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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 19.09.2017


Unda Hörner - Kafka und Felice
Silvy Pommerenke

Phantasievoll und kenntnis- wie detailreich hat Unda Hörner ihren Roman anhand des Briefwechsels zwischen Franz Kafka und Felice Bauer gestaltet, der die Leserin vom ersten Satz an in die historische Zeit des Beginns des zwanzigsten Jahrhunderts katapultiert.




Akribisch recherchiert und lebendig geschildert führt Unda Hörner in die schwierige Liebesbeziehung zwischen Franz Kafka und Felice Bauer und lässt so auch das Berlin der 1910er Jahre lebendig werden. Aber nicht nur das allein, vielmehr lässt die Germanistin und Romanistin fast beiläufig die Weltgeschichte am Rand des Briefwechsels erscheinen. Ob nun Suffragetten-Bewegung oder Ausbruch des Ersten Weltkrieges, alles findet sich gut recherchiert in "Kafka und Felice" wieder. Zudem werden den Texten wie "Das Urteil", "Die Verwandlung", "Vor dem Gesetz" oder "In der Strafkolonie", die Kafka in den Jahren mit Felice schrieb, ein näheres Augenmerk geschenkt, und die amüsanten Kommentare Felices über die Prosa von Franz regen so manches Mal zum Lachen an.

Ein interessanter Apekt an "Kafka und Felice" ist, dass sich Unda Hörner explizit der Erlebniswelt von Felice Bauer widmet, obwohl ihr nur die Briefe Kafkas vorlagen. Ihr gelingt dabei ein erzählerischer Sog, der die Leserin unweigerlich in den Roman hineinzieht.

Anhand des Briefwechsels zwischen Kafka und Bauer entwickelt sie ein Szenario, das sich durchaus so - oder ähnlich - zwischen den beiden Liebenden entwickelt haben könnte. Beginnend im August 1912, als sich die beiden zufällig bei Max Brod kennenlernten, entwickelt sich rasch über einen Briefwechsel, den Kafka nach dem Treffen begann und der die nächsten vier Jahre andauern sollte, eine Annäherung zwischen den beiden. Ähnlich wie im heutigen online-Dating, wo sich zwei Menschen zuerst einmal über das Schreiben kennenlernen und quasi eine virtuelle Realität aufbauen. Es hat scheinbar nichts mit der wahren Person zu tun, sondern mit einer idealisierten Phantasiegestalt. So hadert Kafka denn auch mit diesem Kontaktmittel, was er trotzdem wie besessen anwendet: "Wie kam man nur auf den Gedanken, dass Menschen durch Briefe miteinander verkehren können!".

Auch wenn er immerzu zweifelt ("Wer bin denn ich... Ein Schatten, der Dich unendlich liebt, den man aber nicht ans Licht ziehen kann"), so schreibt er Brief um Brief und fordert bisweilen penetrant Antworten von Felice ein. Wohlbemerkt: Franz hatte sie zu diesem Zeitpunkt nur ein einziges Mal gesehen, und diese Begegnung lag bereits fünf Monate zurück. Als sie sich zu Ostern im Jahr darauf endlich wiedersehen, da schritt, so Hörner"der Herbeigesehnte ... stumm neben ihr her". Fröhliches Beisammensein sieht anders aus, und der Schriftsteller wurde ihr fremder denn je. Unda Hörner bringt das Dilemma der beiden auf den Punkt: "Das Karussell der Briefe drehte sich bis zur Besinnungslosigkeit im Kreis".

Aber nicht nur das, sondern der gar nicht virile Mann kränkelt permanent und gibt zu, dass er an "in sich selbst verliebte(r) Hypochondrie" leiden würde. Felice hingegen, eine moderne Frau, die einen verantwortungsvollen Job als Prokuristin bei der Firma Lindström hat, zweifelt immer häufiger an dem fernen Geliebten. Als er sich denn doch durchringt, ihr einen Heiratsantrag zu machen, versucht er sogleich, alle möglichen Gründe dagegen aufzuführen. Beide hadern mit der Hochzeit. Er würde seine geliebte Einsamkeit aufgeben, sie ihre geliebte Arbeit. Nachdem herauskommt, dass er einen ähnlich innigen Briefverkehr mit einer anderen Frau (Grete Bloch) führt, wird die Hochzeit abgeblasen. Es folgen zwei Jahre des erneuten Hin und Hers, schließlich kommt es zu einem gemeinsamen Urlaub 1916 in Marienbad, bei dem es offenbar auch zu einer gemeinsam verbrachten Nacht kommt. Erneut wird von einer Hochzeit gesprochen. Der Plan, dass Kafka nach Berlin zieht und sie an der Spree heiraten, wird sich allerdings nie erfüllen. Im Spätsommer 1917 erhält Kafka die Diagnose Lungentuberkulose und ist damit kein geeigneter Heiratskandidat mehr. Weihnachten 1917 treffen sie sich ein letztes Mal in Prag. Felice Bauer heiratet 1919 den Teilhaber einer Berliner Privatbank, Moritz Marasse, mit dem sie 1936 nach Kalifornien emigriert. Kafka stirbt 1924 an der Seite seiner letzten großen Liebe, Dora Diamant.

