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Beitrag vom 18.09.2018
Mira Sigel, Manuela Schon, Ariane Panther, Caroline Werner, Huschka Mau (Hrsg.). Störenfriedas - Feminismus radikal gedacht
Ahima Beerlage
"Wir betrachten Probleme von der Wurzel an – und die Wurzel der Frauenunterdrückung ist das Patriarchat. Dieses gilt es zu kritisieren, in all seinen Formen". Die Autorinnen und Bloggerinnen dieser Textsammlung verstehen sich als Radikalfeministinnen. Ihr gemeinsamer Nenner: Ihr Kampf gegen alle Formen des Alltagssexismus, sexistische Werbung, Gewalt gegen Frauen, Pornographie und die Objektifizierung von Frauen.
Der Körper der Frau ist keine Ware
Dabei wenden sie sich besonders gegen Prostitution, da, so die Herausgeberinnen, der Körper der Frauen in dem Geschäft die Ware sei, Zwangsprostitution und Ausbeutung mehrheitlich arme Frauen und solche aus anderen Ländern treffen würde und nur wenige Betroffene den Weg der Legalisierung wählen würden, da sie gesellschaftliche Ausgrenzung fürchten müssen.
Am Thema "Kampf gegen Prostitution" haben sich die "Störenfriedas" zusammengefunden. Ihre politische Arbeit dokumentieren und diskutieren sie seit dem Sommer 2014 auf dem Webblog "Störenfriedas". In dem gleichnamigen Buch erläutern sie ihre Position als Radikalfeministinnen und bezeichnen sich als vierte Welle des Feminismus. Die erste Welle habe um das Frauenwahlrecht gekämpft. Die zweite Welle sei eine radikale(…), auf die tatsächlichen Lebenswelten von Frauen zugeschnittene Kritik am Patriarchat gewesen, die von einer dritten durch die Gender Studies abgelösten Welle des Postfeminismus dominiert worden sei. In dieser Bewegung "sollten alle inkludiert werden. Die Homosexuellen, die Trans, die Inter, überhaupt alle, müsst(t)en in den entsprechenden Textabschnitten ausdrücklich miteingeschlossen werden."
Zwar teilten sie, so die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort zum Buch, einige Aspekte, besonders wenn es um homosexuelle Frauen gehe, andere Positionen aber ausdrücklich nicht. "Andere Arten der Diskriminierung sind schlicht und ergreifend durch die Lebenswelten von Frauen zu erklären und dürfen nicht dadurch relativiert werden, dass man sie mit anderen vermischt, wie es die noch viel beliebteren "Queerfeministinnen" tun." Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter und unterstellen diesen "zusammen mit der Antifeminismus-Bewegung entscheidend dazu beigetragen (zu haben), dass der Feminismus an Schlagkraft verloren" habe, weil der Feminismus "schlichtweg beliebig" wurde. Ihre Position: "Die dritte Welle des Feminismus war die Ära des ´Postfeminismus´ und hängt uns bis heute nach. Hey, ihr seid doch alle längst gleichberechtigt, das steht doch schließlich im Grundgesetz, ihr habt Jobs, ihr dürft schlafen, mit wem ihr wollt – wozu noch Feminismus?"
Gleich im nächsten Abschnitt zielt ihre Kritik auch auf den sex-positiven Feminismus, den sie in Anführungsstriche setzen. Die Störenfriedas kritisieren es scharf, dass Feministinnen Pornos konsumieren und produzieren. So hatte man den Feminismus gern. Handzahm. Nichts mehr mit in Pornokinos Sessel vollpinkeln wie zu Zeiten der Roten Zora. Sie sehen sich solidarisch verbunden mit allen Bewegungen, die sich gegen sexuelle Gewalt und Frauenfeindlichkeit wenden wie beispielsweise dem "Slutwalk", der seinen Ursprung in Kanada hatte und zu weltweiten Demos führte, der in Indien aufgeflammten "Pink Sari Revolution", der deutschen Netzdebatte #Aufschrei und der englischen Aktion "No more Page three", die sich gegen den Abdruck halbnackter Models in Tageszeitungen wendete, um nur einige zu nennen.
Jetzt haben die Störenfriedas ihre Blogbeiträge und neue Artikel in diesem Buch zusammengetragen. Auf über 500 Seiten stellen sie für die Printausgabe teilweise bearbeitete Beiträge auch von Gastautorinnen zusammen. Mira Sigel gibt einen kurzen Abriss zur "Geschichte der(radikalen) Frauenbewegung". und legt dar, dass Prostitution nicht "das älteste Gewerbe" der Welt, sondern "unauflösbar mit der Institution der Sklaverei" verbunden sei. Im Kapitel "Liberation versus Empowerment – die neoliberale Seite des Feminismus" geht Manuela Schon mit dem liberalen Feminismus hart ins Gericht."Frauen sollen sich nicht so an das Patriarchat anpassen müssen, um überleben zu können, sondern wir Radikalfeministinnen möchten eine egalitäre, solidarische Gesellschaft ohne Macht- und Herrschaftsstrukturen.".
