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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 26.05.2014


Dotschy Reinhardt - Everybody´s Gypsy
Claire Horst

Elvis Presley ist nicht nur Tankwart irgendwo im amerikanischen Westen, sondern auch ein "Black Dutch", stammt also von Sinti und Roma ab, die im 18. Jahrhundert nach Amerika ausgewandert waren




Diese Legende um den "King" gehört zu den freundlicheren Geschichten, die über Sinti und Roma erzählt werden – und Dotschy Reinhardt ist Optimistin genug, um auch die amüsanten Seiten dieser Legendenbildung zu betrachten. Das allein ist schon eine beachtliche Leistung angesichts der grausamen Verfolgung und Verachtung, der diese Minderheit ausgesetzt war und ist.

Fast harmlos erscheint es im Hinblick auf die Ermordung hunderttausender Sinti und Roma in der NS-Zeit, wenn sie heute als "ZigeunerInnen" verachtet oder als "fahrendes Volk" romantisiert werden. Dass an diesen Bildern so wenig romantisch ist wie an der Bezeichnung eines panierten Stück Fleischs mit Paprika als "Zigeunerschnitzel", erläutert Dotschy Reinhard in ihrem sehr persönlich geschriebenen Buch.

Selbst Sinteza (sie ist verwandt mit dem legendären Jazz-Musiker Django Reinhardt), kennt die Musikerin und Sängerin Dotschy gängige Vorurteile und Stereotype nur zu gut. Auf ihren Besuchen bei kulturschaffenden Sinti und Roma geht sie gleich mehreren Fragen nach: Welche Spuren haben Sinti und Roma in der europäischen (Pop)Kultur hinterlassen? Und: Welchen Anfeindungen sind sie immer noch ausgesetzt?

Reinhardts Erzählstil ist dabei überhaupt nicht akademisch, sondern sie argumentiert aus dem Bauch heraus und immer aus ihrer subjektiven Perspektive. Gleich auf den ersten Seiten zeigt sie sehr nachvollziehbar, was sie zu diesem Buch inspiriert hat: die Wut darüber, wie beharrlich an überlieferten Vorurteilen festgehalten wird. Alle Sinti sind musikalisch? Quatsch – aber "großartige Kunst (hat) oftmals etwas mit Armut, Schicksalsschlägen, Unterdrückung und Grausamkeit zu tun". Und davon haben Sinti und Roma besonders in Deutschland reichlich erfahren.

Umso bewundernswerter, dass Reinhardt niemals ihren Humor verliert: Beleidigte Kommentare von Männern, die enttäuscht sind, dass sie ihren Klischee-Erwartungen an eine "Zigeunerin" nicht entspricht, kontert sie mit "In einem Punkt hatte er zumindest recht: Ich bin keine Zigeunerin, ich bin Sinteza."

Das ist das Wunderbare an diesem Buch: Reinhardt gelingt es, ihre Widerlegung all der Vorurteile mit einer Darstellung der wichtigen Beiträge der porträtierten KünstlerInnen, MusikerInnen oder Modeschaffenden zur europäischen Kultur zu verbinden.

Außerdem spricht sie mit Menschen, die sich gegen Ausgrenzung und Antiziganismus engagieren – etwa einer Gruppe von AktivistInnen, die Romafamilien unterstützen und den Frauen von der Initiative "IniRomnja". Die Begeisterung und Zuneigung, mit der sie diese Menschen porträtiert, ist ansteckend. Ob MusikerInnen und DJs wie Gogol Bordello und RotFront, ob das Berliner Rroma Aether Klub Theater oder die Galerie Kai Dikhas, sie alle stehen für Kreativität jenseits von Klischees und kommen hier mit ihren eigenen Meinungen zur gesellschaftlichen Wahrnehmung von Sinti und Roma zu Wort.

Reinhardt gelingt es also, diskriminierende Strukturen zu benennen und dennoch das Positive hervorzuheben. So lässt sie sich den Genuss am kulturellen Schaffen der porträtieren Personen nicht nehmen und lässt die Leserin an Konzerten und Ausstellungen teilhaben, die sie besucht. Selbst aus irritierenden Diskussionen über diskriminierenden Sprachgebrauch geht sie als Siegerin hervor, wenn sie immer wieder die Energie aufbringt, bei Lebensmittelkonzernen Beschwerde über Bezeichnungen wie "Zigeunersauce" einzulegen oder sich in Talkshows zu behaupten, die nur die alten Klischees vom Einwandern in die Sozialsysteme bestätigen sollen.

AVIVA-Tipp: Auch wenn Reinhardts Argumentation sich stellenweise wiederholt und ihr Erzählstil, der zwischen Reportage und Tagebuchform changiert, gewöhnungsbedürftig ist: Sie hat sehr viel zu erzählen – und kann mit ihrer persönlichen Darstellung vielleicht besser zum Hinterfragen der eigenen Meinungen anregen als eine soziologische Studie es könnte. Und wer ihre Musik noch nicht kennt, wird spätestens beim Lesen neugierig darauf.

Zur Autorin: Dotschy Reinhardt, geboren 1975, lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Musikerin und Autorin. In ihrer Musik verbindet sie Jazz, Bossa Nova und Gypsy Swing von Django Reinhardt, mit dem sie tatsächlich verwandt ist. "Everybody´s Gypsy" ist ihr zweites Buch. (Verlagsinformationen)

Dotschy Reinhardt
Everybody´s Gypsy. Popkultur zwischen Ausgrenzung und Respekt

Metrolit Verlag, erschienen April 2014
Gebunden, 224 Seiten
ISBN 978-3-8493-0306-8
17,99 Euro


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Informationen im Netz:

Den Zentralrat deutscher Sinti und Roma sowie das Dokumentations- und Kulturzentrum deutscher Sinti und Roma finden Sie unter: www.sintiundroma.de



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Beitrag vom 26.05.2014

Claire Horst