Annelie Ramsbrock - Korrigierte Körper. Eine Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 06.12.2016


Annelie Ramsbrock - Korrigierte Körper. Eine Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne
Hai-Hsin Lu

"Schönheit", ein Konzept, das ungemein gesellschaftlichen Einfluss nimmt – die Wissenschaftlerin dekodiert das mystifizierte Konzept, indem sie die Herausbildung von "Kosmetik" historisch betrachtet.




Wann wird ein Mensch als schön angesehen? Die unzähligen Werbeplakate, die flackernden Bildschirme und leuchtenden Anzeigen aus unserem Alltag scheinen eine direkte Antwort parat zu haben: Symmetrie, Jugend, Muskeldefinition und Gesundheit. Manchen fällt es leicht, diese überwältigende Bilderflut als "natürlich" abzutun, unseren Sinn für Schönheit als etwas gänzlich Evolutionsbiologisches. Doch ist es wirklich so einfach? Annelie Ramsbrock widmet sich im Rahmen ihres Werkes der Frage nach Schönheit, indem sie aus einer kultur-historischen Perspektive die Geschichte der modernen Kosmetik skizziert.

Die Suche nach dem "Normalzustand"

Schönheitschirurgie, korrektive Eingriffe, die Entfernung von Narben, das Auftragen von Puder und Rouge – keine von den Praktiken, die in der heutigen Zeit an Alltäglichkeit gewonnen haben, können außerhalb des Narrativs der Normierung betrachtet werden. Ramsbrock schreibt über den Anspruch der Medizin, bzw. der Naturwissenschaften, den "Normalzustand" eines menschlichen Körpers zu erfassen. Diese normative Vorstellung von Gesundheit war und ist ausschlaggebend für die Ausrichtung von Kosmetik.

Schönheitsideale als Produkt von Gesellschaft

Die Autorin lässt schon auf den ersten Seiten des Buches keinen Zweifel aufkommen: Sowohl medizinische Normen, als auch Schönheitsideale und die ihr angepassten kosmetischen Praxen, entstehen aus gesellschaftlichen Zusammenhängen. So schreibt Ramsbrock über "korrigierte Körper": "[…] stellen zudem ein gesellschaftliches Ordnungssystem dar und geben Auskunft über soziale, kulturelle und politische Werte."

Das Zusammenspiel zwischen gesellschaftlichen Normen und Ausübung von medizinischer Wissenschaft hat die jeweiligen Schönheitsideale als Ergebnis. Ramsbrock konstatiert daher, dass die Feststellung eines schönen Körpers nicht wirklich "Geschmackssache" sei, sondern viel mehr ein "Erkenntnisurteil".

Eine Wissensreise durch die Jahrhunderte

Chronologisch vorgehend beginnt die Autorin im 18. Jahrhundert, um die wissenschaftlichen Voraussetzungen der Kosmetik zu skizzieren. Die enge Verflechtung zwischen Schönheit und Gesundheitspflege markierte den Beginn des "kosmetischen Verwissenschaftlichungsprozesses", den Ramsbrock im darauffolgenden Kapitel beleuchtet. Hygiene galt als Leitbild der Kosmetik des 19. Jahrhunderts und das Wissen über Reinlichkeit und Schönheit wurden durch Schönheitsratgeber popularisiert.

Ramsbrock stellt ohne Weiteres fest, dass diese Ratgeber gleichsam einer "Verhaltensanleitung" glichen, die Vorgaben zum idealtypischen Lebensstil auflisteten. Dies ist auch Frauen heutzutage nicht fremd – genügend Magazine, Blogs und Werbeplakate geben vor, wie ein gesundes Leben auszusehen hat. Beispielsweise kann reine, glatte Haut und eine schlanke Figur als Indikator von sowohl Gesundheit als auch Schönheit fungieren. Beides ist in der Darstellung unabdingbar miteinander verflochten und voneinander abhängig.

"Körper als Träger sozialer Symbole"

Daraufhin wendet sich Ramsbrock der Entstehung der professionellen, medizinischen Kosmetik zu, die Eingriffe in den Körper ermöglichten, die nicht mehr strikt im Namen der physischen Gesundheit geschahen. Mit der wachsenden Möglichkeit, Kosmetik zu konsumieren, verschoben sich auch die Grenzen des Akzeptablen: In den 1920er Jahren wurden beispielsweise "Entstellungen", das heißt, physische Makel, als ein soziales Problem der unteren Klassen identifiziert, das es mit "sozialer Kosmetik" zu beheben galt.

An dieser Stelle wird deutlicher denn je, dass Schönheit zutiefst mit Gesellschaft, Macht und Normierung verbunden ist und auf keinster Weise unveränderbaren Fakten unterliegt. Annelie Ramsbrock hat mit ihrem fundierten Werk unsere Körper, die tagtäglich "Korrekturen" erfahren, gesellschaftlich und kulturell eingebettet. Ihr geschärfter Blick auf die historische Entstehung von Kosmetik und den daraus folgenden sozialen Implikationen gibt dem Buch kritische Tiefe, die auf den Werbeplakaten und Magazinumschlägen so sehr fehlen.

AVIVA-Tipp: Annelie Ramsbrock meistert die klischeefreie Erzählung von Schönheitsidealen und Kosmetik und verliert zu keinem Moment ihr kritisches, gesellschaftanalytisches Objektiv aus den Augen.

Zur Autorin: Annelie Ramsbrock studierte Geschichte, Germanistik, Evangelische Theologie und Kunstgeschichte an der Universität Bielefeld und der Johns Hopkins University. Sie promovierte an der Freien Universität Berin in Neuerer Geschichte und lehrt seit 2013 am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität Berlin als Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Seit 2009 ist sie Mitarbeiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, wo sie u.a. das Projekt "Geschlossene Gesellschaft. Eine Geschichte der Resozialisierung in der Bundesrepublik Deutschland (1950-1990)" mitgestaltete. Ihre Forschungsschwerpunkte beinhalten die Kultur- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Körper- und Wissenschaftsgeschichte. "Korrigierte Körper" erschien 2015 in Englischer Übersetzung beim Verlag Palgrave-Macmillan unter dem Titel "The Science of Beauty. Culture and Cosmetics in Modern Germany, 1750-1930”. Ebenfalls im Wallstein Verlag von Annelie Ramsbrock erschienen ist das Buch "Fotografien im 20. Jahrhundert. Verbreitung und Vermittlung".
Weitere Informationen zur Autorin unter: www.zzf-pdm.de

Annelie Ramsbrock
Korrigierte Körper. Eine Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne

Wallstein Verlag, erschienen 2011
Hardcover, 309 Seiten, 29 Abbildungen
ISBN 978-3-8353-0833-6
29,90 Euro
www.wallstein-verlag.de

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Beitrag vom 06.12.2016

AVIVA-Redaktion