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Beitrag vom 11.03.2014
Angelika Klüssendorf - April
Christina Mohr
Vor zwei Jahren veröffentlichte Angelika Klüssendorf den so beklemmenden wie beeindruckenden Roman "Das Mädchen" - nun ist mit "April" die Fortsetzung erschienen, die eigentlich keine Fortsetzung..
... ist, denn "April" kann im wahrsten Sinne des Wortes für sich alleine stehen.
"Das Mädchen" ist ein starkes, unbedingt lesenswertes Buch, als vorbereitende Lektüre aber nicht nötig, denn frau begreift sehr rasch die Lebensumstände der 18-jährigen, die sich ihren Namen nach einem Song von Deep Purple selbst gegeben hat.
April hat sich also "neu erfunden", wobei Autorin Klüssendorf eine so abgeschmackte Phrase nicht verwendet. Ohne Umschweife führt sie direkt ins Geschehen ein: Das junge Mädchen April bezieht ein Zimmer zur Untermiete bei einer skurrilen alten Frau. Das Zimmer wurde ihr von der Jugendhilfe zugewiesen, ebenso die Stelle als Bürohilfskraft. April war im Heim, hat ihre Ausbildung abgebrochen und damit wenig Auswahlmöglichkeiten. Es sind die späten 1970er Jahre in Leipzig, DDR.
Das einstige Mädchen zehrt von Erinnerungen an die alten FreundInnen aus dem Heim, die nicht in ihr neues Leben in der Stadt passen, neue Bekanntschaften nimmt April ohne große Erwartungen hin. Vor dem Hintergrund des real existierenden Sozialismus und der Verlockungen des Westens - Ausreiseanträge werden in großer Zahl gestellt - hat die Leserin teil an Aprils Leben, das von Klüssendorf nicht romanhaft durchdramatisiert wird. Geschehnisse werden lapidar geschildert, haben mal keine, mal starke Auswirkungen. Klüssendorf konstruiert keinen Spannungsbogen, sondern zeigt Momentaufnahmen, die sich zu einem Bild zusammenfügen.
Aprils familiärer Leidensweg – der Vater Trinker, die Mutter Sadistin – haben sie schlau und gleichgültig zugleich gemacht. Sie versucht, zurecht zu kommen, zu funktionieren und nimmt sich doch das Recht heraus, zu tun was sie will. April lebt in der Nacht und dämmert am Tage, macht Männerbekanntschaften, die zu verbissenen Kämpfen in ihrem Bett führen: sie ist neugierig und verängstigt zugleich, sucht Liebe und will nicht klein beigeben, wenn ein Mann sie als verführt glaubt.
Der junge Mann, der in ihr die bisher unausgesprochene Hoffnung auf eine verlässliche Beziehung weckt, entpuppt sich als Jünger eines selbsternannten philosophischen "Meisters", der in einer widerwärtigen Wohnung haust – so widerlich, dass April auch ihren Freund nur noch mit Ekel und Abscheu betrachten kann. Sie setzt der Beziehung einen denkwürdigen Schlusspunkt, in dem Aprils Zorn und Wut kulminieren.
Denn manchmal "platzt der harte Knoten unter ihren Rippen und verschießt spitze rote Pfeile" - das frustrierte, geprügelte, gequälte und ständig zornige Kind ist zur jungen Frau geworden, die bei zu hohem Druck überkocht, gewalttätig wird und zu unüberlegten, destruktiven Reaktionen neigt. Die Schatten der Vergangenheit lassen April nicht los und dennoch nimmt ihre Geschichte einen sacht positiven Verlauf: Aprils unverhoffte, frühe Mutterschaft bringt weder ihr noch dem Kindsvater das große Glück und dennoch wird klar, dass es gut ist, dass Julius (auch der Sohn bekommt einen Monatsnamen) auf die Welt gekommen ist.
Das Buch endet mit dem Tod von Aprils Vater, der die Auflösung einer scheinbar banalen Frage mit sich bringt – ob die lang gesuchte Antwort Aprils Leben leichter machen wird, bleibt ungeklärt.
Fortsetzung folgt, hoffentlich.
AVIVA-Tipp: Angelika Klüssendorf sei eine "Kitschvernichterin", schreibt eine große Zeitung und genau so ist es: selten hat frau Bewegenderes in einem so klaren, lakonischen und gänzlich kitschfreien Stil gelesen. Allen UnkenruferInnen, die den angeblich so schlechten Zustand der deutschsprachigen zeitgenössischen Literatur beklagen, wird die Lektüre von Klüssendorfs Romanen dringend empfohlen.
Zur Autorin: Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig, heute lebt sie bei Berlin. Sie veröffentlichte unter anderem die Erzählungen Sehnsüchte und Anfall von Glück, den Roman Alle leben so, die Erzählungsbände Aus allen Himmeln und Amateure sowie zuletzt den Roman Das Mädchen.
Angelika Klüssendorf
April
Kiepenheuer & Witsch, erschienen 2014, 1. Auflage
220 Seiten, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag
Euro 18,99
ISBN-13: 978-3-462-04614-4
www.kiwi-koeln.de
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