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Beitrag vom 12.10.2018
Margarete Stokowski - Die letzten Tage des Patriarchats
Ahima Beerlage
Mit "Untenrum frei" schrieb sie sich in die Herzen vieler Feministinnen. Jetzt legt die Kolumnistin von TAZ und Spiegel-Online nach und läutet "Die letzten Tage des Patriarchats" ein. Dabei ordnet sie ihre Essays und Kolumnen aus sieben Jahren in zehn thematische Schwerpunkte vom "Flirten und Vögeln" bis in skurrile Aussichten "Für die Zukunft".
Einfach klug
Margarete Stokowski ist bekennende Feministin. Kein ganz einfacher Stand, findet sie im Vorwort zu diesem Buch. "Wer vom Patriarchat spricht, handelt sich schnell den Vorwurf ein, Frauen nur zu Opfern zu machen. Es kann passieren, dass man als Feminist*in frauenfeindlich genannt wird, weil man angeblich die vielen Fortschritte nicht sieht, die Frauen erreicht haben." Stokowski sieht diese durchaus. Frauen "können reich und berühmt werden, sie gewinnen Preise, fliegen ins All und fahren Monstertrucks." Doch Vieles liegt noch im Argen. Und das nimmt Stokowski in ihren kurzen Texten auf die spitze Feder. Dabei gelingt ihr wie keiner anderen Autorin, Missstände wie Missbrauch, Körper-Diktate und strukturelle und körperliche Gewalt aufzugreifen und durch scheinbar alltägliche Bilder so entwaffnend aufzudecken, dass der Vorwurf, eine humorlose, verkniffene Feministin zu sein, allein durch ihre Sprache entwaffnet wird.
Schon im ersten Kapitel Flirten und Vögeln und Liebe packt sie aktuelle heiße Eisen an. In Ihrer Kolumne Sich schön in die Fleischtheke legen greift sie den neuesten Trend auf, nach dem Männer sich durch den Feminismus so verunsichert fühlten, dass sie sich nicht einmal trauten zu flirten. Stokowskis trockene Replik: Wer sich vom Feminismus beim Flirten verunsichern lässt, war auch vorher schon zu dumm dazu. Und das ist Stokowskis Kunst. Sie lässt sich von männlichen Provokationen nicht in eine Rechtfertigungshaltung drücken, sondern gibt den Ball zurück. Es gibt eine einzige feministische Flirtregel, die man sich im Übrigen sehr leicht merken kann und die lautet: Sei kein Arschloch. Fertig. That´s it. Unisex übrigens. One size fits it all. So praktisch. Der Rest ist ein bisschen gesunder Menschenverstand, Anarchie und Liebe, und das ist genauso schön, wie es klingt.
In diesem ersten Kapitel scheut sie sich aber auch nicht, ihre Entwicklung als Kolumnistin zu dokumentieren. So nimmt sie ihre erste taz-Kolumne von 2011 auf, die sie heute richtig schlimm findet, und setzt sogar noch eins drauf: Sie veröffentlicht den dazu passende vernichtenden Leser*innen-Post. Das traut sich nicht jede.
Charmante Tabubrüche
Ein ebenso aktuelles Phänomen ist es, daß nur noch die zu einem Thema sprechen sollen, die selbst davon betroffen sind. Auch das stört Margarete Stokowski nicht. Sie fordert in einem Text von 2014 "Guckt mehr Lesbenpornos". In dieser Kolumne schildert sie, wie sich die Zuschauenden bei dem Film "Blau ist eine warme Farbe" während der ausgedehnten Sexszene zwischen zwei Frauen nicht mehr eingekriegt haben vor Lachen. In ganz lockerem Ton greift sie das Thema Homophobie auf, das sonst meist sehr belehrend oder politisch schwergewichtig diskutiert wird. Margarete Stokowskis Antwort bringt das komplexe Thema lakonisch auf den Punkt. Der Film könnte unter anderem als Selbstfindungsdrama betrachtet werde. "Könnte man. Geht aber nicht, wenn man sich volle Lotte drauf konzentriert, sich zu ekeln. Dann wird es schwierig. Ekel ist immer auch Angst. Vielleicht waren die Jugendlichen, die mit mir im Kino waren, gar nicht homophob, vielleicht hätten sie nur vorher üben sollen."
