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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 16.08.2018


Isabelle Graeff - Exit
Bärbel Gerdes

Die Fotokünstlerin, die 2010 mit ihrer Serie ´My Mother And I´ bekannt wurde, porträtiert in ihrem neuen Fotoprojekt ein Land, das sich verabschieden will, und verarbeitet gleichzeitig den plötzlichen Tod ihres Vaters. Die Aufnahmen entstanden vor dem Brexit und zeigen ein Land auf der Suche nach seiner Identität.




Am 23. Juni 2016 entschieden sich die Briten und Britinnen mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union. Ein Beben ging durch Europa und ein Riss durch ein Land, das einst eine der tragenden Säulen der EU war. Das Referendum hat zu einer Spaltung in der Gesellschaft geführt. NachbarInnen beäugen sich kritisch, ob sie dafür oder dagegen gestimmt haben. Alt und Jung misstrauen einander. Nicht-britische BürgerInnen sehen ihrer Zukunft in Großbritannien mit Bangen entgegen.

Isabelle Graeff hat bis 2003 in London an der Central Saint Martins School of Art & Design studiert. Sie kennt das Land gut. Zu ihm kehrte sie aus Deutschland zurück, als ihr Vater unerwartet starb. Sie übernimmt die Firma ihres Vaters. "Sie hatte, für eine Zeit, ihren Beruf aufgegeben (die Frau ist Künstlerin und Fotografin), um sich um das zu kümmern, was man in einer Welt, die ihr fremd ist, ´das Geschäft´ nennt." schreibt Niklas Maak in seinem Vorwort. Isabelle Graeff begann 2015 durch Großbritannien zu reisen. Die Fotos, die sie in den nächsten beiden Jahren machte, zeigen ein Land, das ihr fremd geworden ist und das sich immer stärker verändert.

Auf der einen Seite steht die wunderbare Landschaft, die Einsamkeit eines Pferdes in einer steinigen Moorlandschaft, Sonnenlicht, das auf fast schwarze Wolken trifft und das einen Strand golden, das Meer silbern aufscheinen lässt. "In der Tat begreife ich das Buch gerne als eine atmosphärische Bestandsaufnahme Großbritanniens.", erklärt die Fotografin in einem Interview mit dem Monopol-Magazin. Gleichzeitig spiegelt es ihre eigene trauernde Situation.

Da ist das Riesenrad in Blackpool vor einem leeren Strand, verlassen auch die Restaurants und Spielhallen. Ein Mann im Trenchcoat steht mit seinem Hund inmitten einer desolaten Wattenlandschaft, im Hintergrund, vom Nebel verschwommen, ein Steilufer. Als gäbe er ein Zeichen des Kampfes und wolle die BritInnen an ihre glorreiche Empire-Zeit erinnern, reckt eine Hulk-Figur auf einem Karussell seinen grün-metallischen Körper in die Höhe und streckt seine Faust. Eine stark beleibte Frau in einem Rollstuhl isst in einer Seitenstraße gierig ein Eis. Die Aufnahmen sind nie entlarvend, sie stellen nicht bloß.

Vielmehr berichten sie von einem Land, das heruntergekommen ist, das verdreckt, das wenig Zukunft zu bieten scheint. Eine zertrümmerte Fleischereitheke, ein unvollständiges Puzzle mit dem Konterfei der jungen Queen Elizabeth II. Einige Fotos sind grobpixelig, andere verschwommen und vage. Niklas Maak: "Bei vielen Bildern wirkt es, als gleite die Kamera lautlos durch eine Welt des Verfalls, in welcher der Ton schon ausgefallen ist."

Der Austritt aus der EU scheint manchen Menschen als erster Schritt hin "zur vergangenen Größe und Autonomie des Empire zu sein.".

Es sind ausschließlich weißhäutige Menschen zu sehen. "Anstelle eines Blicks, der die Welt, Europa im Auge hat, manifestiert sich die aktuelle Politik in Abschottungsstrategien", berichtet Graeff, "In der Gegenwart möchte man Ausländer nicht mehr im Land beheimaten, das ist eine unaufgeklärte verzerrte und paradoxe Perspektive und Geschichtsverkennung."

AVIVA-Tipp: Isabelle Graeffs Bildband zeigt ein Großbritannien, dessen wunderbare, in den Fotografien oftmals mystische Landschaften in starkem Kontrast stehen zur vom Verfall bedrohten, unsicheren Zukunft des Landes. Es ist ein Blick in das Innere einer Gesellschaft und vielleicht auch in das seiner Fotografin.

Zur Künstlerin: Isabelle Graeff, wurde 1977 in Heidelberg geboren. Von 1998 bis 2000 studierte sie Malerei an der Düsseldorfer Kunstakademie. 2000 bis 2003 setzte sie ihre Studien an der Central Saint Martin School of Art & Design in London fort. 2007 stellte sie in der Trolley Gallery London Romance Is Dead! Long Live Romance! aus. Weitere Soloausstellungen folgten in Berlin, Wien, Shanghai, Mannheim und London. 2010 wurde sie mit ihrem Projekt My Mother & I bekannt. Mehrere Jahre lang begleitete sie fotografisch ihre Mutter, um ihre Mutter-Kind-Beziehung zu hinterfragen.
Mehr Infos: www.isabellegraeff.de und www.editionexit.com

Niklas Maak, 1972 in Hamburg geboren, studierte Kunstgeschichte, Philosophie und Architektur in Hamburg und Paris. Der Journalist und Architekturkritiker war von 1999 bis 2001 Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Seit 2001 ist er Redakteur im Feuilleton der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Er schreibt außerdem für Merian.

Isabelle Graeff
Exit

Hatje Cantz Verlag, erschienen April 2018
Text(e) von Niklas Maak, Gestaltung von Hermann Hülsenberg
Deutsch, Englisch
136 S., 89 Abbildungen, Leinen, 23,00 x 32,00 cm
ISBN 978-3-7757-4369-3
45,00 Euro
Mehr zum Buch: www.hatjecantz.de





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Beitrag vom 16.08.2018

Bärbel Gerdes