Michaela Karl - Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen. Maeve Brennan. Eine Biographie - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 11.05.2019


Michaela Karl - Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen. Maeve Brennan. Eine Biographie
Bärbel Gerdes

Großartig entfaltet Michaela Karl das aufregende Leben der irisch-amerikanischen Schriftstellerin und Journalistin Maeve Brennan (1917-1993) in Irland und vor allem in New York. Im New York der 1950ger Jahre zeigt Brennan, wie ein selbstbestimmtes, autonomes Leben geführt wird.




Nach der Veröffentlichung der Sämtlichen Erzählungen lernen wir die Long-Winded Lady endlich persönlich kennen.

Wenn Michaela Karl eine neue Biographie veröffentlicht, können wir gewiss sein, dass uns großer Lesespaß und Lesegenuss bevorsteht. Sämtliche von ihr verfassten Lebensgeschichten wurden von der Presse hoch gelobt. Allein die Titel machen neugierig: Dorothy Parker lockt mit "Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber", Zelda und F. Scott Fitzgerald mit "Wir brechen die zehn Gebote und uns den Hals". 2016 erschien die Unity-Mitford-Biographie Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an. Unity Mitford. Eine Biographie.

Mit einer unglaublichen Leichtigkeit versteht es Michaela Karl, nicht nur das Leben der jeweiligen Protagonistin darzustellen, sondern gleichzeitig Zeit- und Milieustudien mitzuliefern, so dass wir eintauchen können in das Buch und in das Leben. Wie auf einer Cocktailparty stellt uns Michaela Karl zunächst nur kurz eine Person vor, eine Schriftstellerin, die "nur zwei wirklich große Lieben [hatte]: Bücher und Tiere und die ihr halbes Leben [...] beobachtend hinter der Scheibe eines Restaurants verbrachte, um sodann einzutauchen und uns mitzunehmen in eben jenes Leben von Maeve Brennan.

Die 1917 in Irland Geborene statuiert schon in ihrem ersten Artikel, dass Frauen im täglichen Leben die Hälfte des Denkens und in vielen Fällen auch noch die Hälfte, wenn nicht gar weit mehr, der niederen Dienste übernähmen, während Männer Gesetze erlassen und die Frauen an den Herd schicken, obwohl es doch manchmal so ist, dass der Mann, der die Frau verhöhnt, nicht einmal genügend Verstand besitzt, um die Katze von der Milch fernzuhalten.

Aufgewachsen in einem unruhigen Irland, in dem die Eltern auf Seiten der Nationalisten kämpfen, lernt Brennan schnell, dass Frauen zwar beim Kampf gegen den britischen Unterdrücker durchaus erwünscht sind, sie aber sofort wieder an den Herd verbannt werden, sobald die siegreichen Männer an der Macht sind.
Die traumatischen Ereignisse von nächtlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen erlebt Maeve Brennan als kleines Mädchen.

Erst als die Familie 1934 in die Vereinigten Staaten zieht, wird das Leben stabiler – und selbstbestimmter. Das bigotte und rückständige Irland hinter sich lassend, entdecken Maeve und ihre Schwester Deidre viel Neues. Nach dem High-School-Abschluss studiert sie zunächst englische Literatur und Bibliothekswesen, später Bibliothekswissenschaften, denn sie möchte Bibliothekarin werden. Erstmals lernt sie Seite an Seite mit jungen Männern. Neben dem Studium arbeitet sie in einer Buchhandlung. Und sie hat sich etwas vorgenommen: "Ich will glücklich werden. Und ich werde alles tun, damit es mir gelingt."

Mit einem Job an der New York Public Library hat sie es fast geschafft – doch New York zieht sie in ihren Bann und fasziniert sie.
Während ihre Eltern 1944 nach Irland zurückkehren, bleibt Maeve in New York – und erobert sich ihr selbstbestimmtes Leben. Als Werbetexterin bei Harper´s Bazaar macht sie Bekanntschaft mit der Modewelt.
Anlass genug für Michaela Karl mit der Leserin einen Ausflug in genau diese Welt zu unternehmen. Kenntnisreich und mitreißend – die Rezensentin wusste nicht, wie interessant diese Welt sein kann – berichtet Karl von sich entwickelnden Modestilen, von Coco Chanel, Diana Vreeland und Christian Dior, der Kleider aus bis zu 41 Metern Seide nähen lässt, deren Preis heute etwa 12.500 € entspräche. Coco Chanel wirft ihm vor, Frauen nicht einzukleiden, sondern zu tapezieren und viele Frauen rennen Sturm gegen eine Mode, die die im Krieg gewonnenen Freiheiten wieder einschränkt.
Maeve Brennan ficht das alles nicht an. Sie hat ihren eigenen Stil gefunden. Sie kleidet sich in elegantem Schwarz und Perlenkette, ihr Gespür für Trends macht sie zu einer Stilikone. Ihre Texte erregen Aufmerksamkeit.

Und auch sonst geht sie eigene Wege. Sie unterhält zahlreiche Beziehungen – vorzugsweise zu verheirateten Männern. Sie hasst es, sich festzulegen, Verpflichtungen, feste Termine und Arrangements sind ihr ein Gräuel.. Sie ist gerne mit sich allein und genießt die Gesellschaft Anderer dann, wenn sie es will.
Ab 1949 arbeitet sie für den New Yorker. Rasant schildert Michaela Karl diese Zeitschrift und ihre MitarbeiterInnen, ein Haufen von ExzentrikerInnen, die eine nie dagewesene Mischung aus Kultur und Journalismus auf die Beine stellen, mit all ihren individuellen Seltsamkeiten aufgenommen und anerkannt werden und eine Familie ganz eigener Art bilden.

