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Beitrag vom 12.06.2017
Unda Hörner - Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe
Lisa Baurmann
"Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen" schrieb Kurt Tucholsky in seinen "Schnipseln". Ob er damit auch seinen eigenen Erfolg als Journalist, Dichter und Schriftsteller meinte? Unda Hörner ("Berliner Luft – Pariser Leben") berichtet von den Frauen in seinem Leben...
... denen er Lieder und Gedichte schrieb, die ihn zu Romanfiguren inspirierten, die er liebte und bewunderte. Zu ihnen gehörten Claire Waldoff, Trude Hesterberg, Irmgard Keun, Gussy Holl, Lisa Matthias und viele andere.
Die promovierte Romanistin, Journalistin und Schriftstellerin Hörner hat sich in ihren Veröffentlichungen auf die Geschichte der Zwischenkriegszeit in Europa spezialisiert und portraitiert dabei immer wieder bemerkenswerte Frauenleben, wie etwa in "Die realen Frauen der Surrealisten: Simone Breton, Gala Éluard, Elsa Triolet" oder "Scharfsichtige Frauen: Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris". In ihrem neuen Buch fördert sie fast vergessene Biographien von Frauen zu Tage, die in den 1920er und 30er Jahren ein neues Rollenverständnis verkörperten: Sie waren hochgebildet, intellektuell und politisch, sorgten für ihren eigenen Lebensunterhalt und kümmerten sich wenig um bürgerliche Moralvorstellungen.
Else Weil: Medizinerin und Pionierin
Da ist etwa Tucholskys kaum bekannte erste Ehefrau Dr. Else Weil: Als eine von 90 Frauen im Kaiserreich erhält sie 1918 ihre medizinische Approbation und wird niedergelassene Ärztin. Ein Ausdruck des unaufhaltsamen gesellschaftlichen Wandels: Erst zehn Jahre zuvor hatte sich die erste Frau an der Berliner Humboldt-Universität (damals: Friedrich-Wilhelms-Universität) offiziell zum Studium immatrikuliert.
Noch bevor Weil und Tucholsky im Jahr 1920 in Berlin heirateten, hatte er sie als "Claire Pimbusch" in seinem Erstlingsroman "Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte" verewigt, und mit ihr den revolutionären neuen Frauentypus: Weil alias Pimbusch ist eine kluge, wissbegierige Studentin, die ihre Ziele hoch steckt, vor starken Ausdrücken nicht zurückscheut und unbeschwert wie unverheiratet mit dem Geliebten ein Wochenende auf dem Lande verbringt. Möglicherweise hat Tucholsky ihr mehr als nur Inspiration zu verdanken. Die Schriftstellerin Gabriele Tergit ("Käsebier erobert den Kurfürstendamm"), die mit Weil befreundet war, schrieb später in ihren Memoiren:
"Seine bezaubernde erste Frau, eine Ärztin, hat Tucholskys Sprache in ´Rheinsberg´ erfunden. Diese sehr junge Ärztin verreiste mit einem Gleichaltrigen. Das war eine neue Welt. Da wurde eine Tür geöffnet."
Die Ehe hielt nur vier Jahre. Weil soll gesagt haben: "Als ich über viele Damen wegsteigen musste, um in mein Bett zu kommen, hab´ ich mich scheiden lassen."
Hedwig Müller: Brieffreundin und Antifaschistin
Ein Zeitsprung: 1932, eine zweite gescheiterte Ehe mit Mary Gerold-Tucholsky, die noch bis zu ihrem Tod seinen Nachlass verwaltete, und viele Liebschaften später, verbringt Tucholsky ein Jahr in Zürich. Der Schriftsteller, der in Deutschland vor gewaltbereiten NSDAP-Anhänger_innen und der SA nicht sicher ist, wohnt bei Hedwig Müller, die er "Nuuna" nennt. Müller ist ebenfalls Ärztin. Dazu ist sie als Antifaschistin aktiv, hilft Emigrant_innen, die, weil sie politisch aktiv oder jüdisch sind, von den Nationalisozialist_innen verfolgt werden. Tucholsky bietet sie gar eine politische Heirat an, damit er in der Schweiz bleiben kann. Er lehnt ab und zieht sich endgültig in sein schwedisches Exil in Hindås bei Göteborg zurück, wo er seit 1929 eine Villa besitzt.
Die Zürcherin unterstützt den nunmehr Mittellosen weiterhin finanziell und führt einen regen Briefwechsel zu ihm – bis zu seinem Selbstmord im Jahr 1935. Tucholsky stellt in diesen letzten Jahren sein Schreiben weitestgehend ein. Zum einen, weil die kritische deutsche Medienöffentlichkeit, die ihm so lange ein Sprachrohr bot, mit der Machtübernahme der NSDAP zerschlagen wird – zum anderen, weil ihn schwere Depressionen quälen. Die Briefe an "Nuuna" sollen sein einziges literarisches Werk aus dem Exil bleiben.
