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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 02.10.2018


Christian Herrmann - In schwindendem Licht / In Fading Light. Spuren jüdischen Lebens im Osten Europas
Sigrid Brinkmann

Dem Fotografen Roman Vishiniac (1897-1990) war es in den 30er Jahren gelungen, mit versteckter Kamera tausende Porträts von osteuropäischen Juden zu machen und eine Auswahl der durch den Krieg geretteten Aufnahmen findet sich in Vishniacs berühmt gewordenen Bildband "Verschwundende Welt". Unter dem gleichen Titel - "Vanished World" - führt der Kölner Fotograf Christian Herrmann einen Blog. In ihm dokumentiert er…




...seine Reisen durch die Landschaften zwischen Baltikum und Schwarzem Meer". Ein großer Teil der Aufnahmen findet sich nun in dem gerade erschienenen Fotoband "In schwindendem Licht /In Fading Light".

Die Ukraine und die Republik Moldau, Rumänien, Ungarn und Polen begann Christian Herrmann Anfang der neunziger Jahre zu erkunden, nachdem der größte Teil der dort verbliebenen Juden und Jüdinnen die Chance genutzt hatte, nach Israel und in westliche Länder auszuwandern. Herrmann fokussiert folglich auf die Abwesenheit jüdischen Lebens. Seine Aufnahmen von Synagogen, Gemeindehäusern und Thoraschulen, die seit dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr verfielen, lassen dennoch ahnen, wie prachtvoll die Gebäude einst waren. Schlammige Wege führen zu den Ruinen, in denen Grün geborstenes Holz überwuchert. Geschäftsschilder mit hebräischen Schriftzeichen und Krankenhäuser erinnern an alltägliches Leben.

"Eine der schönen Erfahrungen sind die alten Leute, die kommen und ihre Geschichten teilen wollen. Das sind Dinge, die sie selber erlebt haben. Erinnerungen an die Zeit, als Juden noch in den Orten gelebt haben, oder Geschichten, die sie von ihren Eltern, teilweise auch Großeltern kennen. Es gibt ein großes Mitteilungsbedürfnis."

Erschütternd wirken die Fotografien entweihter Friedhöfe. Man sieht einen Bauhof, der über Grabstätten errichtet wurde. Transporter verrosten daneben. Ziegen grasen zwischen umgestürzten Grabsteinen. Jemand hat Hunden eine wacklige Hütte gezimmert. Grabplatten dienten zur Fertigung von Schleifsteinen und zur Pflasterung von Straßen. Begonnen wurde damit unter deutscher Besatzung. Von der Zweckentfremdung eines Friedhofs als Spielplatz erzählt ein ruhendes Karussell. Christian Herrmanns Bilder sind von ergreifender Stille.

"Aber die Profanierung ist auch kein osteuropäisches Phänomen in Anführungszeichen. Ich bin gerade an den Kölner Markthallen vorbeigefahren. Die sind 1937 gebaut worden und zwar auf dem Gebäude des mittelalterlichen jüdischen Friedhofes der Stadt. Es ist durchaus etwas, was wir kennen, wenn man es denn kennen will."

Die bauliche Größe städtischer Synagogen war kommunistischen Autoritäten willkommen: Sie wurden zu Sporthallen umfunktioniert, zu Kinos und Jugendclubs, Wodka-Destillerien, Bars, Lagerräumen und Wohnungen. Zwischen die Aufnahmen setzt Christian Herrmann Fotografien bunt lackierter Türrahmen. Wo fromme Juden einst eine Mesusa befestigten – ein kleines Holz-, Keramik- oder Metallröhrchen befestigten, in dem das Glaubensbekenntnis Schma Israel steckt - sind Spuren entfernter Nägel und schräge, längliche Kerben im Holz zu erkennen.

"Die Suche nach den Mesusot ist so etwas Manisches. Das teile ich mit Freunden, mit denen ich reise. Das ist der permanente Blick auf den rechten Türpfosten, wenn es denn eine alte Tür noch gibt."

Menschen treten in Christian Herrmanns Langzeitbeobachtung erst auf den letzten Seiten seines eindrucksvollen Fotobandes ins Bild. In der Ukraine, sagt der Fotograf, gebe es inzwischen eine Vielzahl ehrenamtlicher Initiativen, die sich um das steinerne Erbe kümmern. Dass er - zusammen mit 74 anderen PreisträgerInnen – in Lwiw für seinen dokumentierenden Blick mit der gläsernen Replik eines alten Synagogenschlüssels geehrt wurde, drückt für ihn den klaren Wunsch der Stadt aus, zu ihrem geschichtlichen Gedächtnis zurückzufinden.

Zum Autor/Fotograf: Christian Herrmann, geboren 1962, lebt in Köln und arbeitet für eine Non-Profit-Organisation in Bonn. Seit Jahren bereist er Osteuropa auf der Suche nach Spuren jüdischen Lebens. Aus den dabei aufgenommenen Fotografien entstehen Ausstellungen und Bücher. Seine Erlebnisse dokumentiert er im Blog "Vanished World", ein Online-Archiv, das beständig fortgeschrieben wird.
Mehr Infos: vanishedworld.blog

Christian Herrmann
In schwindendem Licht / In Fading Light. Spuren jüdischen Lebens im Osten Europas

180 Seiten, 110 Abbildungen
30,00 Euro
Lukas Verlag, Berlin, erschienen 10.09.2018
Mehr zum Buch unter: www.lukasverlag.com

Der Beitrag wurde bei NDR Info "Schabat Schalom" gesendet. Autorin: Sigrid Brinkmann, Redaktion: Almut Engelien

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Beitrag vom 02.10.2018

AVIVA-Redaktion