Maeve Brennan schreibt ihre Kolumnen der Long-Winded Lady, der langatmigen Dame, die sich in New York auf den Straßen herumtreibt, beobachtet, wahrnimmt, kommentiert. Brennan liebt es, an den Fensterplätzen der Cafés und Restaurants zu sitzen, zu rauchen und ihren Martini zu trinken.
Sie zieht von Appartement zu Appartement, von Hotelzimmer zu Hotelzimmer. Zu einer Lebensaufgabe wird es ihr, die richtige und stimmige Unterkunft zu finden. Einige Monate im Jahr verbringt sie auf dem Land, immer dabei ihre Katzen und ihre geliebte Labradorhündin Bluebell.

Der Blick durch die Scheibe und das eher anonyme Wohnen kommen ihrem Bedürfnis nach Distanz und Diskretion entgegen. Nie ließ Maeve Brennan jemanden gänzlich in ihr Innerstes blicken., schreibt Karl.
Gleichzeitig kümmert sie sich in ihren Texten um die Stadtpolitik. Sie schildert die Veränderungen Manhattans und betont, was durch die kalten Bauten, die entstehen, zerstört wird – an den Häusern und an den Menschen.
Michaela Karls Exkurs in die Architekturgeschichte New Yorks ist atemberaubend.

Mit viel Empathie und angenehm diskret berichtet die Biographin von den letzten Jahren Maeve Brennans, von ihrer psychischen Erkrankung und ihrer Verarmung.
Zurück bleibt das Bild einer Frau, die selbstbestimmt lebte, die das Leben genoss und liebte und die eintauchte in eine Stadt, die sie sich ganz zu eigen machte.

AVIVA-Tipp Michaela Karl hat eine großartige Biographie der irisch-amerikanischen Journalistin und Schriftstellerin Maeve Brennan geschrieben, die weit über eine reine Lebensbeschreibung hinausgeht. Eine uneingeschränkte Leseempfehlung mit Lektüregenussgarantie!

Zur Autorin: Michaela Karl, 1971 in Straubing geboren, studierte in Berlin, München und Passau Politologie, Geschichte und Psychologie. 2001 promovierte sie an der FU Berlin mit einer Arbeit über Rudi Dutschke. 2005 erschien ihr erster Roman Höllische Grüße. Ihre Biographien über Dorothy Parker, Zelda und F. Scott Fitzgerald und ihr Buch über Bonnie und Clyde waren von der Presse hochgelobte Bestseller. Ihre Unity-Mitford-Biographie Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an erschien 2016 bei Hoffmann und Campe. In weiteren Büchern beschäftigt sie sich mit politischen Oppositionsbewegungen, z.B. mit den Suffragetten. 2010 wurde ihr Theaterstück Bayerische Amazonen im Rahmen der Europäischen Wochen uraufgeführt. Michaela Karl war Lehrbeauftragte für politische Theorie an der Hochschule für Politik in München und ist Mitglied der Münchner TurmschreiberInnen.
Michaela Karl im Netz: www.muenchner-turmschreiber.de

Maeve Brennan wurde am 6. Januar 1917 in Dublin geboren. 1934 zog sie mit ihren Eltern nach Washington. Nachdem sie zunächst als Werbetexterin bei Harper´s Bazaar arbeitete, wechselte sie 1949 in die Redaktion des The New Yorker. Ab 1969 erschienen ihre Erzählungen auch in Buchform. Maeve Brennans Bücher Die Besucherin, Mr. und Mrs. Derdon, Der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen, Der Morgen nach dem großen Feuer und Tanz der Dienstmädchen wurden begeistert aufgenommen. Maeve Brennan starb am 1. November 1993 in einem Pflegeheim in New York City.
Maeve Brennans Artikel im New Yorker: www.newyorker.com

Michaela Karl
Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen. Maeve Brennan. Eine Biographie

Verlag Hoffmann und Campe, erschienen am 1.4.2019
352 Seiten, Pappband mit SU
ISBN 978-3-455-50414-9
22,00 €
Mehr zum Buch und Lesungstermine unter: www.hoffmann-und-campe.de

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Maeve Brennan - Sämtliche Erzählungen
Mit einer wunderschönen zweibändigen Leinenausgabe ehrt der Steidl-Verlag die 1917 in Dublin geborene irisch-amerikanische Schriftstellerin und Journalistin Maeve Brennan. Die hierzulande viel zu unbekannte Autorin mit ihren genialen Geschichten verdient es, (wieder-)entdeckt zu werden. (2018)

Michaela Karl - Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an. Unity Mitford. Eine Biographie
Bereits 2016 bei Hoffmann & Campe erschienen, liegt die Biographie der Wissenschaftsjournalistin und Autorin Michaela Karl über die fanatische Anhängerin von Adolf Hitler, Unity Mitford, nun als Taschenbuchausgabe bei btb vor. (2019)





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Beitrag vom 11.05.2019

Bärbel Gerdes