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Beitrag vom 24.09.2014
NoViolet Bulawayos - Wir brauchen neue Namen
Clarissa Lempp
NoViolet Bulawayos Debüt erzählt von einer Kindheit in Simbabwe und einer Jugend in den USA. Mit poetischer Sprache und Wortwitz lotet sie Fremde, Heimat und ihre Schnittstellen im Selbst aus.
"Wir brauchen neue Namen", beschließen die Mädchen, als sie ihrer elfjährigen schwangeren Freundin mit einer Abtreibung die Zukunft erleichtern wollen. Sie geben sich Namen aus einer US-amerikanischen Arztserie und entscheiden sich, den Abbruch mit einem Kleiderbügel vorzunehmen. Zum Glück hält Mother Love sie rechtzeitig ab, ohne zu schimpfen. Sie weint einfach nur und gegen diese Tränen sind selbst die Kinder von Paradise machtlos. In Szenen wie diesen beschreibt NoViolet Bulawayo eine Kindheit in Simbabwe, an einem Ort namens "Paradise", der alles andere als paradiesisch wirkt.
Darling, die Hauptprotagonistin, erklärt mit ihrem Kindermund ihre Welt und die Menschen um sie herum. Immer dabei ihre Clique, mit denen sie Guaven stiehlt in "Budapest", einem besseren Viertel der Stadt. Sie erzählt von den NGOs, die Geschenke bringen, von den chinesischen Arbeitern auf den Mega-Baustellen, von der Gewalt eines korrupten Systems und einem Vater, der zum Arbeiten nach Südafrika ging und nun zum Sterben zurückkehrt. Und von der Hoffnung, irgendwann in die USA zu kommen, wo Darlings Tante lebt. Diese Hoffnung erfüllt sich, aber sie erfüllt nicht ihr Versprechen. Wie zu viele süße Guaven, die für Verstopfung sorgen im Übermaß, ist auch das süße Versprechen eines besseren Lebens in den USA nicht ohne Nachteile.
Bulawayos Sprache ist lebendig, bilderreich und wächst mit ihrer Protagonistin. Aus dem scharfsinnigen und etwas schnodderigem Mädchen wird ein US-amerikanischer Teenager der im Jugendjargon weitererzählt. Mit ihren Teenager-Freundinnen lästert Darling über den Medienrummel um Sängerin Rhianna, schaut Pornos und fährt ohne Führerschein. Sie trifft Weiße, die ihr erzählen wie schrecklich es in diesem "Afrika" ist. Aber Darling hat Sehnsucht. Als ein alter Mann sie mit Liedern aus Simbabwe an ihr Herkunftsland erinnert, spürt Darling etwas "Namenloses [...] als hätte ich Strom geschluckt". Sie sucht den Kontakt zu ihren alten Freunden und merkt, dass es keinen Platz mehr in "Paradise" für sie gibt. Darling muss erkennen, dass sie weder hier noch da Zuhause ist.
Zur Autorin: NoViolet Bulawayo ist 1981 in Simbabwe geboren und zog mit achtzehn Jahren in die USA. 2011 gewann sie den "Caine Prize for African Writing". Mit ihrem Romandebüt "Wir brauchen neue Namen" stand sie als erste afrikanische Woman of Colour auf der Shortlist des bedeutenden Man Booker Prize.
Mehr Infos unter: novioletbulawayo.com
AVIVA-Tipp: "Wir brauchen neue Namen" ist ein sprachliches Kleinod, das voller Lebensenergie ist und doch schmerzt. Aber es ist kein Vorschlaghammer-Schmerz, sondern die Sorte, die langsam über eine/n kommt. Die zwischen der Freude der Kinder und den Gefühlsschwankungen eines Teenagers die Unverhältnisse dieser Welt offenbart.
NoViolet Bulawayo
Wir brauchen neue Namen
Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow
Suhrkamp Verlag, erschienen August 2014
264 Seiten
ISBN 978-3-518-42451-3
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