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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 31.03.2018


Catherine Millet - Traumhafte Kindheit
Kristina Tencic

2001 erlangte Catherine Millet mit ihrem autobiographischen Buch "Das sexuelle Leben der Catherine M." einen weltweiten Skandalerfolg. Seitdem ist es um die renommierte französische Kunstkritikerin nicht stiller geworden - gerade erst polarisierte sie in der #Metoo-Debatte, als sie es bedauerte, …




... nicht Vergewaltigungsopfer geworden zu sein, damit sie anderen Frauen hätte zeigen könne, dass frau sehr wohl damit fertig werden könne und die Erfahrung nicht an sein Innerstes heranlassen müsse.

In ihrem Buch "Traumhafte Kindheit" nimmt sie uns mit auf eine Reise zu ihren ganz persönlichen Anfängen, in eine Kindheit, die sie selbst als Hölle auf Erden empfand und in der es ihr jedoch gelang, Distanz mithilfe des Narratives zu schaffen, welches sie bis in die Gegenwart weiterspinnt.

"Im Roman des eigenen Lebens, an dem jeder in seiner Jugend feilt und der weitgehend die ersten Entscheidungen als autonomer Mensch bestimmt - sodass der Beginn des Erwachsenenalters eigentlich nichts anderes ist als das Schwinden der Jugend -, hatte ich die Rolle des Kindes mit zerstrittenen Eltern. Folglich war meine Kindheit unglücklich beziehungsweise unglücklich gewesen. Sie war mein Markenzeichen. Ich akzeptierte diesen mir zugewiesenen Platz nicht nur, ich hielt mich auch daran fest und führte mich auf wie ein Schauspieler, der seine Rolle übertreibt."

Eine Kleinstadt in der Nähe von Paris im Jahre 1951, eine Zweizimmerwohnung, in der Vater, Mutter, Großmutter, ein Mädchen und ihr (Halb-)Bruder zusammen untergebracht sind. Die Mutter ist Sekretärin, der Vater erst Autohändler, dann Fahrlehrer, und eigentlich könnte das Leben doch gut sein - wären da nicht die Eigenheiten in den Charakteren der Eltern, die sie in ewigem Streit vereinte. Catherine gefiel sich in dieser Andersartigkeit, spitzte die Geschichten aus ihren ungeordneten Verhältnissen sogar noch zu und erlangte hierdurch schon früh Reife. Durch Beobachtung der moralischen Widersprüche ihrer Mutter weiß sie schon sehr früh um die Graubereiche des Lebens.
Weder Vater noch Mutter sorgen für Halt, jedoch entdeckt Catherine die Literatur als ihre engste Verbündete. Im letzten Drittel führt sie uns somit in ihre Gedankenwelt der Lektüre, die für sie mindestens genauso wenn nicht stärker persönlichkeitsbildend war als die reale Welt.

Und was wäre ein Roman über die Entstehung der Catherine Millet, ohne auf die Wurzeln ihrer Sexualität einzugehen? Mit der ihr eigenen Objektivität, ja fast Emotionslosigkeit, beschreibt sie die frühen Lustgefühle, die Banalität der Gedankenspiele und die ersten von den Erwachsenen aufgeschnappten Wörter, um diese neue Welt zu umschreiben.

AVIVA-Tipp: Durch die differenzierte Erzählung wird Catherine zur Herrin ihrer eigenen Kindheit, in der sie mit messerscharfer Präzision beschreibt, wie Realität und Traumwelt zu ebenbürtigen Komponenten ihres Ichs wurden. Ihre Kindheit wird somit zum Wegweiser für die Freimütigkeit und Nonchalance, die noch heute aus ihren Texten spricht. Die Entmystifizierung der Sexualität hat mithilfe von Catherine M. noch lange nicht ihr Ende erlangt.

Zur Autorin: Catherine Millet gilt in Frankreich als eine der wichtigsten Kunstkritikerinnen, ihre Fachbücher und Essays sind maßgebliche Beiträge zur Kulturgeschichte.
Weltweit in Erstaunen versetzte sie KritikerInnen und LeserInnen aber mit ihren Bestsellern Das sexuelle Leben der Catherine M. und "Eifersucht", beides autobiographische Schilderungen ihrer intimen Erfahrungen. Sie ist Chefredakteurin der Kunstzeitschrift artpress und hat Studien zu Yves Klein und Salvador Dalí verfasst.

Catherine Millet
Traumhafte Kindheit

Originaltitel: Une enfance de reve
Secession Verlag für Literatur, 2017
Aus dem Französischen von Paul Sourzac
Gebundenes Buch ohne Schutzumschlag, 240 Seiten
ISBN: 978-3-906910-12-3
22,00 Euro
Mehr zum Buch "Traumhafte Kindheit" von Catherine Millet unter: secession-verlag.com

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Die Autorin des Romans "Das sexuelle Leben der Catherine M." und Chefredakteurin der Pariser Kunstzeitschrift Art Press, ist nicht nur Schriftstellerin und "Gruppensexpertin" - 1995 war sie Kommissarin des französischen Biennale-Pavillions in Venedig. Außerdem gilt sie als Yves Klein-Expertin. AVIVA-BERLIN traf die 53jährige im Berliner Four Seasons Hotel zum Gespräch. (2002)

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Beitrag vom 31.03.2018

Kristina Tencic