Das umfangreichste Kapitel ist der Prostitution gewidmet. Huschka Maus, die sich selbst als "Prostitutionsüberlebende" bezeichnet, beschreibt drastisch, wie der Verkauf des eigenen Körpers die Frauen traumatisiert. Sie deckt den Frauenhass der Freier auf, indem sie bis an die Schmerzgrenze für die Lesenden Originalbeiträge aus Freier-Foren dokumentiert und damit den Mythos vom Freier als "ganz normalem Mann" entlarvt. Manuela Schon klagt die Liberalisierung der Prostitution in Deutschland an, legalisiere sie doch nur das Geld, das durch Prostitution verdient wird, schütze aber nicht die Mehrzahl der Frauen vor Gewalt und Zwangsprostitution. In diesem Teil des Buches sind die Autorinnen besonders überzeugend und klar.
Klare Kante zeigen die Autorinnen auch, wenn es um das Verhältnis von "radikalem Feminismus und Rassismus" geht. Sie dulden keine rassistischen Deutungen, die nur das Besitzdenken der Männer im eigenen Land verschleiern soll. Sie wenden sich auch gegen einseitige Religionskritik und lassen dabei aber die hier dominierenden Kirchen nicht außen vor, hat die christliche Kirche auch schon immer die Selbstbestimmungsrechte von Frauen beschnitten.
In vielen Beiträgen sind ihre Positionen verstörend einseitig. Eine Diskussion, die aktuelle Situation von Frauen, die in der Prostitution arbeiten, zu legalisieren oder sie zu ermächtigen, ihre Arbeitssituation zu verbessern, lassen sie kategorisch nicht zu. Sie plädieren für ein radikales Verbot von Prostitution. Auch ihre Urteile zum Queerfeminismus sind hart und unnachgiebig, ihr Ton gegenüber den Queerfeministinnen allzu sarkastisch. Diese Unnachgiebigkeit schwächt leider auch ihr Plädoyer, die Mehrheit der Frauen und ihre inakzeptable Lage in der Welt nicht zugunsten einer alles inkludierenden Beliebigkeit aus den Augen zu verlieren. Dennoch lohnt es sich, ihre radikalen, an die Wurzel gehenden Positionen zu betrachten. Ihre Parteilichkeit für Frauen ist in Zeiten, in denen in vielen Teilen der Welt gerade die Frauen in ihren Rechten beschnitten werden und konservative Religionsauslegungen Frauen aus dem Gesellschaftbild drängen, bedenkenswert.
AVIVA-Tipp: Die Störenfriedas sind alles andere als friedlich, lassen die Autorinnen sich gerade nicht auf die inzwischen so verbreiteten individualistischen Betroffenheitsmaulkörbe ein. Für sie bleiben dabei die Mehrheitsverhältnisse, wenn es um das Leid von Frauen weltweit geht, verschleiert. Die Absolutheit ihrer Urteile ist dabei manchmal mehr als verstörend und macht es unnötig schwer, die durchaus wichtigen radikalfeministische Aspekte anzunehmen. Schade ist nur, dass das Buch streckenweise ein besseres Lektorat verdient hätte, taucht doch ein im Wortlaut gleicher Artikel lediglich anders überschrieben gleich zweimal auf. Da das Buch als Book on Demand erscheint, gibt es ja eine Chance, hier nachzubessern.
Zu den Autorinnnen: Mira Sigel ist Bloggerin, Manuela Schon Soziologin und Bloggerin, Ariane Panther ist Bloggerin und Caroline Werner ist Neurobiologin. Alle vier Autorinnen sind Gründungsmitgliederinnen von "Die Störenfriedas". Huschka Mau ist Aktivistin und bezeichnet sich selbst als Prostitutionsüberlebende. Sie stieß 2016 zu "Die Störenfriedas".
Mehr Infos zu "Die Störenfriedas" www.diestoerenfriedas.de
Mira Sigel, Manuela Schon, Ariane Panther, Caroline Werner, Huschka Mau (Hrsg.)
Störenfriedas
Taschenbuch
Book on Demand, Erschienen: 12.02.2018
ISBN: 9783746018515
Preis: €24.90
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