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Beitrag vom 29.03.2016
Susanne Mayer - Die Kunst, stilvoll älter zu werden. Erfahrungen aus der Vintage-Zone
Christina Mohr
Älterwerden betrifft uns alle und jagt uns dennoch immer wieder leisen Schrecken ein: Senil und runzlig werden – ich doch nicht! Oder? Die Journalistin Susanne Mayer stellt sich dem Thema gut gekleidet und mit erhobenem Kinn...
"Die Kunst, stilvoll älter zu werden" ist ein leises Buch, es hat nichts gemein mit schrillen "jetzt-erst-recht!"-Pamphleten, die derzeit so angesagt sind. Die Journalistin und Literaturkritikerin Susanne Mayer, Jahrgang 1952, wurde von einer jüngeren Kollegin dazu ermuntert, "doch auch mal ein Buch über ihr Alter" zu schreiben, und frau kann/darf sich vorstellen, dass Mayer, ein wenig bestürzt ob dieses Ansinnens, zunächst ein wenig nachdenken musste, bevor sie sich an die Arbeit machte. Und vielleicht als erstes zum Friseur ging, um die Ansätze nachfärben zu lassen, oder in eine Boutique, ein neues Kostüm erstehen: Um Stil, respektive Äußerlichkeiten geht es oft in diesem Buch, und die eine oder andere Leserin mag das befremden. Andererseits: Was zählt, was bleibt, wenn die Tage gezählt sind, frau selbst angezählt ist?
Mayer begegnet dem Wissen um die Endlichkeit mit Wehmut und durchaus spürbarer Furcht, aber auch mit Würde, Belesenheit und vor allem: Stil. Sie will die Alten (und auch sich selbst, die ja noch gar nicht sooo alt ist) dem Verschwinden, dem Übersehenwerden entreißen, (wieder) sichtbar machen. Sie erteilt "Übungen zum Wahrnehmen älterer Damen und Herren" und ergeht sich in detaillierten Beschreibungen markant gekleideter SeniorInnen, die ihr in Hamburg, New York City, Berlin, Florenz begegnen (die modernen Silver Ager sind KosmopolitInnen, wie die Autorin): "Sie trägt eine weiße Hose und dazu eine orientalische, fein gesteppte Jacke aus korallenroter Seide (…) Gehwagen."
Wer solcherlei Darstellungen oberflächlich findet, wird auch dem berühmten Ausspruch Oscar Wildes, dass nur oberflächliche Leute nicht nach dem Aussehen urteilten, nichts abgewinnen können. Für Susanne Mayer sind Oberflächlichkeiten bzw. die modische und kosmetische Sorge um sich selbst sichere Indizien dafür, dass hier, in dieser "grand old Schachtel" noch Leben stattfindet, dass der oder die gebückte Alte das Ableben längst noch nicht im Sinn hat, sondern den Lebensabend mit Inhalt und Schönheit zu füllen gedenkt. Mayer selbst hält nicht damit hinterm Berg, zwecks Erhaltung jugendlicher Frische Ayurveda-Farmen auf Sri Lanka besucht zu haben.
Ihr Buch handelt jedoch beileibe nicht nur von Schönheitstipps: So kommt sie immer wieder auf die noch immer mangelhafte berufliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung von Frauen zurück – eins ihrer Lebensthemen, dem sie sich in Wort und Tat widmet. In vielen Rückblicken beschreibt Susanne Mayer das Erstaunen über die rasch vergangenen Jahre, den schnellen Werdegang vom aufrührerischen Teenie zur bewussten Mutter und jetzt – kaum zu glauben – zur begeisterten Gärtnerin. Gärtnern als Signum des Alterns? Vielleicht ist da etwas dran, Mayer hat jedenfalls an ihren blühenden Schätzchen ebenso viel Freude wie an der Retro-Latzhose, die sie als Fashion-Statement zum Buddeln und Jäten trägt. Das "Ich als Peinlichkeitsfaktor" ist ihr so wenig fremd wie das "Ich als Witzfigur" (Kapitelüberschriften) – sich selbst und andere nicht schonend, berichtet sie aus der "Vintage-Zone", die bekanntlich etwas anderes ist als Retro.
AVIVA-Fazit: Ein nachdenkliches Buch, das dem Älterwerden mit Stil, Klugheit und Wehmut gleichermaßen begegnet. Noch stilvoller wäre es allerdings gewesen, so manche Behauptung faktisch abzusichern: Dass Sheryl Sandberg neuerdings Google-Chefin sein soll, wirkt ebenso schludrig wie "John" Rusbridger als ehemaliger Chefredakteur des Guardian. Das sind natürlich Kleinigkeiten – aber wie Frau Mayer ja mehrfach betont, kommt es im Leben auf die Details an.
Zur Autorin: Susanne Mayer, geboren 1952, ist Kulturreporterin und Literaturkritikerin der Wochenzeitung Die Zeit. Für ihre Arbeiten wurde sie 1985 mit dem Theodor-Wolff-Preis sowie 1990 und 1994 mit dem Emma-Journalistinnen-Preis ausgezeichnet. Zu ihren Themen-Schwerpunkten gehört auch die Familienpolitik. Sie hat zwei Söhne und lebt in Hamburg. 2005 erschien ihr erfolgreiches Buch "Deutschland armes Kinderland. Wie die Egogesellschaft unsere Zukunft verspielt - Plädoyer für eine neue Familienkultur".
Susanne Mayer auf Twitter: twitter.com
Susanne Mayer
Die Kunst, stilvoll älter zu werden. Erfahrungen aus der Vintage-Zone
Berlin Verlag, erschienen 01.03.2016
Laminierter Pappband, 224 Seiten
ISBN: 978-3-8270-1300-2
20 Euro
www.berlinverlag.de