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Beitrag vom 29.01.2019
Michaela Karl - Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an. Unity Mitford. Eine Biographie
Silvy Pommerenke
Bereits 2016 bei Hoffmann & Campe erschienen, liegt die Biographie der Wissenschaftsjournalistin und Autorin Michaela Karl über die fanatische Anhängerin von Adolf Hitler, Unity Mitford, nun als Taschenbuchausgabe bei btb vor.
Michaela Karl hat sich – im schlechtesten Sinne - einer außergewöhnlichen Frau angenommen, die als "It-Girl" der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts galt und eine fanatische Anhängerin von Adolf Hitler war. Ganze 140 Mal traf Unity Mitford in den Jahren 1935 bis 1939 mit Hitler zusammen, dennoch haben sich HistorikerInnen bislang kaum mit der Britin auseinandergesetzt. Zu wenig werden Frauen in der Rolle von Sympathisantinnen, Mitläuferinnen oder Täterinnen wahrgenommen.
Die außergewöhnliche Kindheit
Unity wächst mit ihren fünf Schwestern und einem Bruder unter äußerst ungewöhnlichen Umständen auf. Die Eltern überlassen sie sprichwörtlich sich selbst. Zur Schule gehen sie nicht, Außenkontakte beschränken sich auf die nähere Verwandtschaft, zu denen auch Churchills gehören. Die Erziehung und Ausbildung, so überhaupt davon gesprochen werden kann, läuft über eine Gouvernante und zum Teil durch Lady Mitford (Der Verschleiß der Gouvernanten ist exorbitant hoch, kaum eine hält es lange aus mit den Mitford-Kindern). Lediglich der Sohn darf eine Schule besuchen und Nancy, die älteste Schwester macht für ein Jahr einen schulischen "Ausflug". Die älteren Kinder bewohnen sogar ein eigenes Haus, das über einen Kreuzgang mit dem elterlichen Anwesen, dem Asthall Manor, verbunden ist. Lediglich die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen. Grenzen werden ihnen kaum gesetzt, dafür haben sie eine eigene Bibliothek und ein Klavier. Soweit der häusliche Hintergrund. Aber auch der Menüplan ist für die damalige Zeit äußerst ungewöhnlich: Weißmehl, Zucker und Fleisch sind tabu. Dafür steht Rohkost auf dem täglichen Speiseplan. Die Eltern behandeln ihre Sprösslinge mit wohlwollendem Desinteresse, wobei der Vater zu häufigen Wutausbrüchen neigt. Sowohl Eltern als auch Kindern ist gemein, dass sie sehr exzentrisch und schön sind. Adel verpflichtet...
Erste Berührung mit dem Faschismus
Die Mitford-Kinder wachsen heran, und immer stärker entwickeln sich ihre Charaktere. Als sich die ältere Schwester Diana in den Gründer der faschistischen Partei British Union of Fascists (BUF), Oswald Mosley, verliebt (und deswegen ihren Ehemann verlässt), so hat das auch Auswirkungen auf Unity, denn durch ihn kommt sie das erste Mal direkt mit dem Faschismus in Berührung. Zeitgleich wird Unity in die britische Gesellschaft eingeführt. Die Klatschpresse berichtet nun häufig über sie, vor allem, weil sie mit ihren 1,80 Meter ungewöhnlich groß ist und weil sie gerne ihre zahme Ratte oder ihre Ringelnatter mit auf die Bälle nimmt.
Im Laufe der Zeit politisiert Unity sich zunehmend und sie besucht nun auch die "Women´s League of Health and Beauty", eine Vereinigung, die der "Gesundhaltung der Rasse" dienen soll. Im Juni 1933 wird Unity Mitglied der BUF, dem britischen Pendant zur NSDAP. Parallel dazu entwickelt sich die jüngere Schwester zur Kommunistin, und es wirkt fast so, als sei es Polit-Satire: die beiden Schwestern teilen sich ein Zimmer, und während die eine ihre Hälfte des Zimmers mit faschistischen Devotionalien geschmückt hat, so finden sich bei der anderen kommunistische. Zwischendurch streiten die beiden lautstark über die politischen Gegner - was der Liebe der Schwestern zueinander aber keinen Abbruch tut - und die Eltern ignorieren den Lärm geflissentlich.
Umzug nach Deutschland
Der Kontakt zur oberen NSDAP-Riege kommt schließlich durch Ernst Hanfstaengl zustande, dem Auslandspressechef der NSDAP. Er lädt Diana nach Deutschland ein, mit dem Versprechen, ihr Hitler vorzustellen. Diana nimmt die Einladung an und fährt im Sommer 1933 mit Unity nach München. Ihr Äußeres entspricht dem Ideal des nationalsozialistischen Frauenbildes: blond, blauäugig und von schlanker Statur. Zwar kommt es noch nicht zu einem Treffen mit Hitler, aber die Mitford-Schwestern werden Teil der Massenhysterie. Das Erstaunliche daran ist: obwohl sie kein Wort Deutsch können, sind sie berauscht von der Rede Hitlers auf dem ersten Parteitag der NSDAP. Unity hat das Ventil gefunden, worauf sie immer gewartet hat...
