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Beitrag vom 28.09.2014
Tove Jansson - Fair Play
Bärbel Gerdes
Das wunderbare Leben und Lieben zweier Künstlerinnen beschreibt Künstlerin Tove Jansson auf hinreißend witzige, gleichzeitig sehr berührende Weise. Die Frau, die einfach nur etwas Schönes lesen ...
... möchte, greife zu diesem Buch!
Das große Manko vieler Lesbenromane ist ... dass sie Lesbenromane sind. Da geht es um das ewige Coming Out, um Untreue, um Liebe, um Verliebtheit... und immer mit der Betonung, es handele sich um zwei Frauen. Dieses Plakative ist der Grund, weshalb Virginia Woolf nie einen expliziten Lesbenroman geschrieben hat – das Schreiende, Hinweisende lehnte sie ab.
Wie viel feiner, feinsinniger, schöner ist hingegen der Roman Fair Play, den der Stuttgarter Verlag Urachhaus zum 100. Geburtstag Tove Janssons vorlegt. Ja, jene Tove Jansson, die – und sie konnte es selbst nicht mehr hören – so berühmt wurde mit den nilpferdartigen Mumins, die sie erfunden, gezeichnet und erzählt hat.
Und weil Jansson nicht mehr darauf hingewiesen werden mochte, wollen auch wir darüber schweigen und uns stattdessen diesem hinter-, tief- und oft auch abgründigem Werk zuwenden.
In Fair Play schreibt die finnisch-schwedische Autorin vermutlich über sich selbst und ihre lange Liebe zu der Graphikerin Tuulikki Pietilä. Doch egal, ob dies nun autobiographisch ist oder nicht – Jansson vollbringt etwas vollkommen Verzauberndes: sie beschreibt das Leben zweier Frauen, zweier Künstlerinnen, deren Liebe und Vertrautheit einfach da ist, unausgesprochen, für jede Leserin spürbar, immer mitschwingend.
Jonna und Mari wohnen winters in der Stadt, in einem Haus, in zwei Wohnungen, die über einen Dachboden miteinander verbunden sind. Den Sommer verbringen sie auf ihrer Schäreninsel, ein winziges Eiland, auf dem sie schreiben, bildhauern, malen, Besuch empfangen.
Ihr Miteinander ist geprägt von größter gegenseitiger Anerkennung und größtem Respekt füreinander und gleichzeitig von wertschätzender und bereichernder Kritik an dem künstlerischem Werk der anderen.
Jonna hängt die Bilder in Maris Wohnung um. Jonna, die die glückliche Eigenschaft [hatte ...] jeden Morgen wie zu einem neuen Leben aufzuwachen, zu einem Leben, das sich unverbraucht und vollkommen sauber vor ihr erstreckte bis zum Abend. Jeder Standort eines Bildes wird diskutiert. Mit großer Feinheit erklärt uns Tove Jansson in dieser Situation die Beziehung der beiden Frauen. Jonna sagt: Schau mal, hier ist etwas von mir, und hier hängt deine Zeichnung, die stören einander. Wir brauchen Distanz, das ist notwendig.
Es verärgert die eine nicht, dass die andere regelmäßig beim Anschauen ihrer geliebten Videos einschläft – es ist einfach so. Es ist selbstverständlich, einander nicht über den Fortschritt ihrer Arbeit zu befragen, wenn deutlich ist, dass allein diese Frage jeden kreativen Prozess zerstören würde. Jansson lässt große Empathie füreinander spürbar werden, ohne sie explizit darzustellen.
Beide besitzen das tiefe Vertrauen, dass die eine der anderen nicht schaden will, sondern ihr wohlgesonnen ist – selbst als Jonna den königlichen Vogel erschießt, der für Mari selbstverständlich zur Insel gehört, auch wenn er sich so oft die geliebten Eiderentenküken als Snack zwischendurch holt – selbst dann gibt es Verständigung und gegenseitiges Verstehen wollen.
Janssons Text zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht ständig auf die Liebe hinweisen muss; sie ist einfach da. Stattdessen zeichnet sie ein Leben voller Kunst und Neugier auf Neues, voller Abenteuer und Stille, voller Gleichmaß und Lebendigkeit. Das Wetter, das Meer spielen eine große Rolle: fantastisch, wie sie die unheimliche Ruhe in einem Boot auf dem Meer bei Seenebel beschreibt. Berührend die erschreckende Erkenntnis, dass die beiden Frauen ihr Boot nicht mehr an Land ziehen können, dass die Kräfte nachlassen.
Fair Play ist ein Roman – oder ist es eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten? - der in jedem Lesbenhaushalt zu finden sein sollte, einfach weil er so atemberaubend schön ist.
"Wie still es geworden ist", sagte Jonna. "Das war doch ein ziemlich gutes Gewitter, findest du nicht auch?"
"Ein sehr gutes", sagte Mari. "Das beste, das wir gehabt haben."
AVIVA-Tipp: Tove Janssons Romane für Erwachsene sind ausnahmslos empfehlenswert. Fair Play ist vielleicht das Sahnehäubchen auf ihrem Werk.
Zur Autorin: Tove Jansson (1914-2001) wuchs in einem KünstlerInnenhaushalt in Helsinki auf. Mit 16 begann sie in Stockholm ihre künstlerische Ausbildung, studierte in Paris und Helsinki und arbeitete als Illustratorin und Karikaturistin. International wurde sie durch ihre Mumin-Bücher und -Comics bekannt, schrieb aber außerdem viele Romane und Kurzgeschichten für Erwachsene. In den 50er-Jahren traf sie die Graphikerin Tuulikki Pietilä, mit der sie bis zu ihrem Lebensende eine tiefe Liebe verband.
Zur Übersetzerin: Birgitta Kicherer wuchs zweisprachig in Schweden und Deutschland auf, studierte Graphik und arbeitete als Illustratorin, bevor sie sich der Übersetzung zuwandte. Kicherer übersetzt vorwiegend Kinder- und Jugendbücher aus dem Schwedischen und gilt als eine der produktivsten Übersetzerinnen Deutschlands. 1999 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises.
Tove Jansson
Fair Play
Roman
Deutsche Erstausgabe
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
Originaltitel: Rent spel
Verlag Freies Geistesleben & Urachhaus, erschienen 2014
Gebunden, 121 Seiten
ISBN 978-3-8251-7892-5
17,90 Euro
www.geistesleben.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Tove Jansson - ein Portrait der Erfinderin der Mumins und Gründerin von Oy Moomin Characters Ltd
Tuula Karjalainen - Tove Jansson. Die Biografie
Website zu Tove Jansson:
www.tovejansson.com
Das Unternehmen Oy Moomin Characters Ltd, das Tove Jansson mit ihrem Bruder Lasse Ende der 1950er Jahre gründete ist im Netz unter: www.moomin.com
Weiterlesen:
Westin, Boel: Tove Jansson: Life, Art, Words. The Authorized Biography. Translation: Silvester Mazzarella. Sort of Books 2014
www.reprodukt.com
www.fembio.org