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Beitrag vom 12.03.2015
Elisabeth Asbrink - Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume. Ein jüdisches Schicksal in Schweden
Claire Horst
Für die Journalistin Elisabeth Asbrink beginnt die Geschichte mit einem IKEA-Karton. 500 Briefe enthält er, geschrieben von Josef und Elise Ullmann an ihren Sohn Otto in Schweden. Anfangs kommen...
... sie aus Wien, die letzte Adresse der AbsenderInnen lautet: Theresienstadt.
Die Überbringerin des Kartons voller Briefe ist die Tochter von Otto Ullmann. Mit ihrem Auftrag macht Asbrink sich auf die Reise in die Vergangenheit. Sie lässt die Briefe ins Schwedische übersetzen, wühlt sich durch Archive, führt Interviews.
Die Geschichte, die sie schließlich erzählt, setzt sich zusammen aus gesicherten Fakten und dem Versuch, sich das Vergangene vorzustellen. Manches wissen wir aus den Briefen und Fotos: Die Ullmanns sind eine gutsituierte und gebildete Familie. Der Vater ist Sportreporter bei einer Tageszeitung, Otto erhält privaten Latein- und Englischunterricht und wächst in Geborgenheit zwischen seinen Eltern, Großeltern und Tanten auf.
"Es fällt nicht schwer, sie alle vor sich zu sehen. Beim Spaziergang hielt Mutti Liesl ihren Sohn Otto an der Hand, so lange, wie er es zuließ. Papa Josef war einen Kopf größer als seine Frau, von stämmigem Körperbau und mit deutlich sichtbarer Platte. Er ging gern mit den Händen in den Taschen, und seine weißen Hosen endeten direkt unterm Knie, wo sie in die Strümpfe gestopft wurden. Auf dem Tennisplatz trug er natürlich Weiß. Und Otto? In kleinen Blazern – einem dunkelblauen mit doppeltem Revers, einem blau-weiß gestreiften mit doppeltem Revers-, fast immer mit kurzen Hosen. Er war ja noch ein Kind."
So beschaulich dieses Leben beginnt, so katastrophal nimmt es seinen Lauf. Als die Bedrohung der Juden in Wien zunimmt, als die Hoffnung auf ein baldiges Ende der NS-Herrschaft sinkt und der Kampf ums Überleben immer existentieller wird, ergreifen die Ullmanns eine winzige Chance: Ganze 100 jüdische Kinder werden 1939 über eine christliche Missionseinrichtung nach Schweden verschickt. Otto ist eins dieser Kinder. In den nächsten Jahren besteht ihr Kontakt nur aus Sehnsucht, tröstenden Briefen, Liebe, die hin und her geschickt wird.
Weil wir den dokumentarischen Roman vom Ende her lesen, weil wir wissen, dass Ottos Eltern die Schoah nicht überlebt haben, ist die Lektüre umso bedrückender. Die Autorin macht aus ihrer Wut und ihrem Unverständnis keinen Hehl. Immer wieder drückt sie ihre Erschütterung über die Reaktion der schwedischen Bevölkerung aus, die keineswegs aus lauter GegnerInnen Nazideutschlands bestand. Nicht einmal die vielgerühmte schwedische Neutralität bleibt am Ende übrig. Denn Asbrink zitiert LeserInnenbriefe, Zeitungsartikel und Gesuche verschiedener Berufsverbände, die sich gegen eine Aufnahme jüdischer Flüchtlinge stellen. Schwedische Arbeitsplätze nur für SchwedInnen, das ist der Tenor.
Parallel zu Otto Ullmanns Geschichte, parallel zur Ermordung seiner Eltern in Auschwitz erzählt Asbrink die von Ingvar Kamprad, dem Gründer des Möbelhauses IKEA und reichsten Mann Schwedens. Im Gegensatz zu seiner Selbstdarstellung war Kamprad schon als 16-Jähriger begeisterter Anhänger des Nazis Per Engdahl und leitendes Mitglied von dessen Partei Nysvenska Rörelsen. Wie er es fertigbrachte, zugleich mit dem Juden Otto Ullmann befreundet zu sein, der auf dem Hof von Kamprads Eltern arbeitete (ohne Gegenleistung wurde Asbrink zufolge kein jüdisches Kind in Schweden aufgenommen), lässt Asbrink nicht los. Mit Kamprad hat sie ein Interview geführt, das ebenfalls in das Buch einfließt.
AVIVA-Tipp: Eingefasst ist die Geschichte von Otto Ullmann in die eigene Geschichte der Autorin: Ihre jüdischen Eltern zogen sie in dem Bewusstsein auf, dass ihr Judentum etwas sei, von dem sie niemals sprechen dürfe. Die Empörung darüber, dass die Bedrohung durch den Antisemitismus bis heute ebenso lebendig ist wie die verbreitete Überzeugung, Schweden habe stets richtig gehandelt, trägt die Erzählung. Somit ist der Roman nicht nur eine berührende Biografie, sondern auch ein Werk, das Fakten über historische Zusammenhänge richtigstellt.
Zur Autorin: Elisabeth Asbrink, geboren 1965, lebt als Schriftstellerin, Journalistin, Fernsehproduzentin und Autorin in Stockholm. Sie arbeitet außerdem für Schwedens populärstes Radioprogramm Sommar in P1, wo sie u. a. Sendungen für das frühere ABBA-Mitglied Björn Ulvaeus produziert hat. "Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume" ist ihr drittes Buch, für das sie 2011 mit dem August-Preis für das beste Sachbuch des Jahres ausgezeichnet wurde. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: www.elisabethasbrink.se
Elisabeth Asbrink
Und im Wienerwald stehen noch immer die Bäume. Ein jüdisches Schicksal in Schweden
Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek
Arche Verlag, erschienen im März 2014
Hardcover, 320 Seiten
ISBN 978-3-7160-2710-3
24,95 Euro
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