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Beitrag vom 06.02.2015
Rita de Muynck - Under the Skin
Teresa Lunz
Sprichwörtlich "unter die Haut" geht die erste Monographie zum Werk der flämischen Künstlerin Rita de Muynck, die den Betrachter_innen ein vielschichtiges Farb-, Formen- und Klangerlebnis bietet.
Zwei Ausstellungen wurden der Kunst Rita de Muyncks im Jahr 2014 gewidmet, eine in der Städtischen Galerie Überlingen, die andere in der Galerie walz kunsthandel. Nun ist ihr umfangreiches Werk – entstanden zwischen 1993 und heute – endlich auch als Kunstband erschienen.
Vielfalt eines Lebenswerks
Den Betrachter_innen begegnen darin den farbintensiv gestalteten, sich jeder malerischen Tradition sperrenden Großleinwände de Muyncks, daneben aber auch Kleinformaten, wie etwa dem Zyklus der "Tag- und Nachtzeichnungen": Schwarze Linien auf weißem Grund dominieren, darüber hinaus ist höchstens ein Bruchteil des Blattes in einer expressiven Farbe grundiert. Fotos der von der Künstlerin so in Ausstellungen vorgeführten Plastiken und Installationen komplettieren den Band.
"Malerei behandelt kein Thema. Bilder sind ein visuelles Ereignis oder sie sind keine Bilder",
so der Kurator Thomas Zacharias in seinem im Buch enthaltenen Essay über die Arbeiten de Muyncks. In ihnen begibt sich die Künstlerin auf die Suche nach synästhetischer Erfahrung, der sie sich durch action painting nähert: Wesentlich ist die dem Werk innewohnende Dynamik. Das Wesen wird in seiner Grundsituation, vielfach konfrontiert mit seinen Urängsten dargestellt, darüber hinaus häufen sich Darstellungen von Traumgebilden und Gegenwartsreflektionen. Dabei geht es der Künstlerin nicht um einen gesellschaftskritischen Ansatz, sondern darum, einen Seinszustand einzufangen. Rita de Muyncks Werk weist zwar expressionistische Tendenzen auf, ist aber letztlich durch den Individualismus und die Innenperspektive der in Belgien geborenen Künstlerin geprägt. Sie arbeitet mit einer viel mehr als nur die Naturfarben umfassenden Farbpalette, wobei immer wieder scheinbar beliebig verwendetes Flammendrot hervorsticht
Über Schönheit und Schrecken
"Autobiographisch sind nicht so sehr die Begebenheiten, sondern eher meine gefühlsmäßigen Reaktionen darauf", so die Künstlerin in einem Gespräch mit der Herausgeberin.
Vielfach finden auf den Leinwänden Begegnungen zwischen Frauen und wilden Tieren statt, ohne die beiden Elemente in gleich ersichtlichen kausalen Zusammenhang zu stellen, wie bei "Les Belles et les Bêtes". Mensch und Tier kommunizieren auf metaphysischer Ebene, im indirekten Dialog. Eine Anspielung darauf, dass unweit des Ästhetischen auch immer das Schreckliche existiert und nur die Gegenwart des Einen zur Manifestierung des Anderen führt. So malt die durch ihre augenscheinlich idyllische alpenländische Heimat geprägte de Muynck einen "Bleeding Mountain" und betitelt ein Düsternis vermittelndes Bild des Kochelsees "Down with the Alpine Glow!". Die Betrachter_innen werden somit zu einer neuen Perspektivierung aufgefordert. Die "Innocent Cat" erinnert im Erscheinungsbild stark an die zuvor porträtierten reißenden Wölfe, was in jede(m/r) Leser_in eigene Fragenstellungen in Gang setzt.
Insbesondere bei der Ausstellung ihrer Plastiken rückt die synästhetische Erfahrung in den Vordergrund: So kombiniert de Muynck beispielsweise Farbe, Form und Ton, um anhand der "Rotkäppchen"-Vorlage die enge Beziehung zwischen "Verführung und Zerfetzung" darzulegen.
Akzent auf der weiblichen Perspektive
Der Künstlerin bleibt die weibliche Weltsicht zentraler Ausgangspunkt: Den traditionell mit männlichen Protagonisten besetzten Mythen verhilft sie zu einem weiblichen Pendant, etwa durch die Darstellung eines weiblichen, gebannt vor der Wasserquelle knienden Narziss. Sie versucht sich spielerisch in der matriarchalischen Uminterpretation des verankerten kulturellen Gedächtnisses. De Muynck hinterfragt die Omnipräsenz des Männlichen in allen gesellschaftlichen Sphären und fordert in ihren Gemälden die Loslösung vom Patriarchat: Beispielsweise wenn sie eine entspannt in der Hängematte liegende Dame zeigt, deren männliches Pendant – Vater, Ehemann? - in einer Grube zu ihrer Rechten verscharrt liegt. Die Säuglingsdarstellungen wiederum heben auf die Mutter als Bezugspunkt ab, gleichzeitig deren Bereitschaft, loszulassen und die Eigenständigkeit des Kindes zu akzeptieren: Das Gemälde "Unwrapped" stellt dem Wortlaut des Titels gemäß dar, wie das Kind "flügge" wird.
Neben zahlreichen Fotografien der Kunstwerke enthält das Buch persönliche Beiträge verschiedener Autor_innen, die die Arbeiten aus eigener Perspektive betrachten und somit die Wahrnehmung der Leser_innen erweitern. Außerdem wird der Bildband ergänzt durch Auszüge eines Interviews, das die Herausgeberin Andrea C. Theil mit der Malerin führte.
AVIVA-Tipp: Eindrucksvoll zeigt der Band das vielfältige Werk Rita de Munckys wie auch den Facettenreichtum deren künstlerischen Ausdrucks. Keine von Rita de Muynck behandelte Thematik, kein von ihr umgesetztes Experiment im Bereich von Farbe, Form und Dynamik bleibt außer Acht. Durch die Interviewauszüge und die kurzen Essays eignet sich das Buch auch für Laien auf dem Gebiet der modernen Kunst, denen sich ein Interpretationsansatz bietet, ohne sie in ihrer freien Ideenentwicklung zu behindern.
Rita de Muynck. Under the Skin/ Unter die Haut
Herausgegeben von Andrea C. Theil
Zweisprachig Deutsch/Englisch
Hirmerverlag, erschienen 2014, 1. Auflage
Softcover, 189 Seiten.
ISBN 9-78377-421827
Euro 29,90
www.hirmerverlag.de
Mehr Informationen auf der Website der Künstlerin:
www.ritademuynck.de
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