Geht doch – Feminismus
Sie macht es den Lesenden leicht, sich die Kritik am Patriarchat anzulesen, denn sie zeigt nicht mit dem Finger auf Menschen und beschuldigt: "Du bist…" oder "Du hast…". Sie stellt Fragen, entlarvt durch Humor oder bringt Beispiele, die die Untragbarkeit so mancher antifeministischer Behauptung entlarvt. Im zweiten Kapitel Feminismus knöpft sie sich die Kritiker*innen der Gender-Studies ebenso ironisch vor wie Multiple-Choice-Tests zum Thema "Sind Sie Feministin?" im Magazin Glamour, das ist ein Fachmagazin für Haarekämmen, Taschenkaufen, Liebemachen
Manchmal fragt frau sich, wo Margarete Stokowski dieses skurrile Ausgangsmaterial findet. Wenn sie es dann aber durch den feministischen Kakao zieht, ist das höchst amüsant. Doch manchmal wird sie ungewohnt ernst wie bei der Frage Ist der Feminismus zu weit gegangen?. Im März 2018 antwortet sie darauf: Wenn eine Gesellschaft – vereinfacht gesprochen- zum Nachteil von Frauen eingerichtet ist, dann wirkt vieles, was zur Gleichberechtigung getan wird, wie Männerhass. …Frauenhass bleibt häufig unentdeckt, während vermeintlicher Männerhass schnell als Argument gegen Veränderungen aufgebracht wird.
Souveräne Sachlichkeit – schnodderige Sozialkritik
Ob Geldschneiderei mit sündhaft teuren "Feminismus"-T-Shirts durch Modefirmen, gefertigt von unterbezahlten Frauen in armen Ländern, pseudorevolutionärer Krawall auf Kosten von Anwohner*innen beim G20 Gipfel, über AfD-Recken oder verstrahlte Wissenschaftler*innen und ihre unhaltbaren Behauptungen zu Frauen – in ihrem Kapitel Bekloppte Zustände entlarvt sie Gedankenlosigkeit, die aus Privilegien und falschen Menschenbildern erwachsen. Männer, Körperkult und Bodyshaming, Gewalt, Rechtsruck oder Rechtslage – es gibt kaum ein Thema, das Stokowski in den letzten sieben Jahren nicht aufs Korn genommen hat. Besonders erheiternd, aber manchmal auch zum Grausen, ist das Feedback, das sie auf viele Artikel erhalten hat und das sie oft am Ende einer Kolumne abdruckt. Zwar betont sie immer wieder trockenhumorig, wie locker sie diese Anwürfe weggesteckt hat. Wenn dem wirklich so ist, dann ist sie sehr bewundernswert, denn diese Hasstiraden sind ein lebender Beweis für Frauenfeindlichkeit und verbale Gewalt – oder manchmal auch einfach ein Zeugnis für himmelschreiende Dummheit.
Die Bilder, die Margarete Stokowski oft wählt, sind entwaffnend komisch. So schreibt sie zur Frauenquote: Natürlich ist die Frauenquote blöd. Sie ist ärgerlich wie der Gips, den man tragen muss, wenn man sich den Arm gebrochen hat. Es wäre viel mehr Heißa-Hopsasa ohne Gips. Aber wenn alles heile ist, kann der Gips weg.
AVIVA-Tipp: Margarete Stokowskis Kolumnen und Essays sind nicht nur ein besonderes Zeitdokument aus sieben Jahren zum Thema Feminismus, sie sind auch ein guter Leitfaden, nicht dogmatisch, überempfindlich oder verbissen die offensichtlichen Missstände im Patriarchat zu entlarven. Stokowski besitzt ein besonderes Talent, mit entwaffnender Ehrlichkeit kluge Gedanken verständlich und durch außergewöhnlich anschauliche Bilder illustriert unterhaltsam zu vermitteln. Sie lässt unberechtigte Kritik lässig an sich abprallen oder löst sie geschickt in Ironie und Sarkasmus auf. Es würde einigen Diskussionen guttun, einfach mal Margarete Stokowski zu zitieren, um die Lage zu entspannen. Doch eins sollte man nie tun – sie zu unterschätzen, nur weil sie an manchen Stellen die Lesenden in wieherndes Gelächter ausbrechen lässt. Ihre Analysen sind klar und unerbittlich. Wenn sie ernst wird, kippt ihr Ton nie ins Anklagende oder Weinerliche. Sie schreibt schlicht und ergreifend souverän. Vielleicht ist es das, was ihre Kritiker*innen so in Raserei versetzt. Gut so und besonders lesenswert.
Zur Autorin: Margarete Stokowski, geboren 1986 in Polen, lebt seit 1988 in Berlin und studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie schreibt seit 2009 als freie Autorin unter anderem für die taz, wo 2012 bis 2015 ihre Kolumne "Luft und Liebe" erschien, für DIE ZEIT, Missy Magazine, L-Mag und Das Magazin. Seit 2015 erscheint ihre wöchentliche Kolumne "Oben und unten" bei Spiegel Online: www.spiegel.de/thema/spon_stokowski
Margarete Stokowski auf Twitter: twitter.com/marga_owski (Quelle: Rowohlt-Verlag)
Margarete Stokowski
Die letzten Tage des Patriarchats
Gebundene Ausgabe
Rowohlt Buchverlag, 1. Auflage, 25.September 2018
Preis 20.00 Euro
ISBN: 978-3498063634
Mehr zum Buch sowie Lesungstermine unter: www.rowohlt.de
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