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Beitrag vom 09.08.2016
Kathrin Umbach - Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch
Yvonne de Andrés
Im erzkonservativen deutschen Kaiserreich wurden Künstlerinnen verächtlich als "Malweiber" abgetan. Ihr Mekka der Kunst und der Ort, an dem ihnen ein selbstbestimmtes künstlerisches Leben möglich war, war Paris.
In die Welt hinaus - in die Selbstbestimmung
"So kurz und eng die Rue de la Grande Chaumière auch ist, so war sie doch damals so etwas wie ein Weltzentrum. Hier lagen die Akademien Colarossi und Grande Chaumière, zu denen täglich zahllose Kunststudierende aus aller Welt pilgerten, und sie mündete auf den Boulevard Montparnasse gerade gegenüber dem Café du Dôme, wo die wichtigsten Kunstfragen von den bedeutendsten Künstlern diskutiert wurden." Das Ziel um 1900 für die zehn vorgestellten Malerinnen Martha Bernstein, Ida Gerhardi, Annemarie Kirchner-Kruse, Käthe Kollwitz, Sabine Lepsius, Paula Modersohn-Becker, Marg Moll, Clara Rilke-Westhoff, Maria Slavona und Mathilde Vollmoeller-Purrmann hieß Paris. Im "Mekka der Kunst" wehte der Duft der Liberalität und der persönlichen und künstlerischen Freiheiten, hier konnten sie an den angesagten Kunstakademien uneingeschränkt studieren.
1914 blieb den Frauen in Deutschland das Studium noch verwehrt. Ihre Kunst hatten sie in privatem Unterricht erlernt. Im Kaiserreich galt es als unanständig, wenn Frauen künstlerischen Ehrgeiz entwickelten, Kreativität war nur im häuslichen Bereich gern gesehen. Zwar gab es an der Stuttgarter Kunstakademie auch "Damenklassen", doch hierfür benötigten sie die schriftliche Erlaubnis der Eltern. Außerdem war für Malerinnen das Studium verkürzter, eingeschränkter, und finanziell überteuerter als das ihrer männlichen Kollegen. Aus dem Unterricht der Aktmodelle waren Malerinnen ausgeschlossen. So erklärt sich, warum das Sujet des Stilllebens so häufig verwendet wurde. Die Ausbildungssituation von Künstlerinnen um 1900 setzte einen starken Willen, viel Energie und Unbeirrbarkeit voraus, um den Lebenstraum und Berufswunsch, "Malerin" zu werden, umzusetzen.
Der Begriff "Malweiber" klingt in unserem heutigen Verständnis dynamisch und positiv, das Schimpfwort von Damals hat eine Umdeutung zu einem sympathischen Ehrentitel erfahren.
Vorurteile und Karikaturen, wie die im "Simplicissimus" abgebildeten, geben Auskunft über die Engstirnigkeit der Atmosphäre im Kaiserreich. Die Malerinnen wurden als verbiestert, hässlich und talentlos dargestellt, dazu sagte man ihnen "ein wildes Leben in der Bohème nach".
Martha Bernstein (1874-1955) setzte diesem Klischeebild ironische Schwarz-Weiß-Tuschezeichnungen entgegen: "Und da sagt man, dass Malerinnen nicht gut aussehen!" Die Malerin, Karikaturistin, Buchautorin, Vortragsrednerin und Journalistin wuchs in einem musischen Umfeld auf und entschloss sich schon im Alter von 16 Jahren, Kunst zu studieren. Sie überlebte den Holocaust, indem ihr 1941 die Flucht in die Schweiz gelang.
Die Wege der im Katalog "Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch" vorgestellten Malerinnen haben sich in Paris mehrfach gekreuzt, in den Akademien oder im kosmopolitischen Montparnasse-Viertel, wo alle gewohnt haben.
Ida Gerhardi (1862-1927) war wie Käthe Kollwitz und Maria Slavona zunächst an der Damenakademie in München ausgebildet worden, bevor sie 1891 nach Paris ging, um an der Acadèmie Colarossi zu studieren. Es war eine beliebte Privatschule, vor allem bei jungen Frauen und ausländischen Studierenden. Sie malt Tanzbilder, weibliche Akte und Selbstbildnisse. Ida Gerhardi ist nicht nur eine hervorragende Malerin, sie weiß sich auch zu vermarkten. Sie nimmt Kontakt auf zum Mäzen und Museumsgründer Karl Ernst Osthaus, der die Eröffnung seines Folkwang-Museums plant. So öffnet sie ihm die Ateliers von Auguste Rodin, Aristide Maillol, Henri Matisse und Maurice Denis und vermittelt so Ankäufe für dessen Museum. Sie pflegte Freundschaften mit Käthe Kollwitz und mit Maria Slavona. Eine große Hilfsbereitschaft zeichnet sie aus. Käthe Kollwitz, die zeitweilig ihre Nachbarin war, schätzte sich glücklich, sie zu kennen: "Sie war in Paris zuhause, das ihr nicht verschlossen war, überall stand sie gut mit den Menschen und fand sie Eingang."
