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Beitrag vom 25.08.2017
Elena Ferrante - Die Geschichte der getrennten Wege
Doris Hermanns
Das #Ferrantefever geht weiter: Im dritten Band der Neapolitanischen Saga ("Meine geniale Freundin" und "Die Geschichte eines neuen Namens") erzählt die Autorin, wie sich die Freundschaft der beiden erwachsenen Frauen trotz Entfernungen weiterentwickelt.
Das Warten hat vorläufig wieder ein Ende. Nach den ersten beiden Bänden geht es jetzt im dritten mit dem Erwachsenenleben der beiden Freundinnen weiter.
Italien in den 1970er-Jahren: Die Spannungen zwischen Kommunisten und Faschisten, die Ferrante anhand der BewohnerInnen des Rione und später auch in Florenz aufzeigt, nehmen zu. Neuigkeiten von den StudentInnenprotesten aus Paris dringen nach Italien, ebenso wie die Anfänge der Neuen Frauenbewegung. Für Elena, inzwischen eine gefeierte Schriftstellerin, ist es weiterhin wichtig, dass sie aus Neapel wegkommen und dem dortigen Leben entfliehen kann. Erst später in einem Rückblick wird sie erkennen: "Der Rione verweist auf die Stadt, die Stadt auf Italien, Italien auf Europa, Europa auf den Planeten. Und heute sehe ich das so: Nicht der Rione ist krank, nicht Neapel, die ganze Erde ist es, das Universum ist es, oder die Universen." Aber erst einmal übt sie sich weiterhin in der "Kunst, den wahren Zustand der Dinge vor anderen und vor sich selber zu verbergen."
Wie bereits am Ende des zweiten Bandes, Die Geschichte eines neuen Namens deutlich war, hat Lila hat ihre Ehe und den damit verbundenen Wohlstand hinter sich gelassen. Sie lebt mit ihrem Sohn bei einem Freund und arbeitet unter erbärmlichen Umständen in einer Wurstfabrik. Elena, die sich in den letzten Jahren ausschließlich auf ihr Studium konzentriert hatte, wartet auf ihre Hochzeit und den Umzug zu ihrem Mann nach Florenz, wo dieser eine Professur antreten wird. Diese Zeit des Wartens verbringt sie in Neapel, wo sie und Lila ihre Freundschaft wieder aufgreifen, sich wieder annähern und füreinander da sind. Wie Elena feststellt, bedeutete Lila ihr immer noch mehr als jeder andere Mensch. Aber sie verbringt auch viel Zeit mit ihrer Familie, in der die Unterschiede wieder zu Problemen werden, so z. B. als sie ihren Eltern sagt, dass sie nur standesamtlich heiraten wird. Aber ihre Mutter erinnert sich auch an den Skandal, den Lila verursacht hat und verstand: "In der schlimmen Welt, in der wir lebten, gab es keine Garantien." Für Elena ist nicht die Ehe wichtig, sondern das Weggehen aus Neapel. Lilas Erzählungen machen ihr deutlich: "Dieses Leben hätte auch mich treffen können, und dass es nicht so gekommen ist, habe ich auch ihr zu verdanken."
Wie sehr die beiden Freundinnen miteinander verbunden sind, also nicht wirklich getrennte Wege gehen, wie der Titel vermuten lässt, wird immer wieder deutlich, nicht nur, weil sich ihre Wege immer wieder kreuzen, sondern weil sie sich ein Leben lang aneinander messen. So lässt Lila Elena wissen: "Ich erwarte Großes von dir, ich bin mir absolut sicher, dass du es besser kannst, ich will, dass du es besser machst, das ist mein größter Wunsch, denn wer bin ich, wenn du nicht gut bist, wer bin ich dann?", woraufhin Elena ihr umgekehrt deutlich macht: "Mach dir keine Sorgen, sag mir immer, was du denkst, nur so hilfst du mir, hast du mir von klein an geholfen, ohne dich kann ich nichts."
Lilas Rolle für Elena scheint die eines Spiegels, aber es gibt auch Momente, in denen Elena mit Einschätzungen ihrer Freundin völlig falsch liegt, aber gerade darin liegt eben auch Ferrantes Stärke. Sie zeichnet Charaktere, die Höhen und Tiefen kennen, genauso wie Irrtümer, geradlinige Wege wie auch Irrwege und Einschätzungen, die sich im Laufe des Lebens verändern. Ferrante erwähnt auch die Berührungen und Zärtlichkeiten zwischen den beiden Frauen, beschreibt Elenas Gedanken darüber, die etwas Weitergehendes jedoch aus zu viel Angst ausschließt: "Hätte man uns gesehen, hätte man uns totgeprügelt." Die alltägliche brutale Gewalt gegen Frauen eben, wie sie nicht nur in Italien vorkommt, sondern Frauen immer wieder davon abhält, ihre eigenen Vorstellungen auszuleben.
