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Beitrag vom 12.03.2016
Clarisse Thorn - Fiese Kerle? Unterwegs mit Aufreißern. Ein hautnahes Experiment
Laura Seibert
Clarisse Thorn ist Bloggerin, feministische Aktivistin und Schriftstellerin. Sie schreibt und spricht über Subkulturen und Sexualität. Dabei denkt sie vor allem über Männlichkeit und Kommunikation nach und hält Vorlesungen dazu. Zwiespältig.
Auch BDSM und Polyamorie sind wichtige Themen für sie. Nachdem sie an vielen Orten gelebt hat, von Swasiland über Griechenland, lebt sie heute in San Francisco.
Die Community
In ihrem zuletzt erschienenen Buch ´Fiese Kerle?´ (Originaltitel: ´Confessions of a Pickup Artist Chaser: Long Interviews with Hideous Men´) berichtet sie von ihren Erfahrungen mit Pick-Up-Artists (PUAs). Die ´Pick-up-Community´ ist eine riesige Subkultur, die sich der Aufgabe verschrieben hat, Männern beizubringen, wie man Frauen anmacht und schließlich vergewaltigt. Subkulturen faszinieren sie. Mit der PUA-Community kam Thorn zum ersten Mal 2009 in Berührung. Ein paar Jahre zuvor, 2005, veröffentlichte Neil Strauss "The Game", welches ein Jahr später unter dem Titel ´Die perfekte Masche. Bekenntnisse eines Aufreißers´ übersetzt in Deutschland erschien.
Erste Begegnung
Clarisse Thorns Recherche bleibt keineswegs rein theoretischer Art, vielmehr erzählt sie von ihren eigenen Begegnungen mit PUAs, freundschaftlicher, erotischer und intellektueller Art.
Ihre erste Begegnung mit einem Pick-Up-Artist schildert sie folgendermaßen: "Ich begutachtete ihn interessiert… ´Um ehrlich zu sein, ist mir die Pick-up-Community ziemlich suspekt´, sagte ich. ´Das ist verständlich´, sagte James. ´Stichwort Heteronormativität.´ Mein Puls fing an zu rasen. ´Heteronormativität´ ist ein Begriff, der von Gendertheoretikern benutzt wird, um die kulturellen Erwartungen ´normaler´ heterosexueller Geschlechterbeziehungen zu beschreiben. Wenn ein Mann dieses Wort intelligent in einen Satz einbauen kann, werde ich sofort schwach."
Brain Wash oder Empathie?
Diese Ambivalenz der Autorin zieht sich durch das gesamte Buch: Ein Urteil sprechen oder verständnisvoll sein? Auf der Suche nach einer eindeutigen Antwort wird die Leserin nicht fündig. Vielmehr bleibt Thorn dem Motto des Originaltitels treu: Confessions sind es wohl, wenn sie schreibt, dass die Erwähnung von Heteronormativität sie schwach werden lassen. Der stetige Vergleich zwischen den PUAs und sich selbst bringt sie zu dem Schluss, dass sie trotz aller Unterschiede auch einiges mit ihnen teilt:
"Ich verurteile PUAs viel weniger, seit ich mir meine eigenen besessenen Analysen von Dating und Beziehungsregeln eingestanden habe. Wie ich bereits zugegeben habe, brauchte auch ich experimentelle Herangehensweisen, um Leute anzusprechen. Offensichtlich unterscheide ich mich sehr von den meisten PUAs, nicht zuletzt dadurch, dass ich eine Frau bin. Trotzdem habe ich festgestellt, dass ich mit einigen PUs sehr viel gemeinsam habe."
In der Öffentlichkeit ist die PUA-Community für Frauenfeindlichkeit und Sexismus bekannt. Einige sogenannte ´Gurus´ der PUA Community forderten, wie Roosh V im Februar dieses Jahres, Vergewaltigung im Privaten straffrei zu machen. Vor diesem Hintergrund ist der verständnisvolle Blick befremdlich.
Eine frauenverachtende Subkultur
Die Verachtung, die gegenüber Frauen ausgedrückt wird, äußert sich in den von Thorn analysierten Praktiken der Community: So die Last Minute Resistance-Techniken, wie das Freeze-Out (Kalte Schulter), um eine Person zum Sex zu zwingen. Auch die Manipulation durch neurolinguistische Programmierungen im sozialen Miteinander wird gezielt eingesetzt. Die Community verfügt über eine eigene Sprache, die vor allem im Netz gebraucht wird. Als "Target" wird die Person bezeichnet, die der PUA aufreißen möchte. Eine Frau wird in dieser Subkultur prinzipiell "Schlampe" bzw. "Hot Bitch" genannt.
Thorn unterteilt die Aufreißer in sechs Kategorien, die letzte, die "Darth Vaders" sind auf Macht und Rache aus. Die schlimmsten PUAs machen keinen Hehl daraus, dass sie Frauen verachten, misstrauen oder hassen (obwohl sie uns natürlich immer noch vögeln wollen). Aber nicht nur das – sie ziehen auch oft aufs Übelste über andere Männer her.
Beim Lesen muss frau sich einen emotionalen Spagat zwischen Ablehnung und Verständnis seitens der Autorin einlassen. Der in Ratlosigkeit mündet. Denn Thorn bemüht sich sehr, diejenigen aufzuspüren, die sie als "Analytiker" bezeichnet und die die harmloseste Kategorie bilden. Das sind Männer, die die PUA-Community als ein Mittel sehen, Sex und Gender zu verstehen.
