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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 22.06.2014


Olivia Vieweg - Antoinette kehrt zurück
Bärbel Gerdes

Eine junge Frau kehrt in ihr Heimatdorf zurück, um sich für die an ihr begangenen Taten zu rächen. Cartoon-Zeichnerin Olivia Vieweg schildert in ihrem Comic die Auswirkungen erlebter Traumata auf...




... das gegenwärtige Leben – ein Buch über die Berührtheit der Betroffenen und die kalte Unberührtheit der TäterInnen.

Das Wort Mobbing bedeutet ursprünglich "anpöbeln, belästigen". Erst in den letzten Jahren hat es in Deutschland die Bedeutung von "tyrannisieren, quälen, über jemanden herfallen" erhalten. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz beobachtete in den 60-iger Jahren des letzten Jahrhunderts, dass sich mehrere unterlegene Tiere zusammentun, um gemeinsam ein überlegenes, stärkeres anzugreifen - zum Beispiel Gänse, die einen Fuchs vertreiben. Dies nannte er Mobbing.

Menschen suchen sich hierfür nicht unbedingt ein stärkeres Gegenüber aus. Ausgegrenzt wird, weil jemand anders ist oder schwächer oder alleine. Und oft klingt das Wort Mobbing viel zu harmlos für die Qualen, die den Betroffenen angetan werden.

In ihrem beeindruckenden Comic Antoinette kehrt zurück nimmt sich Olivia Vieweg dieses Themas auf überraschende Weise an. Denn zwar ist es die furchtbare Geschichte eines gequälten und misshandelten Mädchens, aber endlich auch die Geschichte von einer, die sich wehrt und Rache nimmt.

Antoinette ist eine junge Frau, die in Los Angeles lebt, ein Luxusappartement bewohnt, einen tollen Job als Creative Director in einer Agentur hat und sich darüber hinaus in einer beglückenden Beziehung zu einem berühmten Hollywood-Schauspieler befindet. Alles in Ordnung also!

Wären da nicht die nächtlichen Alpträume, die sie nicht in den Griff bekommt.
"Meine Träume kann ich nicht belügen. Nachts holt mich die Wahrheit ein ...". Diese Wahrheit befindet sich in einem kleinen Dorf in Deutschland. Wie daran gefesselt, kontrolliert Antoinette über eine Webcam ihren Heimatort. Geschworen hat sie sich, Deutschland nie wieder zu betreten, aber sie kann das Geschehene nicht einfach abschütteln oder vergessen.

Nur indem sie zurückkehrt, kann sie verarbeiten, was sie dort in ihrer Jugendzeit erlebte. In ocker- und graufarben gehaltenen Bildern beschreibt Olivia Vieweg die Fahrt zurück. Ein spärlicher Text hebt die ausdrucksstarken Zeichnungen hervor, die die Misshandlungen und Quälereien der KlassenkameradInnen schildern.

Die Begegnungen mit den im Dorf verbliebenen MitschülerInnen, ihre Reaktionen auf Antoinette, die Ausreden und Relativierungen ihrer Taten, besonders aber, dass die TäterInnen unbeschwert ihr Leben weiterleben, während Antoinette trotz ihres sehr erfolgreichen Daseins immer noch unter den Folgen leidet – in dieser Darstellung liegt die große Bedeutung dieses Buches. Olivia Vieweg zeigt die Konsequenzen der schrecklichen Taten auf die heutige junge Frau in berührenden Bildern auf.

Wie ein Cowgirl in einem Western wird Antoinette schließlich aktiv. Ob Rache aus diesem Traumagefängnis hinausführt, muss jede für sich entscheiden. Dass aber endlich überhaupt eine Frau dargestellt wird, die Rache nimmt, ist befreiend, auch wenn die Leserin mit widerstreitenden Gefühlen zurückbleibt.

AVIVA-Tipp: Olivia Vieweg hat sich eines Themas angenommen, das, besonders auch in Internetzeiten, immer virulenter wird. Gleichzeitig ist ihr Comic der bemerkenswerte Beweis dafür, dass sich dieses Genre auch für sehr komplexe Themen eignet.

Zur Autorin: Olivia Vieweg, 1987 in Jena, studierte in Weimar Visuelle Kommunikation. Publikationen im Manga-Bereich und als Cartoon-Zeichnerin. 2010 gewann sie den ICOM Independent Preis, 2012 das Comic-Stipendium von Egmont. 2013 erschien ihre deutsche Adaption des Twain-Klassikers "Huck Finn – Die Graphic Novel", den sie an die Saale versetzte.
Mehr Infos unter: www.olivia-vieweg.de

Olivia Vieweg
Antoinette kehrt zurück

Egmont Graphic Novel, erschienen 2014
94 S.
ISBN 978-3-7704-5500-3
14,99 Euro




Literatur

Beitrag vom 22.06.2014

Bärbel Gerdes