Was Elena erst wie ein Traum erscheint – das Verlassen von Neapel und das Aufgenommenwerden in ihre neue Familie – , führt letztendlich zu Unsicherheit und in ihre Einsamkeit. Sie kennt niemand in Florenz, bald schon wird sie schwanger. Wo sie vorher als gefragte Autorin gereist war und Artikel über politische Aktionen schreiben konnte, ist sie nun ans Haus gefesselt, kann kaum noch schreiben und schon gar nicht an Aktionen teilnehmen. Sie bekommt die politischen Entwicklungen nur am Rande mit durch Menschen, die zu Besuch kommen. Aber sie hinterlassen Spuren, wie ihre Schwägerin, die ihr Pamphlete aus der Frauenbewegung mitbringt, die Elena aber erst einmal zur Seite legt und erst später, als sie soweit ist, deren Erkenntnisse für ihr Leben zuzulassen, anfangen wird zu lesen. Aufgefallen war es ihr bereits, "in diesem Umbruch gab es keine Frauen, die ruhmreich herausragten." Die einzige Rolle, die sie spielen durften, war die Rolle der Geliebten der jugendlichen Helden, die ihren eigenen Kopf deren Gedanken anpasste und um ihr Schicksal bangte.
Beide Frauen stellen sich immer wieder die Frage nach ihrer Identität, danach was sie bereit sind zu akzeptieren und wo ihre Grenzen liegen. Beide entscheiden sich trotz aller Gegenschläge immer wieder dafür, zu sich selber zu stehen.
Durch ein Lob Enzos für Lila wird Elena deutlich, was sie die ganze Zeit über schon merkt, dass "(…) mein Mann mich nie lobte, mich sogar auf die Rolle der Mutter seiner Kinder reduzierte, wollte, dass ich zu keinem eigenständigen Denken fähig war, obwohl ich studiert hatte, mich herabsetzte, indem er das herabsetzte, was ich las, was mich interessierte, was ich sagte, und offenbar nur unter der Bedingung bereit war, mich zu lieben, dass ich ständig meine Nichtigkeit unter Beweis stellte." Dass Elena sich mit dieser Situation auf Dauer nicht zufrieden geben wird, ist abzusehen. Weniger offensichtlich ist die Rolle, die Nino, ihre große Jugendliebe, noch in ihrem Leben spielen wird.
Ihre Freundin Lila hingegen arbeitet sich nicht nur zusammen mit ihrem Freund Enzo in die neuaufkommende Welt der Informatik ein, sondern entwickelt sich zu einer frühen Computerexpertin, wodurch sie ihre Armut hinter sich lassen kann. Wie sich ihr Einlassen mit dem örtlichen Maffia-Boss entwickeln wird, werden wir erst im vierten und letzten Band erfahren, ebenso wie es für Elena mit ihrer Beziehung zu Nino weitergeht. Für weitere Spannung ist also auf jeden Fall gesorgt – aber der Fortsetzung müssen wir jetzt wieder fünf Monate entgegenfiebern.
AVIVA-Tipp: Wer bislang dachte, dass es offensichtlich ist, wie sich die Geschichte weiterentwickelt, wird eines Besseren belehrt: Ferrante neigt keineswegs zu Schwarz-Weiß-Schreiben, sondern zeigt weiterhin nuanciert auf, wie die Wege der beiden Freundinnen verlaufen, bei denen es immer wieder zu überraschenden Wendungen kommt. War es am Ende des zweiten Bandes Lila, die ihre Ehe hinter sich gelassen hat und eine unsichere Zukunft vor sich hatte, so ist es in diesem Band Elena. Kern der Geschichte bleibt die bedingungslose Freundschaft und Verbundenheit der beiden Frauen.
Zur Autorin: Elena Ferrante ist die große Unbekannte der Gegenwartsliteratur. In Neapel geboren, hat sie sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahre 1992 für die Anonymität entschieden. Die Geschichte der getrennten Wege ist der dritte Band der Neapolitanischen Saga. Der erste war Meine geniale Freundin, der zweite Die Geschichte eines neuen Namens. Der vierte und letzte Band Die Geschichte des verlorenen Kindes ist für Februar 2018 im Suhrkamp Verlag angekündigt. 2018 sollen auch ihre früheren Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln in neuer Übersetzung wieder erscheinen. Ebenfalls geplant ist ihr neuer Band Frantumaglia.
Mehr Infos zu Elena Ferrante unter: www.elenaferrante.de
Zur Übersetzerin: Karin Krieger, geboren 1958 in Berlin, übersetzt vorwiegend aus dem Italienischen und Französischen, darunter Bücher von Claudio Magris, Anna Banti, Armando Massarenti, Margaret Mazzantini, Ugo Riccarelli, Andrea Camilleri, Alessandro Baricco und Giorgio Fontana. Sie war mehrfach Stipendiatin des Deutschen Übersetzerfonds und erhielt 2011 den Hieronymusring.
Elena Ferrante
Die Geschichte der getrennten Wege
Band 3 der neapolitanischen Saga: Erwachsenenjahre
Originaltitel: Storia di chi fugge e di chi resta
Aus dem Italienischen von Karin Krieger
Suhrkamp Verlag, erschienen am 26. August 2017
Gebunden mit Umschlag. 541 Seiten
ISBN 978-3-518-42575-6
Euro 24,00
Zum Buch: www.suhrkamp.de
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