Zurück in England hat Unity nur einen einzigen Wunsch: sie möchte die "Ideale" des Faschismus´ umsetzen, und das geht für sie nur in Deutschland. Die Eltern toben, aber schließlich willigen sie ein, dass Unity - um die deutsche Sprache zu lernen - zurückgeht. Die eigentlichen Absichten ihrer Tochter blenden sie dabei aus. Im Mai 1934 ist es soweit, Unity zieht nach München. Sie lernt emsig Deutsch, um sich mit Hitler unterhalten zu können. Das wird auch bald geschehen, denn Unity sitzt über Wochen täglich - wie ein Groupie - in Hitlers Lieblingsrestaurant, unweit seines Tisches. Aufgrund ihrer Schönheit und ihrer Eleganz fällt sie ihm ins Auge und er lässt sie an seinen Tisch bitten. Genau das war ihr Plan. Der Buchtitel "Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an" spielt auf diese Szene an. Da Hitler ebenso fasziniert von der hübschen und intelligenten Engländerin ist, entwickelt sich schnell eine Freundschaft zwischen den beiden. Von nun an treffen sie sich regelmäßig, und Unity hat ihren Traum verwirklicht, dem "Führer" und seinen Gefolgsleuten ganz nah zu sein. Auch den Rest ihrer Familie macht sie mit Hitler bekannt, und alle reagieren ähnlich in ihrer Faszination auf den Diktator. Die Gehirnwäsche macht aus Unity, die früher jüdische Freundinnen hatte, eine fanatische "Judenhasserin".
Das Ende
Die Treffen mit Hitler finden immer häufiger statt, und auch ihre Schwester Diana rückt in den Inner Circle der Nazis auf. Magda Goebbels wird ihre Trauzeugin. Unity gilt als "It-Girl" der Nazis, und sie glaubt durch die Nähe zu Hitler politischen Einfluss zu haben. Sie irrt gewaltig, denn 1939 kommt es zur Kriegserklärung von Großbritannien an Deutschland. In ihrer Erschütterung versucht sich Unity - vermutlich - zu erschießen. Was misslingt. Der genaue Tathergang lässt viele Fragen offen, die Michaela Karl leider auch nicht beantworten kann. Die Biografin stellt die Vermutung in den Raum, dass es auch versuchter Mord gewesen sein könnte. Schwerverletzt wird Unity schließlich nach England gebracht, und die Presse überschlägt sich fast vor Sensationslust, aber sie wird - auch mit militärischer Hilfe - von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Ihr Vater tut alles, um sie vor einer Internierung zu bewahren, da sie des Hochverrats bezichtigt und sie zur "Fünften Kolonne" Hitlers gezählt wird. Neben der Vermutung, dass es ein Attentat war, gibt es auch etliche Gerüchte, dass alles nur eine groß angelegte Inszenierung und Unity überhaupt nicht verletzt sei. Vermutlich stimmt dies nicht, denn ärztliche Berichte beschreiben, dass die Kugel im Gehirn steckengeblieben sei, sodass Unity das geistige Niveau eines Kindes und auch physische Einschränkungen habe. In den kommenden acht Jahren kümmert sich ihre Mutter hingebungsvoll um sie, bis sie mit nur 33 Jahren an den Spätfolgen der Pistolenkugel stirbt. Unitiy Mitford hinterlässt viele Rätsel und offene Fragen. Michaela Karl hat mit "Ich blätterte gerade in der Vogue..." einige davon beantwortet.
AVIVA-Tipp: Michaela Karl hat sich einer schwierigen Aufgabe gestellt. Sie stellt nicht nur auf etwas über 350 Seiten die Kindheit und das Heranwachsen von Unity Mitford und ihren Geschwistern dar, sondern zeichnet auch das Entstehen des Faschismus´ in Europa nach. Die Autorin meistert diese Aufgabe mit Bravour! Oder, wie es der Bayerische Rundfunk formuliert: "Tiefgründig recherchiert, mitreißend geschrieben". Dank Michaela Karl wird das Phänomen des Nationalsozialismus´ greifbar. Entschuldbar macht es ihn nicht.
Zur Autorin: Michaela Karl, geboren 1971, studierte in Berlin, München und Passau Politologie, Geschichte und Psychologie. 2001 promovierte sie an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. Ihre Biographien über Dorothy Parker, Zelda und F. Scott Fitzgerald und ihr Buch über Bonnie und Clyde waren von der Presse hochgelobte Bestseller. Ihre Unity-Mitford-Biographie "Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an" erschien gebunden 2016 bei Hoffmann und Campe, seit 2018 bei btb. Michaela Karl war Lehrbeauftragte für politische Theorie an der Hochschule für Politik in München und ist Mitglied der Münchner TurmschreiberInnen. (Quelle: Verlagsinformationen)
Michaela Karl im Netz: www.muenchner-turmschreiber.de
Michaela Karl
Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an. Unity Mitford – Eine Biographie
btb Verlag, erschienen Juli 2018
Originalverlag Hoffmann und Campe
Taschenbuch, Broschur, 400 Seiten, diverse s/w Abbildung
ISBN 978-3-442-71623-4
Euro 11,00
Mehr zum Buch unter: www.randomhouse.de
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