AVIVA-Berlin >
Literatur
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 22.06.2014
Chimamanda Ngozi Adichie - Americanah
Bärbel Gerdes
Adichies großer Roman aus der Sicht der Bloggerin Ifemulu beschreibt klug und gewitzt das Leben einer Nigerianerin in den USA, ihrer großen Liebe und das "Dazwischen" der "Americanah".
"Ich habe mich selbst nicht als Schwarze gesehen, ich wurde erst schwarz, als ich nach Amerika kam." Diesen Satz sagt die Nigerianerin Ifemulo bei einem Abendessen in Manhattan, einen Tag nachdem Barak Obama zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gewählt wurde. Sie sagt ihn zu einer haitanischen Dichterin, die behauptet, sie habe drei Jahre mit einem weißen Mann zusammengelebt und Rasse sei für sie beide nie ein Thema gewesen. "Der einzige Grund, warum du behauptest, dass Rasse kein Thema war, ist, weil du es dir so wünschst. Wir wünschen es alle. Aber es ist gelogen."
Chimanda Ngozi Adichie, die für einen früheren Roman für den Booker Prize nominiert wurde und auf der renommierten Liste des New Yorkers unter den "besten 20 unter 40" SchriftstellerInnen steht, hat einen modernen, einen hoch politischen Roman geschrieben, der gleichzeitig die Geschichte einer lebenslangen Liebe ist.
Ifemulu, aufgewachsen in Nigeria, schon früh verliebt in Obinze, beschließt, das Land, das ihr keine guten Bildungsbedingungen bietet, zu verlassen, um in den USA zu studieren. Konfrontiert wird sie hier mit alltäglichem Rassismus, der ihr ihre Hautfarbe erst bewusst macht, und dem Gutmenschentum politisch Korrekter, der sie in bestimmte Ecken drängen will.
Wie fühlt es sich an, wenn dem Gegenüber bei der Nennung des Heimatlandes nur Armut, Entwicklungshilfe, hungernde Kinder einfallen? Wenn Nigeria gleichgesetzt wird mit "Afrika", wo alle Länder gleich zu sein scheinen? Wenn frau/man mit einer amerikanischen Aussprache und glattem Haar eher anerkannt wird, nicht aber mit krausen Locken und einem starken Akzent? Wenn es an jeder Ecke Friseurgeschäfte zum "Entkrausen" gibt, aber kaum eines für African Hair Braiding?
Es ist nicht nur der Blick der Weißen auf die Schwarzen – Adichie betrachtet dezidiert die Unterschiede zwischen den schwarzen Menschen, die in Amerika aufwuchsen, sich ihrer Hautfarbe sehr bewusst sind und sich anzupassen suchen, weil sie die Vorteile einer weißen Hautfarbe kennen, und den eingereisten AfrikanerInnen.
Ihre Erfahrungen beschreibt Ifemulu, die sich nach und nach in der US-amerikanischen Welt zurechtfindet, in ihrem Blog "Raceteenth - oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen". Dieser Blog macht sie bekannt. Nach fünfzehn Jahren ist Ifemulu angekommen in Amerika: sie hat Geld, Ansehen, einen Geliebten.
Obinze indes verläßt Nigeria Richtung Großbritannien. Er kann dort nicht Fuß fassen, er erhält nicht die nötigen Papiere und lebt als Illegaler in der ständigen Angst, entdeckt und des Landes verwiesen zu werden. Beeindruckend sind die Passagen, in denen deutlich wird, auf wie viele Lebensbereiche die Illegalität, das Leben unter falschem Namen einwirkt: einfach ein zufälliges Gespräch mit einer Frau in einem Café im Buchladen führen? Von sich erzählen? Eine Zukunft aufbauen?
Obinze muss jeden Job annehmen, den er kriegen kann, und versuchen, sich dabei nicht selbst zu verlieren.
Nach Jahren treffen sich Ifemulu und Obinze in Nigeria wieder. Sie gilt jetzt als eine Americanah, eine, die es in den Vereinigten Staaten zu etwas gebracht hat und jederzeit zurückkehren kann, Obinze ist verheiratet und durch gute Kontakte und dem Wissen, wie man "das Spiel spielt", reich geworden.
Adichies Roman ist überwältigend in seiner Fülle – und das ist Vor- und Nachteil des Werkes. Sie beleuchtet vielfältige Facetten des Rassismus, sie führt viele Personen ein, um von ihnen weitere Impulse zu erhalten, die Ifemulu zu einer brillanten Replik anregen, sie zitiert ausgiebig aus Ifemulus Blog, um mit spitzer Feder die Thematik aufzugreifen. Das wirkt mit der Zeit jedoch ermüdend. Und dennoch ist Americanah ein großer panoramahafter Roman, der sehr zum Nachdenken anregt und die weiße Leserin manches Mal erschrocken mit der Feststellung innehalten läßt: "oh je, so denke ich ja auch."
AVIVA-Tipp: Chimamanda Ngozi Adichie ist mit Americanah ein großer Wurf gelungen, ein lebendiger, sprachlich schöner und nachdenkens-werter Roman.
Zur Autorin: Chimamanda Ngozi Adichie, 1977 in Nigeria geboren, begann zunächst ein Medizin- und Pharmaziestudium. 19-jährig reiste sie in die USA aus und beendete ihr Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften. 2008 machte sie ihren Masterabschluss in Afrikanistik. Ihr Roman Blauer Hibiskus wurde für den Booker Prize nominiert, Die Hälfte der Sonne erhielt 2007 den Orange Prize for Fiction. Ihre Werke wurden in 37 Sprachen übersetzt. Adichie lebt in Lagos und in den USA.
Mehr Infos unter: www.l3.ulg.ac.be/adichie
Zur Übersetzerin: Anette Grube. Geboren 1954, studierte in München Kommunikationswissenschaften, Politik und Amerikanistik. Sie ist die Übersetzerin von Arundhati Roy, Vikram Seth, Kate Atkinson, Richard Yates und anderen. Anette Grube lebt in Berlin.
Chimamanda Ngozi Adichie
Americanah
Aus dem Englischen von Anette Grube
Originaltitel: Americanah
S. Fischer Verlag, erschienen 2014
604 Seiten
ISBN 978-3-10-000626-4
24,99 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Zadie Smith - London NW