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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 24.04.2017


Sarah Schmidt - Weit weg ist anders
Ahima Beerlage

Mit ihrem Berlin-Roman "Eine Tonne für Frau Scholz" hat sie ihr Lesepublikum begeistert. Nun folgt ihr ganz eigenes Road-Movie in Romanform. Die beiden älteren Heldinnen: eine knarzige Berlinerin und eine esoterisch angehauchte Husumerin, die sich ...




.. auf eine letzte Abenteuerreise begeben, bevor eine von ihnen von ihrer Tochter in ein Pflegeheim gesteckt wird.

Edith Scholz ist seit dem Tod ihres Mannes allein. Manchmal fehlt er ihr. "Er hat allerdings auch ziemlich oft gestört. Wenn sie nur daran denkt, wird sie schon nervös. Immer kamen Geräusche aus ihm raus. Das muss doch nicht sein, dieses Ächzen und Naseschnauben, wie ein Elefant, das Aufstoßen und beim Sex, (...) ob das normal war." Jetzt ist Edith gern allein. Dummerweise ist sie aber in ihrer Wohnung gestürzt und liegt am Boden, vor Schmerzen unfähig aufzustehen. Da die Nachbarn unter ihr ausgezogen ist, wird sie wohl auch keiner finden. Sie schließt bereits mit ihrem Leben ab. Doch ihr Postbote wundert sich, dass sie nicht öffnet und ruft die Polizei. Gerade rechtzeitig wird sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht.

Zwei neue Hüftgelenke werden ihr eingesetzt und sie muss in die Reha-Klinik auf Usedom. Das passt der eigenbrötlerischen Edith gar nicht. Wenigstens hat sie ein Einzelzimmer, denn Gesellschaft ist das letzte, was sie will. Lieber liest sie ein gutes Buch auf dem Balkon, ein Luxus, den sie in Berlin nicht hat.
"Himmel mit Möwen. Bienen. Und Sonne. Sie war so vertieft, dass sie nicht hörte, wie es an der Zimmertür klopfte. Mehrmals klopfte, und sie hörte auch nicht, wie die Tür vorsichtig geöffnet wurde und eine Frau verlegen erst den Kopf, dann den ganzen Körper ins Zimmer steckte und zum Balkon kam. ´Ich möchte nicht stören, aber…´ Frau Scholz fuhr entgeistert hoch. ´Sind sie verrückt! Wie können Sie mich so erschrecken?´ ´Entschuldigen Sie, das war nicht meine Absicht. Ich dachte nur, Sie wollten vielleicht auch ein Stück Torte.´ Zögernd streckte sich ein Arm mit einer Hand mit einem Teller Kuchen unter ihre Nase. (...) ´Sie sind wahnsinnig! Raus!´ Frau Scholz war außer sich. So eine dumme Nuss!"

Die erste Begegnung zwischen der sanften Christel Jacobi aus Husum, die sich für Yoga und Handarbeiten begeistert, und der bärbeißigen Edith Scholz hätte nicht schlimmer laufen können. Doch Frau Jacobi gibt nicht auf. Und doch finden die beiden Frauen über die Tücken des Alltags in einer solchen Klinik zumindest eine Art Waffenstillstand. Edith muss sich sogar insgeheim eingestehen, dass diese Frau Jacobi nicht so übel ist.

Als die Frauen in ihre gewohnte Umgebung zurückkehren, gibt es für beide ein böses Erwachen. Edith muss unerträglichen Renovierungslärm aushalten und Christel soll nach dem Willen ihrer Tochter in ein Pflegeheim. Christel fühlt sich bedrängt und lockt Edith nach Husum, von der sie sich mehr Verständnis erhofft. Edith will nicht wirklich, nutzt aber die Gelegenheit, um dem Lärm im Haus zu entfliehen – und um das Meer zu sehen. Kaum in Husum angekommen, lässt Edith sich von Christel in ein Abenteuer hineinziehen. Der überfürsorglichen Tochter von Christel erzählen die beiden, sie wollten sich Pflegeeinrichtungen im ganzen Land ansehen. Tatsächlich wollen sie noch einmal aus dem Vollen schöpfen. Ihr ganz eigenes Roadmovie beginnt.

