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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 18.02.2015


Renata Viganò - Agnese geht in den Tod
Teresa Lunz

Eine alte italienische Wäscherin wird zum Bindeglied der PartisanInnen: Dank der "editionfünf" erscheint diese Geschichte über Heldinnentum im Verborgenen endlich wieder für ein deutsches Publikum.




Zunächst ändert der Krieg das Leben der Wäscherin Agnese im norditalienischen Po-Delta kaum: Genügsam geht sie ihrem Tageswerk nach und pflegt ihren Ehemann, den intellektuellen, aber von Jugend an kränkelnden Palita. Bis 1943 die einmarschierten Deutschen den von Nachbarn als Kommunisten denunzierten Palita festnehmen und Agnese bald darauf erfährt, dass er auf dem Gefangenenzug umgekommen ist.

Als ehemalige Genossen Palitas Kontakt zu ihr aufnehmen, steht ihr Plan fest: Sie will gegen jene vorgehen, die den Tod des Gatten verschuldeten, ohne Rücksicht auf die damit verbundenen Gefahren. So nimmt sie einen Posten als Botin, als "Staffetta", in den Reihen der PartisanInnen an. Als deutsche Soldaten sich in ihrem Haus einquartieren und einer von ihnen zum Spaß Palitas geliebte Katze erschießt, kann Agnese ihren mühsam unterdrückten Hass nicht mehr zügeln. Sie schlägt dem Deutschen mit dem Gewehrkolben den Schädel ein und flüchtet sich endgültig ins Lager der Partisanen.

Die politisch ungebildete, bislang bescheiden und zurückgezogen lebende Agnese wird durch ihre Unerschrockenheit und Aufopferungsbereitschaft schrittweise zur Schlüsselfigur der Untergrundbewegung gegen den Faschismus und die deutsche Besatzung. Nachdem sie alles verloren hat, was ihr Geborgenheit gab und Heimat bedeutete, fasst sie die Arbeit bei den Partisanen als oberste Pflicht auf. Sie lässt sich weder von Faschisten einschüchtern noch durch ihre schwindenden körperlichen Kräfte beirren und nutzt ihre gesamte Zeit und Energie, um die untergetauchten Kommunisten zu unterstützen.

"Sie war wie eine Mama zu ihnen, aber ohne viele Worte, ohne gesagt zu haben: Ich bin eure Mama. Das musste sich in ihren Taten, in ihrer Arbeit zeigen."

Agneses nüchterne und bodenständige Lebenshaltung findet sich in der Sprache der Autorin Renata Viganò wieder. Jeder Pathos wird vermieden. In sachlichen Sätzen zeigt sie die Sinnlosigkeit der Kriegsführung auf. Das allmähliche Vergessen dessen, gegen was und wen man überhaupt kämpft. Der Kriegsalltag mündet in blinde Zerstörung, die längst keinem Zweck mehr dient, mit dem die Beteiligten sich identifizieren könnten.

"Es war unbegreiflich, dass die Alliierten so teures Zeug verschwendeten. Das Geräusch der Motoren wurde schwächer... Nach dem rätselhaften Unternehmen, eine brennende Lagune zu bombardieren, zogen die Flieger weiter und warfen Bomben auf die altbekannte Brücke."

Eindrucksvoll und realitätsnah gibt das Buch Zeugnis vom harten, entbehrungsreichen Alltag der Partisanen: Ständige Entdeckungsgefahr, strikte Isolation von der Gesellschaft, dabei Perioden absoluter Monotonie im Untergrund, in denen sogar Blutvergießen als Mittel gegen die Lethargie herbeigesehnt wird. Fast beiläufig wird der Selbstmord eines Genossen erwähnt, der den psychischen Extremsituationen nicht mehr gewachsen ist. Doch gewinnen die Leser_innen auch Einblick in die Solidarität unter den Partisanen, die Nationalitätengrenzen überschreitet und zur Bildung einer verlässlichen Gemeinschaft führt, gerade im Angesicht des feigen und berechnenden Kalküls der verbündeten Alliierten.

