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Beitrag vom 12.06.2017
Paula Modersohn-Becker - Der Weg in die Moderne. Herausgegeben von Kathrin Baumstark und Uwe M. Schneede
Yvonne de Andrés
Die unangepasste und radikale Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907) war eine Wegbereiterin der Moderne, und Vorreiterin des Expressionismus. Ein anlässlich der Ausstellung im Bucerius Kunst Forum Hamburg im Frühjahr 2017 erschienener Katalog eröffnet neue Blicke auf ihr Werk.
Der Kinofilm "Paula - Mein Leben soll ein Fest sein" mit Carla Juri in der Titelrolle, der im Winter 2016 im Kino lief und am 26. Mai 2017 auf DVD erschien, hat neue Aufmerksamkeit auf Paula Modersohn-Becker gerichtet. Im Fokus des Katalogs "Paula Modersohn-Becker, Der Weg in die Moderne" liegt die künstlerische Neubetrachtung der Arbeiten von Paula Modersohn-Beckers sowie ihr Weg zur Moderne.
Ihr Werk fiel in eine Zeit zwischen zwei grundverschiedenen KünstlerInnengenerationen: den SpätimpressionistInnen und den ExpressionistInnen.
1914 waren Frauen in Deutschland noch nicht an den staatlichen Akademien zum Studium zugelassen. Ihre Kunst erlernten sie zumeist durch Privatunterricht und in Malschulen. Auch für Paula Modersohn-Becker war die Ausbildung außerordentlich schwierig. Es bedeutete viel Mut, und den gewaltigen Drang, Künstlerin werden zu wollen, um diesen Weg auf sich zunehmen. Das liberalere Paris, wo es private, professionelle Kunstakademien gab, an denen auch Frauen arbeiten konnten, war damals ein wichtiger Anziehungspunkt. Von Worpswede aus fuhr Paula Modersohn-Becker immer wieder nach Paris: "Als Ergänzung meines hiesigen etwas einseitigen Lebens". Unterschiedlich lang waren die Aufenthalte. Der letzte dauerte gut ein Jahr. "Paris ist für mich die Stadt. Schön und sprudelnd und gärend und man selbst taucht ganz darin unter", schreibt Paula Modersohn-Becker am 16. April 1904 in einem Brief an Otto Modersohn. Sie wollte dort malen lernen, Kontakte erhalten, und sich in Privatsammlungen und Galerien ein Bild über die zeitgenössische Kunst machen sowie Anregungen holen.
Zwei Konflikte bestimmten ihr Leben wesentlich: die von Männern dominierte Bilderwelt lehnte ihre Bilder ab und zollte ihrem Werk keine Anerkennung. Ihre eigenständige Art, neue Bildmittel zu entwickeln - leuchtende, flächig aufgetragene Farben, eine ausdrucksstarke Formensprache von großer Einfachheit, alltägliche Motive zu wählen-, wurden im Kreise der Worpsweder nicht goutiert. Ihre Themen waren häufig Fruchtbarkeitsvorstellungen, Mutter und Kind, das bäuerliche Leben, ernste Portraits und Figuren in der Landschaft. Ihr empathisch beseelter Blick auf Personen und Gegenstände/ Motive berührt uns auch heute nochund lässt die Intensität der Empfindungen der Malerin spüren. "Nicht das Seelenleben, nicht die Psychologie interessierte die Malerin, nicht das Individuelle, nicht das Bildnis, sondern was über den Tag hinausgeht." schreibt der Kurator Uwe M. Schneede im Katalog.
Der Katalog zeigt, wie Paula Modersohn-Becker alltägliche Motive aus ihrer Umgebung in Worpswede nutzte, um sie - von Klischees befreit - ihrem eigenen Modernitätsbegriff unterzuordnen, erklärt der Kurator: "Ihren oftmals wiederkehrenden Motiven, darunter Kinder und Frauen, Selbstbildnisse, Stillleben und Landschaften, entzog sie alles Heimatliche, alle schmückenden Details und alles Genrehafte, um eine vereinfachte, allgemeingültige Formensprache zu finden". Insbesondere im Spätwerk ist in den Stillleben, Figurenbildern und Portraits Paula Moderson-Beckers die Auseinandersetzung mit den Werken von Cézanne, Gauguin, van Gogh, der Künstlergruppe der "Nabis" und Wegbereitern der Moderne wie Henri Matisse und Pablo Picasso deutlich ablesbar.
AVIVA-Tipp: Der Katalog zeigt in großformatigen farbigen Abbildungen das Schaffen von Paula Modersohn-Becker, das bis heute eine zeitlose Anziehungskraft ausstrahlt. In einem Künstlerinnenleben von nur 14 Jahren schuf sie ein einzigartiges Werk, das sie zu einer der herausragenden deutschen Malerin der Moderne machte. Ihr eigenwilliger und avantgardistischer Stil, der völlig anders als der der Malerei zu ihrer Zeit war, irritierte und wurde als befremdlich empfunden. Erst später erkannten Kunsthistoriker Ähnlichkeiten zu den Bildern des jungen Pablo Picasso (1881 - 1973) aus der gleichen Zeit. Noch heute gilt ihr Werk als revolutionär und modern.
Zu den AutorInnen:
Dr. Kathrin Baumstark, seit 2016 Kuratorin des Bucerius Kunst Forums, davor Studium der Kunstgeschichte, Religionswissenschaft und Neueren Deutschen Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, 2011-2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interfakultären Studiengang Religionswissenschaften der LMU, 2015 Promotion zum Thema "Der Tod und das Mädchen. Erotik, Sexualität und Sterben im deutschsprachigen Raum zwischen Spätmittelalter und früher Neuzeit."
Dr. Uwe M. Schneede, geboren 1939, ist Kunsthistoriker und Kurator für zeitgenössische Kunst. Von 1991 bis 2006 war er Direktor der Hamburger Kunsthalle. Schneede war Kurator folgender Ausstellungen: "Das schönste Museum der Welt" im Museum Folkwang Essen 2010, "Gerhard Richter. Bilder einer Epoche" im Bucerius Kunst Forum Hamburg 2011, "1914. Die Avantgarden im Kampf" in der Bundeskunsthalle Bonn 2013. Von 2008 bis 2014 war er Vorsitzender des Beirats der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin, ferner ist er seit 2015 Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste in Magdeburg.
Paula Modersohn-Becker
Der Weg in die Moderne
Hg. Kathrin Baumstark, Uwe M. Schneede
Beiträge von Kathrin Baumstark, Simone Ewald, Karin Schick, Frank Schmidt, Uwe M. Schneede, Rainer Stamm und Wolfgang Werner
Hirmer Verlag, erschienen 2017
Gebunden, 180 Seiten, 200 Abbildungen, 22,5 × 28 cm, Halbleinen
39,90 Euro
ISBN: 978-3-7774-2749-2
www.hirmerverlag.de
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