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Beitrag vom 02.04.2014
Bascha Mika - Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden
Ahima Beerlage
Männer werden älter, Frauen werden alt gemacht. So lautet das Fazit der Autorin und ehemaligen Chefredakteurin der TAZ. In ihrem neuesten Buch nimmt sie die Beweise dafür gnadenlos ins Visier.
Älterwerden ist für viele Frauen immer noch eine Schmerzzone, behauptet Bascha Mika. Ihnen drohe der gesellschaftliche Abstieg in Beruf, Beziehung und Alltag. Die Lebensmitte ist für beide Geschlechter ein Einschnitt in ihrem Leben. Doch während Männer in der zweiten Hälfte ihres Lebens die Früchte ihrer Arbeit ernten und oft in Führungspositionen befördert werden, beginnt für ältere Frauen beruflich und privat häufig eine Leidenszeit. Männer trennen sich von ihren gleichaltrigen Frauen, wählen jüngere Partnerinnen und gründen noch einmal eine neue Familie. Die ehemalige Ehefrau bleibt allein zurück und kann sich nach Erziehungsjahren und spätem Wiedereinstieg in den Beruf nur mühsam über Wasser halten.
Im Berufsleben stellen sich den Frauen mit den Jahren immer mehr Hürden in den Weg. Besonders stark tritt diese berufliche Ungleichbehandlung von älteren Männern und Frauen in den Medien auf. Während faltige, grauhaarige Männer auch über 60 moderieren dürfen, verlieren Frauen jenseits der 40 zumeist ihren Platz vor der Kamera. Schauspielerinnen erleben ein Karrieretief jenseits der 35 und dürfen erst als alte Dame wieder vor die Linsen.
Diese Wechselwirkung, so Bascha Mika, ist fatal. Das von den Medien geprägte Bild bestimmt auch die Wahrnehmung der Frauen im Alltag. Jugend und Schönheit sind Machtfaktoren. In Gesprächen mit betroffenen Frauen wird deutlich, wie verletzend es ist, zunehmend nicht mehr als begehrenswert wahrgenommen zu werden. Auf der Straße werden sie für Männer unsichtbar und auch der eigene Mann sieht jüngeren Frauen nach.
All das nagt am Selbstwertgefühl der älteren Frauen. Selbst wenn frau sich gegen diese Ausgrenzung stellt, wird sie anders beurteilt. Nimmt sie sich einen jüngeren Liebhaber, wird sie belächelt, nimmt er sich eine jüngere Geliebte wird er bewundert.
Die Angst vor der zunehmenden gesellschaftlichen und privaten Bedeutungslosigkeit bereitet vielen Frauen Angst. Sie feiern ihre Geburtstage jenseits der 30 nicht mehr, verschweigen ihr Alter. Es beginnt ein Wettrennen gegen die Zeit. Dazu steht eine milliardenschwere Industrie bereit: KosmetikerInnen, FitnesstrainerInnen, ErnährungsberaterInnen und SchönheitschirurgInnen bieten sich gegen teures Geld als KomplizInnen im Kampf gegen das Altern an.
Bascha Mika will sich all diese Zumutungen nicht länger bieten lassen und fordert nicht weniger als einen Diskurs zur ungerechten Wahrnehmung des Alterns aus männlicher und weiblicher Sicht.
Die Mutprobe ist in jeder Hinsicht eine Herausforderung. Mika legt die Hand in die Wunde, indem sie die Geringschätzung älteren Frauen gegenüber in allen Lebensbereichen aufdeckt. Dabei lässt sie die Frauen selbst zu Wort kommen. Sie berichten über ihre Enttäuschungen, ihre Scham und ihre Ängste, die mit dem Älterwerden verbunden sind. Und da wird "Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden" am Eindringlichsten. Es sind Gespräche, die Frauen sonst nur mit der besten Freundin führen. Die Schlüsse, die Bascha Mika daraus zieht, sind von ihrem umfangreichen politischen und zeitgeschichtlichen Wissen geprägt.
Dabei erklärt sie die betroffenen Frauen aber nicht zu Opfern. Vielmehr nimmt sie sie in die Pflicht. "Wie es ihnen (den Frauen) jahrtausendelang antrainiert wurde, übernehmen sie männlich geprägte Bilder und Urteile - und machen sich damit zu Komplizinnen eines Systems, das sie abwertet."
In den letzten Jahrzehnten haben Frauen viel geleistet und an Selbstbewusstsein gewonnen. Das Alles wird aber solange immer wieder schmerzhaft in Frage gestellt, solange die Doppelmoral rund um das Altern greift. Ihr Urteil ist eindeutig: "Wenn wir also Freiheit und Gleichheit als Kern unseres sozialen und kulturellen Selbstverständnisses verteidigen, muss es sich ausgezockt haben beim Spiel mit den Jahren."
AVIVA-Tipp: Bascha Mika nimmt kein Blatt vor den Mund und wehrt sich dagegen, dass "Frauen in den mittleren Jahren ... einer perfiden sozialen Geringschätzung ausgesetzt (sind), die Unbehagen, Angst und Leid hervorrufen kann." Sie lässt Frauen aus Medien, Mode und Film zu Wort kommen, gibt Gespräche unter Freundinnen wieder und legt damit die Wünsche und Nöte der Frauen hautnah offen. In ihrer Analyse der Verhältnisse stellt sie gewohnt angriffslustig die Frauen aber nicht als Opfer dar. Vielmehr nimmt sie sie in die Pflicht, sich diesem Zwang zur Jugendlichkeit bewusst zu entziehen. Patentlösungen oder gar eine politischen Utopie kann aber auch sie nicht bieten. Dennoch verhilft dieses Buch älteren Frauen zu mehr Selbstbewusstsein und entlarvt die gesellschaftliche Doppelstandards der Geschlechterrollen, wenn es um das Älterwerden geht.
Zur Autorin: Bascha Mika wurde 1954 in einem schlesischen Dorf in Polen geboren und übersiedelte als Kind in die Bundesrepublik. Nach einer Banklehre studierte sie Germanistik, Philosophie und Ethnologie und arbeitete später als Redakteurin und Journalistin. Von 1999 bis 2009 war Bascha Mika Chefredakteurin der taz. Ab April 2014 übernimmt sie mit Arnd Festerling die Chefredaktion der Frankfurter Rundschau. Bascha Mika schrieb u.a. 1998 eine kritische Alice-Schwarzer-Biografie. Ihre Streitschrift "Die Feigheit der Frauen" (C. Bertelsmann, 2011) stand wochenlang auf den Bestsellerlisten und sorgte für gesellschaftliche Debatten. Bascha Mika wurde 1994 mit dem Emma-Journalistinnen-Preis und 2012 mit dem Luise-Büchner-Preis für Publizistik ausgezeichnet.
(Verlagsinformation/Pressemeldung FR)
Bascha Mika
Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden
C.Bertelsmann Verlag, München, erschienen: Januar 2014
Hardcover, 320 Seiten
ISBN: 978-3-570-10170-4
17,99 Euro
Weitere Infos unter:
Bascha Mika im Spiegel-Interview über das Älterwerden von Frauen
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