Mehr Panorama als Nahaufnahme
Die Frauen, die Unda Hörner in ihrem Buch vorstellt, treten als beeindruckende Figuren hervor, die nicht nur ein Spiegel ihrer Zeit waren, wie der Klappentext verspricht, sondern in ihr etwas bewegten. Trotzdem stehen ihre Biographien heute, sofern sie noch erinnert werden, zum großen Teil im Schatten Tucholskys. Durch eingehende Recherche ist es der Autorin gelungen, auch die in Vergessenheit geratenen Lebenswege seiner Weggefährtinnen nachzuvollziehen.
Der Konzeption des Buches ist es geschuldet, dass Tucholsky dennoch der Mittelpunkt der Erzählungen bleibt. Bisweilen erwecken die Erzählungen von seinen vielen Musen und Liebhaberinnen den Eindruck einer oberflächlich bleibenden Aufzählung. Wenig erfährt die Leserin etwa zum Werdegang der Frauen nach ihrer Trennung vom rastlosen Schriftsteller beziehungsweise nach seinem frühen Tod. Wie etwa hat Hedwig Müller die Kriegsjahre erlebt, nach denen sie sich (wie Tucholsky-Biograph Fritz Raddatz 1979 in der ZEIT schreibt) bis zu ihrem Tod im Jahr 1973 weigerte, jemals wieder deutschen Boden zu betreten?
Während Hedwig Müller und anderen wichtigen Frauen in Tucholskys Leben tiefer gehende Portraits angemessen wären, hätten einige Figuren durchaus auch unerwähnt bleiben können – so wie Vicki Baum, die zweifellos zu den wichtigsten Schriftstellerinnen der Weimarer Republik zählt, allerdings keinen dokumentierten Kontakt zu Tucholsky pflegte.
Epilog
Else Weils letzte Jahre allerdings sind, soweit bekannt, im Buch dargelegt. Sie engagiert sich noch im Jahr der Scheidung 1924 für den Bund Deutscher Ärztinnen, der unter anderem die Reform des §218 zum Ziel hat. Als Medizinerin hat sie auch ohne die Unterhaltszahlungen Tucholskys, denen er nicht nachkommt, ein Auskommen – bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialist_innen. 1933 wird ihr als Jüdin die Kassenzulassung entzogen, sie verdingt sich daraufhin als Kindermädchen. 1938 flieht sie in die Niederlande, später nach Frankreich. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 kann sie bei Verwandten an der Côte d´Azur unterkommen, plant eine Flucht in die USA. 1942 wird sie deportiert und in Auschwitz ermordet. Heute erinnert ein Stolperstein vor ihrer ehemaligen Wohnung in der Bundesallee 79 an Dr. Else Weil. Auch Unda Hörner leistet in ihrem Buch einen Beitrag gegen das Vergessen.
AVIVA-Tipp: Die Autorin präsentiert in "Ohne Frauen geht es nicht" einen gelungenen Einblick in Biographien starker und erfolgreicher Frauen, die Weggefährtinnen und Zeitgenossinnen Tucholskys waren. Dabei zeigt sie nicht nur die sich wandelnden Rollenbilder in der Weimarer Republik auf, sondern auch überraschende, außergewöhnliche Lebenswege.
Zur Autorin: Unda Hörner geboren 1961, promovierte über Elsa Triolet, ist Germanistin und Romanistin und eine Spezialistin für die Geschichte der 1920/30er Jahre. Neben mehreren biographischen Werken, u.a. "Die realen Frauen der Surrealisten. Simone Breton, Gala Éluard, Elsa Triolet" (1996), "Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris"(2002) und "Scharfsichtige Frauen. Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris" (2010) veröffentlichte sie im Herbst 2000 ihren ersten Roman "Unter Nachbarn" sowie 2010 "Orte jüdischen Lebens in Berlin. Literarische Spaziergänge durch Mitte". 2012 erschien "Berliner Luft – Pariser Leben. Geschichten und Geschichte". Für ihre Kurzgeschichte "Hangar für Hellermann" erhielt sie 2001 den Bettina-von-Arnim-Preis. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin, Herausgeberin, Journalistin und Übersetzerin in Berlin.
Unda Hörner
Ohne Frauen geht es nicht. Kurt Tucholsky und die Liebe
ebersbach & simon, erschienen: März 2017
gebunden, 144 Seiten, 16 Abbildungen, Fadengeheftet, Einband: Halbleinen
Reihe: blue notes 66
ISBN: 978-3-86915-137-3
16,80 Euro
www.ebersbach-simon.de
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