Der Versuch, Menschliches in einem entwürdigenden und frauenverachtenden Umfeld zu erkennen, erscheint teilweise sehr bemüht und ist äußerst fragwürdig.
Die Thesen der Clarisse Thorn: feministische Männer und Rape Culture
Schlicht gestrickt erklärt Clarisse Thorn grundlegende feministische Ideen. Positiv bewertet sie die Annäherung an feministische Ansätze, denen manche Mitglieder der Community aufgeschlossen gegenüber stehen. Jedoch stolpert frau dabei über einige zweifelhafte Aussagen: Wenn Männer sich als Feministen bezeichnen, um dadurch ihrem ´Target´ Vertrauen einzuflößen, erwähnt Thorn das als lobenswert. Ist das nicht ein wenig naiv? Sie schreibt zu diesem Einwand: "Ich hoffe, dass dieser Kerl seine feministische Überzeugung nicht übertrieben darstellt, um Frauen rumzukriegen."
Es ist nicht außergewöhnlich, dass Männer sich Feminismus auf die Fahnen schreiben. Hier passen ein paar Zeilen aus Sookies Track "Einige meiner besten Freunde sind Männer": ´Ungefragt erklärt er dominantes Redeverhalten/ Und merkt nicht niemand hat ihn gebeten ´ne Rede zu halten/ Er findet Mackertum voll schlimm und allen Sexistenscheiß/ Aber fragt mich dann, ob ich meine Texte selber schreib´
Clarisse Thorn entlarvt Sex als Handelsware, d.h. Sex im Tausch für Verbindlichkeit, als frauenfeindliches Konzept. Sie stellt die PUA-Strategien den kritischen Vergewaltigungsmythen gegenüber. Es wird offensichtlich, dass PUA zutiefst in der Rape Culture verwurzelt ist.
Die angestrebte Dekonstruktion gängiger heteronormativer Verhaltensweisen gelingt ihr, jedoch beschränkt sich dieser Bruch leider auf die Erfahrungswelt weißer heterosexueller Cis-Frauen. Das mag daran liegen, dass die PUA-Community zum größten Teil aus heterosexuellen weißen Männern besteht.
Subjektivität und Verletzungen
Da ihr Buch fast ausschließlich auf persönlichen Auseinandersetzungen beruht, entsteht schnell das Gefühl, sie bei ihren subjektiven Erfahrungen zu begleiten. Es zeichnet sich durch diese konkreten Erlebnisse aus, liest sich dadurch manchmal aber auch wie ein Potpourri aus persönlichen Erfahrungen. Gegen Ende ihres Buches schreibt Clarisse Thorn nach einem Wochenende auf einem PUA Treffen: "Ich versuchte mich daran zu erinnern, dass ich ein wertvoller Mensch war und kein Stück Fleisch. Ich versuchte mir die PUAs ins Gedächtnis zu rufen, die Frauen respektieren…"
Ihr Selbstbewusstsein hat sehr unter dem intensiven Kontakt mit der PUA-Community gelitten. Auf diese emotionale Ebene muss die Leserin vorbereitet sein.
AVIVA-Tipp: Es ist wichtig, dass Clarisse Thorn ihre Erfahrung mit der PUA-Community für andere Menschen in Form eines Buches zugänglich macht. Es ist wichtig, dass jemand aufzeigt, welche seelischen Schäden in einer zutiefst frauenfeindlichen Umwelt entstehen. So lässt sich ihre Entscheidung, der PUA Community schließlich den Rücken zuzukehren, als ihr persönliches Statement verstehen. Einmal mehr wird deutlich, wie wirkmächtig struktureller Sexismus und Frauenverachtung sind. Sehr aufschlussreich ist die Sammlung weiterführender Links im Schlussteil des Buches, mit Verweisen zu aktuellen Studien und Internetseiten zum Thema Sexualität, Feminismus, sexualisierter Gewalt und PUA-Community. Wer Interesse hat, das Thema weiterzuverfolgen, wird hier fündig.
Zur Autorin: Clarisse Thorn ist ein Multitalent. Sie hat im öffentlichen Gesundheitswesen, im Game Design und in Buchhandlungen gearbeitet. Insgesamt hat sie bereits sechs Bücher veröffentlicht, Fiktion und Sachbücher gleichermaßen. Darunter ´Switch Seductress´, ´The S&M Feminist´, sowie ´BDSM & Culture´. Ihren Lebensunterhalt verdient sie mit Content-Strategie im Organisieren digitaler Inhalte und User Research.
Mehr Infos auf ihrem Blog ihrer Website unter: www.clarissethorn.com
Zur Ãœbersetzerin: Tara Christopeit ist freiberufliche Ãœbersetzerin und dolmetscht Englisch-Deutsch sowie Deutsch-Englisch. Sie studierte an der FU Berlin Nordamerikastudien und Kunstgeschichte.
Mehr Infos auf ihrer Website unter: tarachristopeit.com
Clarisse Thorn
Fiese Kerle? Unterwegs mit Aufreißern. Ein hautnahes Experiment
Originaltitel: Confessions of a Pickup Artist Chaser: Long Interviews with Hideous Men
Ãœbersetzung: Tara Christopeit
Eden Books, erschienen im Mai 2013
Taschenbuch, 320 Seiten
ISBN 9783944296043
Ladenpreis 9,95 Euro
www.edel.com/de
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FREE THE NIPPLE
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Julia Korbik - Stand Up! Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene
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