen Figuren, die das Literatur-Camp bevölkern, es geht aber auch um das, was Literatur eigentlich ist oder sein soll, wie sie funktioniert oder nicht.

Die Kapitelüberschriften deuten den Gang der Dinge an: "Begegnungen, Kämpfe, Träume, Metamorphosen, Regeln, Perspektivwechsel, Reisen, Warten, Taten", jedem Kapitel ist noch ein passendes Zitat vorangestellt, u.a. von den DDR-Dichtern Rainer Kunze, Wulf Kirsten, Karl Mickel, Rainer Kirsch. Im Text selbst finden sich weitere Gedicht-Zitate, von Heinrich Heine, Robert Burns, Lessing, Brecht, von Silvie Baar, Inge Müller, Friederike Mayröcker, Else Lasker-Schüler, Kleist und Morgenstern, an denen sich die ProtagonistInnenen "abarbeiten". Mir scheint, dass auch wir LeserInnen eingeladen, wenn nicht aufgefordert sind, sich das eine oder andere Werk der toten DichterInnen, näher anzuschauen.

Ob Henry und Sidonie zusammenkommen wird nicht verraten, der Schluss ist jedenfalls zu Herzen gehend...

AVIVA-Tipp: Eine kurzweilige UND hintergründige Lektüre, die Haupt- und Nebenfiguren treffsicher pointiert, den Dichtern und Dichterinnen ganz nah.

Zur Autorin: Petra Morsbach wurde 1956 geboren, sie studierte in München und in St. Petersburg. Später arbeitete sie als Dramaturgin und Regisseurin, seit 1993 ist sie freie Schriftstellerin und schrieb seitdem mehrere Romane, u.a. "Plötzlich ist es Abend", "Opernroman" und "Gottesdiener" sowie den bemerkenswerten Essay-Band "Warum Fräulein Laura freundlich war. Über die Wahrheit des Erzählens".
Petra Morsbach erhielt zahlreiche Preise für ihr Werk, zuletzt den Jean-Paul-Preis (2013). Seit 1999 ist sie Mitglied des P.E.N. und von 2009-2011 war sie Beirätin im Präsidium. Seit 2004 ist Petra Morsbach Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Mehr Infos unter: www.petra-morsbach.de

Petra Morsbach
Dichterliebe

München. Knaus Verlag, erschienen 2013
Gebundener Kartonband, 286 Seiten
ISBN 978-3-8135-0372-2
Euro 19,99


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Karl Emil Franzos - Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Petra Morsbach






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Beitrag vom 10.03.2014

Angelina Boczek