Sabine Lepsius (1864– 1942) war die Tochter des Historienmalers Gustav Graef und dessen Schülerin. Zwei Leidenschaften bewegten sie: Malerei und Musik. Da sie trotz großer Musikalität an der Königlichen Akademischen Musikhochschule in der Komponistenklasse als Frau abgewiesen wurde, wandte sie sich der Malerei zu. Sabine Lepsius und Maria Slavona zog es bereits in den1890er Jahren nach Paris. Sabine Lepsius studierte wie auch Käthe Kollwitz an der Privatakademie von Rodolphe Julian. Sabine Lepsius schreibt: "Wir wurden ernst genommen! Jede Schülerin wurde in ihrer Eigenart bestärkt." In einem Brief an ihren späteren Mann Reinhold Lepsius schreibt sie: "Ich bin ganz glücklich über meinen verspäteten Frühling und lebe ihn so gern, dass ich wirklich nicht mehr an andere Jahreszeiten denke. – Ich tanze." Sie hat sich in Paris als erfolgreiche Porträtmalerin bewiesen. 1892 heiratet sie den Maler Reinhold Lepsius und zieht mit ihm nach München und später nach Berlin. Ohne ihre Zusage, mit ihren Porträts zum Familieneinkommen beizutragen, wäre die Ehe womöglich nicht geschlossen worden. In ihren Briefen beklagt sie die Doppelbelastung als Künstlerin und Mutter von vier Kindern: "Ich war nur zum Geldverdienen auf der Welt. Schade um die Gaben." 1900 porträtiert sie ihre Schülerin Mathilde Vollmoeller. 1908 lädt diese sie nach Paris ein. Sabine Lepsius in ihrem Brief an Mathilde Vollmoeller: "Was Sie da schreiben, ist für mich eine absolute Versuchung, der ich sicher nicht widerstehen werde. [...] – Wie lieb, wie reizend, dass Sie so an mich denken! Ich bin es gar nicht mehr gewöhnt. – Bin vielmehr nur noch gewöhnt, dass man mich aufgibt, weil ich zu sehr von meinen Kindern und sonstigen Pflichten in Anspruch genommen bin." 1908 wird eines ihrer Gemälde aus der Berliner Secessions-Ausstellung ausgeschlossen. Sabine Lepsius war wie Käthe Kollwitz und Martha Bernstein Mitglied des Berliner Lyceums-Club. Die Aufgabe bestand darin, künstlerisch und wissenschaftlich tätigen Frauen durch Veröffentlichungs- und Ausstellungsmöglichkeiten ein Forum zu bieten. Nach dem Tod ihres Mannes 1922 erlebt sie noch eine intensive Schaffensperiode.
Mathilde Vollmoeller-Purrmann (1876– 1943) stammte aus einem reichen, bürgerlichen Elternhaus. Der Vater besaß das größte Textilunternehmen seiner Zeit. Mit 21 Jahren zog sie 1897 nach Berlin. Sie wird Schülerin und Vertraute von Sabine Lepsius. In deren Salon begegnet sie der geistigen und künstlerischen Avantgarde. 1906 zog es die junge Frau nach Paris, wo sie ein Atelier mietet und ihre Studien an der Académie de la Grande Chaumière fortsetzt. Ihr Wunsch war es, sich die Existenz als selbständige Malerin aufzubauen. 1907 folgten mehrere erfolgreiche Ausstellungen. Ihre intensive Beschäftigung mit der Malerei von Cézanne macht sich in ihren Arbeiten bemerkbar, dann folgt Matisse, in dessen Malschule sie studiert. Hans Purrmann, ihr späterer Mann, schreibt in einem Brief über sie: "Ihre technisch bereits entwickelte Malerei gewinnt an Ausdruckskraft. [...] Die Kompositionen werden immer kühner. Von Matisse lernte sie, den Bildhintergrund als Fläche zu begreifen und durchzustrukturieren. Dekorative Elemente wie textile Muster und andere Ornamente tauchen auf." 1912 findet die Malerin Gefallen daran, mit der Eheschließung ihr freies selbstbestimmtes Künstlerinleben aufzugeben. Sie entscheidet sich, anders als Sabine Lepsius und Marg Moll, gegen Personal und wechselt von der Rolle der Malerin zu der einer Ehefrau und Mutter. Ab 1935 leitet das Ehepaar ein Refugium für vom Nationalsozialismus verfolgte Künstlerinnen und Künstler in Florenz, die Villa Romana.
AVIVA-Tipp: Der gut komponierte Katalog stellt zehn "Malweiber" vor, die ganz unterschiedliche künstlerische als auch persönliche Wege eingeschlagen haben. Mit zahlreichen Fotos, Textdokumenten und Werkabbildungen werden die Lebens-, Liebes- und Schaffenswege der zehn Künstlerinnen nachgezeichnet und das jeweils Charakteristische ihres Werkes erläutert. Paris und das KünstlerInnenviertel Montparnasse als die zentralen Orte im künstlerischen Leben aller Portraitierten kommen ebenfalls zur Sprache, denn hier haben sie wesentliche Impulse für ihre Arbeiten erfahren. Eine schöne, dichte Lektüre, die Lust macht, sich mit den Künstlerinnen noch intensiver zu beschäftigen.
Zur Autorin: Kathrin Umbach, Kunsthistorikerin, hat die aufwendige Ausstellung ("Die Malweiber von Paris. Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch", 10.6.–11.9.2016, Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard) drei Jahre lang vorbereitet und kuratiert. Sie fragte dafür bei privaten LeihgeberInnen zahlreiche Werke der Künstlerinnen an, die zum Teil noch nie öffentlich gezeigt wurden. Als Autorin hat Kathrin Umbach an dem Band "Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900" mitgearbeitet.
Kathrin Umbach
Die Malweiber von Paris
Deutsche Künstlerinnen im Aufbruch
Hrsg. von Helga Gutbrod, Leiterin des Edwin Scharff Museums Neu-Ulm
Gebrüder Mann Verlag, erschienen im September 2015
Hardcover, 136 Seiten mit 84 Farbabbildungen
19,80 Euro [D] 25,30 Euro [A]
ISBN: 978-3-7861-2749-9
www.reimer-mann-verlag.de
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Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900
Herausgegeben von Susanne Conzen, Hilke Gesine Möller und Eckhard Trox
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"Paris bezauberte mich". Käthe Kollwitz und die französische Moderne von Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knesebeck (Hrsg.)
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