Helmut Braun - Rose Ausländer. Der Steinbruch der Wörter - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 23.01.2018


Helmut Braun - Rose Ausländer. Der Steinbruch der Wörter
Sharon Adler

Am 3. Januar 2018 jährte sich der Todestag von Rose Ausländer zum 30. Mal. Aus diesem Anlass erschien im Hentrich & Hentrich Verlag Berlin in der Reihe "Jüdische Miniaturen" eine kleine feine Biographie der deutsch-jüdischen Dichterin, die unverzichtbar ist für das Verständnis ihres Lebens und Werks. Biograph ist der Herausgeber, Verleger, Nachlassverwalter und Weggefährte von Rose Ausländer, Helmut Braun, der anlässlich ihres 20. Todestags im S. Fischer Verlag auch den von AVIVA-Berlin rezensierten Band "Gedichte, kleine Prosa und Materialien aus dem Nachlass" der am 11. Mai 1901 in Czernowitz/Bukowina geborenen Dichterin veröffentlicht hatte.




Rose Ausländer, die häufig in einem Atemzug mit Else Lasker-Schüler, Hilde Domin, Paul Celan oder auch Selma Meerbaum-Eisinger und Mascha Kaléko genannt wird, gehört wie diese zu den ganz großen Dichterinnen des 20. Jahrhunderts.

Ihr Leben, ihr Werk, spiegelt nicht nur Persönliches, Privates, obwohl ihre Lyrik als Höchstprivate gelesen werden kann und muss. Es spiegelt auch ein Leben vor dem Hintergrund der Ausgrenzung, der Emigration, dem Suchen nach Wörtern und Metrik in einer fremden Sprache. Das Leben im Exil. Das Leben nach dem Überleben. Der Verlust um die Liebsten, die Heimat und die Sprache.
Rose Ausländer erlebte Zwangsarbeit, Todesangst, Gefängnis, Versteck, Emigration, Rückkehr und wieder Exil. Sie war displaced person, 2x verheiratet, leidenschaftlich Schreibende. Sie erlebte den Untergang ihrer Heimat, die sie in ihren Shoah- und den Exilgedichten sowie in den Gedichten zur Bukowina, Heimat, Kindheit und Jugend in Worte zu fassen versuchte. Den Tod der Mutter.

"Schreiben war Leben. Ãœberleben!"

Der Lyrikerin, der Frau, der Person Rose Ausländer geht der langjährige Vertraute von Helmut Braun in seinem Abriss schrittweise nach. Eine Herausforderung, die er erstmalig im Jahr 1975 annahm, als er 600 bislang unveröffentlichte Gedichte, fast fünfundzwanzigtausend Seiten Manuskripte und Typoskripte, in Händen hielt, die ihm die Dichterin bei einem ersten Treffen im Nelly-Sachs-Haus, dem jüdischen Altenwohn- und Pflegeheim in Düsseldorf anvertraute.

Heimatlose, Getriebene, Verlassene, aber keine Verlorene

Leben und Werk von Rose Ausländer sind stark eng miteinander verknüpft, bedingen sich. Alle Lebensstationen finden sich in ihren Gedichten wieder: von Kindheit und Jugend in Czernowitz, der Blüte und der Auslöschung durch die Nationalsozialisten, über Shoah und Exil in New York, bis zu Alter und der bewussten Erwartung des Todes, in Deutschland. Sie erzählen von der Liebe, der Angst, der Todesnot, auch vom Glück: "vergiss nicht / auch das Glück war da" – und von der niemals verlorenen Hoffnung, "dass Dichten noch möglich sei".

Rose Ausländers Gedichte bezeugen eine ungeheure Wortgewalt der bildhaften Sprache, sind wohldurchdachtes, bis in jede Zeile perfektioniertes Handwerk – nicht selten überarbeitete sie ihre Lyrik, darunter Konvolute von Rohmaterial, mehr als fünfundzwanzig Mal und über einen Bearbeitungszeitraum von dreißig Jahren. Ihre Gedichte sind perfektes "Kopfwerk" – hoch reflektiert und eingefügt in ihren dichterischen Kosmos. Und sie sind perfektes "Herzwerk" – voller Emotion, und Emotionen auslösend. Dieser Dreiklang erreicht auch und bis heute jedes Herz und jedes Hirn. Die Gedichte von Rose Ausländer haben eine Allgemeingültigkeit, die schmerzt und berührt. Wünschenswert wäre es, wenn ihre großartige Lyrik nicht nur (erneut) einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden könnte, sondern vor allem auch, wenn diese im Kontext von Rose Ausländers Biographie gelesen werden würde.

Rose Ausländer, geboren am 11. Mai 1901 als Rosalie Beatrice Ruth Scherzer in Czernowitz, starb am 3. Januar 1988 in Düsseldorf. Ihr Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof im Nordfriedhof in Düsseldorf.

Ihre letzten Lebensjahre im Nelly-Sachs-Haus in Düsseldorf in selbst verhängter Bettruhe stellen die kreativste Zeit Rose Ausländers dar. Freiwillig isoliert von der Außenwelt überarbeitet sie alte Gedichte und schafft bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 neue. Ausländer ist eine der wenigen Lyriker*innen, die ihrem Werk bewusst ein Ende setzt und es als abgeschlossen erklärt. Bis heute sind die fehlenden Satzzeichen in ihrem Werk ein Rätsel, das es immer wieder neu zu entschlüsseln gilt.

AVIVA-Tipp: Der Band "Rose Ausländer. Der Steinbruch der Wörter" berührt Herz und Geist gleichermaßen. Dem Herausgeber und Biographen Helmut Braun und dem Hentrich & Hentrich Verlag ist es gelungen, auf wenigen Seiten und in einem liebevoll gestalteten Band mit der Veröffentlichung von Fotos, Gedichten und Gedanken zur Dichterin deren Werk, Leben und Fühlen lebendig zu halten. Ein würdiges Geschenk zum 30. Todestag der unvergessenen, großartigen Rose Ausländer.

