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Beitrag vom 01.04.2014
Sefi Atta - Nur ein Teil von dir
Clara Woopen
Die junge Nigerianerin Deola Bello wäre fast eine normale, moderne Frau im Getriebe der Londoner Leistungsgesellschaft, wenn sie sich nicht andauernd so "fremd" fühlen müsste und würde.
Da war die Lehrerin in der Schule, die von ihr erwartete, zum Schuljahresabschluss "Bingo Bango Bongo, we belong back in the jungle" zu singen und ihr versicherte, es sei bloß Satire. Am Flughafen wird sie besonders streng kontrolliert, im Büro wird sie ganz selbstverständlich für die Hilfskraft gehalten und eine Kollegin spricht von AfrikanerInnen als "diesen Menschen, die eh schon gestraft genug sind".
In ihrem dritten Roman versetzt Sefi Atta ihre nigerianische Protagonistin zum ersten Mal ins Ausland, wo diese nicht nur die Selbstwahrnehmung Nigerias und der NigerianerInnen wahrnimmt, sondern auch die "Fremd"wahrnehmung der westlichen Welt und die sozialen Beziehungen mit ihr. Es gelingt Sefi Atta den europäisch-afrikanischen Kontakt in einigen eindringlichen Statements zu kommentieren, die den LeserInnen nicht mehr aus dem Kopf gehen. "Ist nicht unsere ganze Existenz als Afrikaner postkolonial?" legt sie Deola in den Mund, als sich ein befreundeter Schriftsteller über seine afrikanischen KollegInnen beschwert, die Afrika so darstellen wie es die EuropäerInnen von ihnen erwarten. Kritik an Entwicklungshilfe fehlt an dieser Stelle natürlich nicht - Deola arbeitet als Wirtschaftsprüferin für eine Hilfsorganisation und erlebt das exotisch-bemitleidenswerte Bild, das sich ihre KollegInnen von Afrika konstruiert haben.
Die Biographien in Deolas Familie und Freundeskreis erzählen hingegen reale Geschichten aus dem Leben und Alltag als NigerianerInnen in Nigeria und im Ausland. Die Freundinnen der Mutter, die Deolas Karriere kritisch beäugen und ihr stattdessen eine eigene Familie wünschen, gehören in dieses Bild ebenso wie der Neu-Londoner Bandele, der als oyinbo (Weißer, verwestlicht) verspottet wird und den südafrikanischen Schriftsteller J. M. Coetzee verehrt. Erziehung, die Bedeutung sozialer Netzwerke, Religion und Geschlechterrollen reflektiert Deola lebhaft mit Hilfe von Anekdoten aus ihren zwei Lebenswelten. Ihre Sicht auf die Dinge steht dabei zwischen ihrer nigerianischen Herkunft und ihrer englischen Prägung, eine Synthese gelingt ihr eher weniger. Sie hinterfragt die Frauenrolle, die in Nigeria mit Nachdruck von ihr erwartet wird, im Laufe der Jahre jedoch akzeptiert sie sie, allerdings wiederum nur teilweise. Ihre Beziehung mit einem Nigerianer, der eine ähnliche Doppelexistenz führt, vermengt nigerianische und europäische Werte.
Immer spielt ihre Herkunft eine Rolle, jedoch sieht Deola das genauso. Sie möchte, wenn, dann nur einen nigerianischen Mann und charakterisiert "Fremde" ebenso zuerst durch ihre Herkunft. "Du bist doch nicht so ein scheiß Mullah?" fragt sie ihren neuen Freund entsetzt, der ihr sagt, er sei teilweise muslimisch aufgewachsen. Ihr eigenes Schubladendenken schwächt die Alltagsrassismen, die sie selbst als herabwürdigend und verletzend empfindet, ab und vermittelt den LeserInnen das Gefühl, dass ein multikulturelles Zusammenleben für alle Beteiligten unangenehm und suboptimal sei. "Alle Nigerianer, die sie im Ausland kennt, sind mehr oder weniger kaputt."
Diese Resignation lässt sich als Appell an den Westen verstehen, im Umgang mit Afrika und AfrikanerInnen umzudenken und umzulenken. Allerdings bleibt ihre Haltung vorerst resigniert. Ihre Kündigung bei der Hilfsorganisation begründet sie – statt die Chance zu ergreifen sich endlich zu erklären – so, wie es in das Afrikabild ihrer Vorgesetzten passt. Am Ende kann ihr nur Nigeria ein wirkliches Zuhause geben, nachdem sie die Jahrzehnte in England scheinbar bloß ertragen hat.
Zur Autorin: Sefi Atta, geboren 1964 in Lagos/Nigeria studierte nach ihrer Ausbildung in Nigeria, England und den USA Creative Writing in Los Angeles. Ihre Kurzgeschichten und Hörspiele wurden vielfach ausgezeichnet, für ihren ersten Roman "Everything good will come" erhielt sie den Whole Soyinka Price for African Literature, der Roman "Swallow" wurde mit dem Noma Award ausgezeichnet. Sefi Ata lebt mit ihrer Familie in Meridian, Mississippi und unterrichtet an der Mississippi State University.
AVIVA-Tipp: Sefi Attas sarkastisch pointierte Bemerkungen über den Postkolonialismus, den die Nigerianerin Deola über Jahre hinweg in England erlebt, führen den LeserInnen vor Augen, wie beschwerlich noch heutzutage ein Leben "in der Fremde" sein kann. Die Protagonistin vereint europäisches Gedankengut und den Einfluss ihrer nigerianischen Familie auf eine ganz individuelle Art, die beide Welten in sich aufnimmt und sich gleichzeitig von ihnen entfremdet. Vielleicht gerade mit der Absage an eine erfüllende Doppelexistenz ist Nur ein Teil von dir durch Exkurse in verschiedene nigerianische, nigerianisch-englische und westliche Identitäten und Wertesysteme ein vielschichtiger und unbedingt empfehlenswerter Roman.
Sefi Atta
Nur ein Teil von dir
Originalausgabe: A bit of difference, Interlink Books, Northampten, USA
Aus dem Englischen von Eva Plorin
Peter Hammer Verlag, erschienen 19.08.2013
Gebunden, 345 Seiten
ISBN 978-3-7795-0473-3
22.00 Euro
Diesen Titel können Sie online bestellen bei FEMBooks
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