AVVA-Tipp: Unda Hörner hat einen äußerst lesenswerten und fesselnden fiktiven Roman über die (unausgelebte) Beziehung zwischen Franz Kafka und Felice Bauer geschrieben. Und auch wenn Kafka, der "ewig Klagende", ein ganz Großer der Weltliteratur sein mag, so scheinen ihm soziale Kompetenzen indes weniger in die Wiege gelegt worden zu sein, belastend für sein Umfeld die "komplizierte Natur". Nach der Lektüre von "Kafka und Felice" bleibt aus diesem Grund das Gefühl der Entzauberung des weltberühmten Schriftstellers zurück. Aber auch ein innerlich gemurmeltes: "Glückwunsch Felice, dass Du Dich dieses ambivalenten und äußerst anstrengenden Mannes rechtzeitig entledigt hast!" Denn welche Frau möchte schon das "Leben an der Seite eines verdrossenen traurigen, schweigsamen, unzufriedenen, kränklichen Menschen" führen?

Zur Autorin Unda Hörner, geboren 1961, promovierte über Elsa Triolet, ist Germanistin und Romanistin und eine Spezialistin für die Geschichte der 1920/30er Jahre. Neben mehreren biographischen Werken, u.a. "Die realen Frauen der Surrealisten. Simone Breton, Gala Éluard, Elsa Triolet" (1996/1998), "Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris"(2002) und "Scharfsichtige Frauen. Fotografinnen der 20er und 30er Jahre in Paris" (2010) veröffentlichte sie im Herbst 2000 ihren ersten Roman "Unter Nachbarn" sowie 2010 "Orte jüdischen Lebens in Berlin. Literarische Spaziergänge durch Mitte". 2012 erschien "Berliner Luft – Pariser Leben. Geschichten und Geschichte". Bei ebersbach & simon erschienen "Scharfsichtige Frauen", Bücher über die Bohème auf Hiddensee und in Davos, zuletzt die Biografie über die Frauen im Leben von Kurt Tucholsky, "Ohne Frauen geht es nicht" (2017). Für ihre Kurzgeschichte "Hangar für Hellermann" erhielt sie 2001 den Bettina-von-Arnim-Preis. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin, Herausgeberin, Journalistin und Übersetzerin in Berlin. (Quelle: ebersbach & simon, AVIVA-Berlin)

Zu Franz Kafka: Am 3. Juli 1883 wurde Franz Kafka in Prag geboren. Er ist das erste Kind von Hermann Kafka (1852-1931) und seiner Frau Julie, geb. Löwy (1856-1934). Die jüdischen Eltern führen ein Geschäft mit Galanteriewaren (Accessoires, feine Wäsche etc.). In der Familie wird deutsch gesprochen, mit Bediensteten aber zumeist tschechisch.
Nach einem Jurastudium, das er 1906 mit der Promotion abschloss, trat Kafka 1908 in die "Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt" ein, deren Beamter er bis zu seiner frühzeitigen Pensionierung im Jahr 1922 blieb. Im Spätsommer 1917 erlitt Franz Kafka einen Blutsturz, es war der Ausbruch der Tuberkulose, an deren Folgen er am 3. Juni 1924, noch nicht 41 Jahre alt, starb. Sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof in Prag-Straschnitz. (Quelle: S. Fischer Verlag)
Mehr Informationen unter: www.franzkafka.de/franzkafka

Zu Felice Bauer: Felice Bauer wurde am 18. November 1887 als Tochter jüdischer Eltern in Neustadt (Oberschlesien) geboren und schloss ihre Schulausbildung ohne Abitur ab. Sie arbeitete als Stenotypistin, später als Prokuristin. Auf Anregung Kafkas wurde sie 1916 auch ehrenamtliche Mitarbeiterin des Jüdischen Volksheims. Nach der endgültigen Trennung von Kafka heiratete Felice Bauer 1919 Moritz Marasse, mit dem sie 1931 in die Schweiz, 1936 nach Kalifornien emigrierte. Die Briefe, die sie von Kafka erhalten hatte, musste Felice Bauer in den 1950er Jahren aus finanziellen Gründen für 8.000 Dollar verkaufen. 1987 wurden sie für mehr als eine halbe Million Dollar an eine/n bis heute unbekannt gebliebene/n europäische/n Händler_in oder Sammler_in versteigert. Felice Bauer starb am 15. Oktober 1960 in Rye nördlich von New York. (Quelle: S. Fischer Verlag)
Mehr Informationen unter: www.franzkafka.de/franzkafka/die_frauen/felice_bauer

Unda Hörner
Kafka und Felice

ebersbach & simon, erschienen August 2017
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag und Fadenheftung, 336 Seiten
ISBN: 978-3-86915-152-6
Euro 20,00
www.ebersbach-simon.de

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Beitrag vom 19.09.2017

Silvy Pommerenke