Zum Autor: Helmut Braun, geboren 1948, lebt in der Nähe von Köln. Er ist Vorsitzender der Rose Ausländer-Gesellschaft e.V., Verleger, Kurator, Autor und Herausgeber u.a. des Gesamtwerks von Rose Ausländer, von Edgar Hilsenrath und der literaturwissenschaftlichen Reihen der Rose Ausländer-Gesellschaft e.V.
Helmut Braun ist es hoch anzurechnen, dass er sich seit der ersten Begegnung mit Rose Ausländer im Jahr 1975 um die Popularität ihres Werkes bemühte und sie bis zu ihrem Lebensende beriet und unterstützte.
Als Arthritis ihre Handbewegungen stark einzuschränken begann, fungierte Helmut Braun als Sekretär und brachte fortan ihre Ideen zu Papier.

Helmut Braun
Rose Ausländer
Der Steinbruch der Wörter

102 Seiten, Broschur, 11 Abbildungen
ISBN: 978-3-95565-239-5
Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, erschienen im Januar 2018
Jüdische Miniaturen Bd. 214
Euro 9,90
Mehr Informationen: www.hentrichhentrich.de

Weitere Informationen zu Rose Ausländer finden Sie unter:

Rose Ausländer Gesellschaft e.V.: www.roseauslaender-gesellschaft.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Der Traum lebt mein Leben zu Ende. Das Leben der Dichterin Rose Ausländer. Ein Dokumentarfilm von Katharina Schubert
Wer ist diese Frau, der nach dem Holocaust die Sprache zur einzigen Heimat wurde? Katharina Schubert begibt sich auf die Spuren des Lebens einer großen Dichterin und zeigt Bilder von heute, unterlegt mit Rose Ausländers (1901-1988) Lyrik. (2011)

Rose Ausländer – Deiner Stimme Schatten
Anlässlich ihres 20. Todestags am 3.1.2008 veröffentlicht der Herausgeber Helmut Braun im S. Fischer Verlag "Gedichte, kleine Prosa und Materialien aus dem Nachlass" der jüdisch-deutschen Dichterin. (2007)

Kristine von Soden - Und draußen weht ein fremder Wind .... Über die Meere ins Exil
Wie gelang den wenigen Überlebenden 1933 bis 1941 die Flucht ins Ungewisse, was ging dem Verlust um Heimat, Familie, Sprache und Kultur voraus? Im Zentrum dieses Buches steht der verzweifelte Kampf jüdischer Emigrantinnen um Visa und Affidavits für das von den Nazis erzwungene Exil. Anhand von Tagebüchern, Briefen, Gedichten sowie unveröffentlichten Bild- und Textdokumenten und literarischen Zeugnissen aus den im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main befindlichen Nachlässen jüdischer Emigrantinnen zeichnet die Autorin die dramatischen Umstände der individuellen Fluchtwege akribisch nach. (2017)

Efrat Gal-Ed - Niemandssprache. Itzik Manger- Ein europäischer Dichter und Itzik Manger – Dunkelgold
Efrat Gal-Ed legt mit dieser inhaltlich wie formal außergewöhnlich aufwendig gestalteten Biographie nicht nur ein umfangreiches und vielschichtiges, sondern auch ein kritisches Portrait von Itzik Manger vor. Anhand der bewegenden Lebensgeschichte eines der größten Stars der jiddischen Dichtung zeichnet die Autorin gleichzeitig die letzte große Ära der jiddischen Kultur Osteuropas – Jiddischland – nach und führt in den faszinierenden transnationalen Denk- und Lebensmodus dieser Welt ein, die durch die Shoah fast gänzlich zerstört wurde. (2016)

Der blaue Reiter ist gefallen. Else-Lasker-Schüler-Jubiläumsalmanach
Zu ihrem 25-jährigen Bestehen hat die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft ihren elften Almanach herausgebracht. Er versammelt die Beiträge vom XX. ELS-Forum, das 2014, zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren stattgefunden hat. (2015)

Elfi Hartenstein - Jüdische Frauen im New Yorker Exil
Jüdisch, weiblich, im Exil. Wer denkt da nicht an die Ehefrauen berühmter jüdischer Intellektueller? Was ist aber mit den vielen unbekannten Biografien jüdischer Exilantinnen? Was bedeutet Exil? (2011)

...und das Herz wird mir schwer dabei - herausgegeben von Gertrud Ranner, Axel Halling u.a.
Czernowitz war lange ein fast vergessener Ort. Dieses Erinnerungsbuch bringt uns die untergegangene Kulturmetropole durch Zeugnisse neunzehn jüdischer Überlebender näher. (2009)

Ingeborg Bachmann-Paul Celan - Herzzeit
In erster Linie gibt der Briefwechsel eine tragische Liebesgeschichte zwei der bedeutendsten LyrikerInnen der Gegenwartsliteratur nach 1945 wieder, die miteinander nicht konnten, es dennoch immer wieder versuchten – auch auf Kosten ihrer damaligen LebenspartnerInnen, Gisèle Celan-Lestrange und Max Frisch. (2008)

Selma Meerbaum-Eisinger - Ich bin in Sehnsucht eingehüllt
In einer Jubiläumsausgabe sind nun erneut die Gedichte der jung verstorbenen Lyrikerin Selma Meerbaum-Eisinger erschienen. Der Band enthält auch die Geschichte der Entdeckung ihrer Werke. (2006)


Literatur

Beitrag vom 23.01.2018

Sharon Adler