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Beitrag vom 07.01.2015
Linda Rodriguez McRobbie - Gute Prinzessinnen kommen ins Märchen, böse schreiben Geschichte. Von Olga, der Wilden, über Kaiserin Sisi bis zu Gloria von Thurn und Taxis
Julia Lorenz
Spieglein, Spieglein, an der Wand - wer schmiedet das beste Komplott im Land? In unterhaltsamen Kurzbiographien portraitiert Linda Rodriguez McRobbie Prinzessinnen, die mehr sein wollten als...
... schmückendes Beiwerk für mächtige Regenten - und nach allen Regeln der Kunst logen, betrogen und intrigierten.
Geld im Überfluss haben, sich um nichts außer ein präsentables Äußeres sorgen müssen, ohne nennenswerte Verdienste von allen Menschen geliebt und bewundert werden: All diese angeblichen Annehmlichkeiten, so suggerieren Märchen, Medien und Eltern kleinen Mädchen, werden einer Prinzessin zuteil. Die antiquierte Mär vom schönen Prinzesslein, das für seine Tugendhaftigkeit mit Ruhm, Reichtum und Heiratsanträgen belohnt wird, scheint auch nach mehreren Frauenbewegungen nicht an Strahlkraft verloren zu haben: Prinzessin Lillifee und andere Vertreterinnen der rosafarbenen Zunft rangieren weit oben auf der Beliebtheitsskala junger Mädchen. Und während Tageszeitungen die Politik von Staatsoberhäuptern diskutieren, gehören Prinzessinnen wie die "Duchess of Cambridge" Kate Middleton oder die schwedischen Thronfolgerinnen Victoria und Madeleine vor allem zum festen Inventar in Klatschblättern.
Das prangert auch die US-amerikanische Autorin und Journalistin Linda Rodriguez McRobbie im Vorwort ihres Werks "Gute Prinzessinnen kommen ins Märchen, böse schreiben Geschichte" an - um das Bild der Prinzessin als "Jungfrau in Nöten" anschließend zu dekonstruieren. In 30 Kurzbiographien in den Kategorien "Kriegerinnen", "Thronräuberinnen", "Intrigantinnen", "Kämpferinnen", "Partygirls", "Flittchen" und "Prinzessinnen von Sinnen" zeichnet Rodriguez McRobbie die Lebenswege von Frauen nach, die sich ihrer Rolle als passive Repräsentantin verweigerten und Politik, Revolutionen oder Kriege beeinflussten.
Manche der Schicksale sind längst berühmt - wie die der am englischen Königshof hingerichteten Anne Boleyn, der zweiten Ehefrau des brutalen Königs Heinrich VIII. -, andere hingegen laden ein, sich mit in Deutschland wenig bekannten historischen Persönlichkeiten auseinanderzusetzen. So berichtet Rodriguez McRobbie vom Kampf der indischen Prinzessin Lakshmibai gegen die britische Kolonialmacht und das bewegte Leben von Nzinga von Ndongo, die im 16. und 17. Jahrhundert über das Staatsgebiet des heutigen Angola herrschte - und sich ein Männerharem hielt. Indem sich die Autorin nicht auf eine westliche Perspektive beschränkt, vermittelt sie neben Frauen- auch Weltgeschichte.
Eine bemerkenswerte Herrscherin, an die Rodriguez McRobbie erinnert, ist die altägyptische Königin Hatschepsut. Diese stieß nach dem Tod ihres Mannes den "rechtmäßigen" Thronfolger, ihren Stiefsohn Thutmosis III., vom Thron, um fortan selbst über Ägypten zu herrschen. Weil sie als Frau nicht als Regentin anerkannt wurde, ließ sich Hatschepsut oft als Mann darstellen - und wurde als gottgleicher Pharao verehrt, "dessen" Regierungszeit als Ära des Friedens und Wohlstands in die Geschichte eingehen sollte. Doch als Thutmosis III. nach Hatschepsuts Tod doch noch an die Macht kam, versuchte er, alle Hinweise auf ihre Existenz auszuradieren: Er beauftragte Steinmetze, ihren Namen von Monumenten zu schlagen, ließ Statuen zerstören, die sie darstellten, oder schlug ihnen das Gesicht ab. Erst mit der vollständigen Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen im Jahre 1822 wurde bekannt, dass der "weibliche Pharao" existiert hatte.
Hatschepsuts Schicksal zeigt überspitzt, was Rodriguez McRobbies Werk insgesamt demonstriert: Was im kollektiven Gedächtnis verankert ist, basiert auf der Weltsicht weißer Männer. Dass Frauen in der Politik vergangener Jahrhunderte keine Rolle gespielt haben, ist keine historische Tatsache, sondern Resultat der Geschichtsschreibung.
Irritierend ist jedoch der flapsige Tonfall, in dem Rodriguez McRobbie bisweilen von den brutalen Machenschaften der Regentinnen berichtet: "Eins zu null für Olga", kommentiert sie ein Komplott der ukrainischen Herrscherin Olga von Kiew, das die lebendige Beisetzung ihrer Feinde zur Konsequenz hatte. Bei aller Liebe zum niedrigschwelligen, unterhaltsamen Stil, den die Autorin prägt, wäre weniger Heldinnenverehrung an manchen Stellen ratsam gewesen. Schließlich ist auch Gewalt, die von Frauen - und somit entgegen herrschender Machtstrukturen - verübt wird, noch immer Gewalt.
AVIVA-Tipp: Prinzessinnen, die kämpfen, betrügen, flirten und Regenten ausstechen: Was nach Abenteuerroman klingt, hat mit der historischen Realität mehr zu tun als die kulleräugigen Frauen-Abziehbilder, mit denen Disney veraltete Geschlechterbilder zementiert. Mit spannenden Biographien entmystifiziert Linda Rodriguez McRobbie alte Märchen, erinnert an vergessene Frauenschicksale und zeigt so bekannte Kapitel der Geschichte aus einer neuen Perspektive.
Zur Autorin: Linda Rodriguez McRobbie ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin. Nach ihrem Studium an der Columbia School of Journalism in New York schrieb sie unter anderem für den Boston Herald und die South End News. Linda Rodriguez McRobbie lebt und arbeitet in London. "Gute Prinzessinnen kommen ins Märchen, böse schreiben Geschichte" ist ihr erstes Buch.
Zur Webseite der Autorin: www.lindarodriguezmcrobbie.com
Linda Rodriguez McRobbie
Gute Prinzessinnen kommen ins Märchen, böse schreiben Geschichte. Von Olga, der Wilden, über Kaiserin Sisi bis zu Gloria von Thurn und Taxis
Originaltitel: Princesses Behaving Badly
Btb/Random House, Berlin, erschienen im Oktober 2014
416 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag
19,99 Euro
ISBN 978-3-446-24491-7
Weitere Infos unter www.randomhouse.de
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