Der Plot, in dem alte Menschen vor dem Einzug in ein Pflegeheim noch einmal dem entmündigenden Alltag entfliehen wollen, ist nicht wirklich neu. Es gelingt der Autorin aber, die beiden Frauen und die Menschen, die ihnen begegnen, durch eine teilweise gesprochene Sprache in Schriftform eine eigene Tiefe zu geben. Dadurch werden die Charaktere mehrdimensional und entziehen sich allen Klischees von alten Frauen.

AVIVA-Tipp: Zwei Frauen um die 70 versuchen ein letztes Mal, sozialer Kontrolle zu entfliehen und ein Abenteuer zu erleben. Dass die beiden streitbaren Frauen dabei weder zu Karikaturen noch zu lieben Omis mutieren, verdanken sie der mutigen Erzählweise Sarah Schmidts. Die bärbeißige Berlinerin Edith ist in ihrer harten Ehrlichkeit zwar ein Gegenpol zur esoterisch-sanften Christel, doch beide Frauen stehen nicht eindimensional gegeneinander. Hinter Christels scheinbarer Sanftmütigkeit steckt eine gehörige Portion Durchsetzungsfähigkeit und Manipulation, hinter Ediths rüden Art steckt Loyalität und Mitgefühl. Ihre Abenteuer sind nicht spektakulär, dafür aber anrührend erzählt, ohne kitschig zu sein. Eine lesenswerte Anregung, Alter einmal anders zu sehen.

Zur Autorin: Sarah Schmidt wurde 1965 in Dinslaken am Niederrhein geboren und zog 1976 mit der Familie nach Westberlin. Sarah Schmidt lebt als freie Autorin in Berlin. 2003 erhielt sie ein AutorInnenstipendium im Rowohlt-Ledig House, New York und debütierte 2004 mit ihrem Roman "Dann machen wir`s uns selbst". 2007 veröffentlichte sie einen Band mit Erzählungen unter dem Titel "Bad Dates", 2014 erschien der Roman "Eine Tonne für Frau Scholz", der auf der "Hotlist" der unabhängigen Verlage stand – und damit zu den zehn besten Büchern des Jahres gehörte. Für "Weit weg ist anders" erhielt sie ein Arbeitsstipendium des Berliner Kultursenats. (Verlagsinformationen)
Die Autorin im Netz: www.sarah-schmidt.de
Lesungstermine finden sich unter: www.sarah-schmidt.de/termine

Sarah Schmidt
Weit weg ist anders

Insel Verlag im Suhrkamp Verlag, erschienen 6. März 2017
Klappbroschur, 261 Seiten
12,95 Euro
ISBN:978-3-458-36256-2
www.suhrkamp.de

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Sarah Schmidt - Eine Tonne für Frau Scholz
Eine Mittvierzigerin, die im McJob ihrer Studienzeit hängengeblieben ist und im letzten unsanierten Altbau der Gegend wohnt, ohne FreundInnen oder interessante Hobbys – das klingt nicht besonders aufregend. Weil die Autorin aber Sarah Schmidt heißt, entsteht aus diesem Plot eine hochkomische und intelligente Erzählung, deren ProtagonistInnen zu den sympathischsten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehören. (2014)

Sarah Schmidt - Bad Dates
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Dann machen wir´s uns eben selber, der Debütroman von Sarah Schmidt
"Dann machen wir´s uns eben selber" erzählt die schicksalhafte Geschichte zweier Kreuzbergerinnen. Die alleinerziehenden und völlig abgebrannten Mütter drehen ein ziemlich dickes Ding. (2004)



Literatur

Beitrag vom 24.04.2017

Ahima Beerlage