"Sie waren sich alle ganz ähnlich geworden: Italiener, Russen, Tschechoslowaken, Neuseeländer und Elsässer."

Der Roman verfolgt einen doppelten Ansatz: Schilderungen des Kriegsgeschehens und des Tuns der Partisanen finden sich wieder neben dem persönlichen Schicksal einer starken Frau, deren Leben im Alter eine unerwartete Wendung erfahren hat. Langsam lernt Agnese, die durch den Krieg kreierte "Männerwelt" zu begreifen, politische Hintergründe zu durchschauen, den Wert des Zusammenhalts in der Gruppe zu erkennen. Und sie fügt sich in diese Welt ein. Zudem fängt sie an, das soziale Gefüge und das Prinzip der Gerechtigkeit kritischer zu hinterfragen. Statt sich wie bislang mit den gegebenen Umständen zu arrangieren, will sie aktiv sein und zu ihrem Wandel beitragen.

"Alle sollten genug Brot haben, und nicht nur Brot, sondern auch alles andere"

Den Leser_innen begegnen desinvolvierte Gefechtsschilderungen. Nüchterne Wiedergabe alltäglicher Abläufe, die das strikt organisierte Partisanenleben bestimmen. Mitten darin immer wieder Agnese, meist stumm und eifrig bemüht, für die Kämpfer zu sorgen und möglichst viele Botengänge zu übernehmen.
Das täglich stattfindende Grauen wird nicht in großen Worten evoziert. Es findet sich in den knappen, meist unkommentierten Aussagen von Erzählerin und Protagonistin wider, die Emotionalität geradezu zu fürchten scheinen. Das Buch führt stringent durch die Erzählung, ohne bei den Gefühlszuständen der Beteiligten zu verweilen. Immer wieder erstaunt die Sachlichkeit, mit der Viganò über tiefstes menschliches Leid schreibt. Und überraschenderweise erzeugt genau dieses Vorgehen oft unerwartetes Schaudern bei den Leser_innen.

"Agnese geht in den Tod" war 1951 nur kurzzeitig und nur in der DDR in deutscher Sprache auf dem Buchmarkt erhältlich. In der editionfünf wird das Werk nun in neuer Übersetzung und mit einem historisch aufschlussreichen Nachwort versehen erstmals einem breiten deutschen Publikum zugänglich.

Zur Autorin: Renata Viganò (1900-1976), geboren in Bologna, veröffentlichte schon als junges Mädchen hochgelobte Gedichte, 1933 einen romantischen Roman. Dann wurde die ausgebildete Krankenschwester im Widerstand gegen die Faschisten und Nationalsozialisten aktiv und schrieb von 1945 an Erzählungen und Romane über den politischen Kampf. "Agnese geht in den Tod" ist ihr berühmtestes Werk. Ihr Haus in Bologna war ein bekannter Treffpunkt für Schriftsteller_innen, Philosoph_innen, ehemalige Partisan_innen. (Quelle: Verlagsinformation)

AVIVA-Tipp: Stellenweise wünschen sich RomanleserInnen mehr Spannungsaufbau. Dennoch ist "Agnese geht in den Tod" gerade in seiner sprachlichen Schlichtheit von anerkennenswerter Rarität. Gezeigt wird, wie das Leben eines Menschen inmitten des tobenden Krieges vermeintlich an Wert verliert: Eine/r fällt, ein/e andere/r rückt nach, Ent-Individualisierung allerorts. Und gleichzeitig feiert das Buch doch die Einzigartigkeit eines jeden Menschen und die Macht des Zusammenhalts.


Renata Viganò
Agnese geht in den Tod

Originaltitel "Agnese va a morire"
Band 23 der edition fünf, erschienen 2014
Deutsch mit einem Nachwort von Ulrike Schimming
Hardcover, 315 Seiten
ISBN 978-3-942374-46-0
21,90 Euro
Weitere Infos:
www.editionfuenf.de

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AVIVA-Redaktion