Emilia Smechowski – Rückkehr nach Polen. Expeditionen in mein Heimatland - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 05.09.2019


Emilia Smechowski – Rückkehr nach Polen. Expeditionen in mein Heimatland
Saskia Balser

Als Fünfjährige ist die mehrfach ausgezeichnete Berliner Journalistin und Autorin Emilia Smechowski ("Wir Strebermigranten") aus Polen mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen. Für ein Jahr ist sie im März 2018 zusammen mit ihrer Tochter nach Danzig zurückgekehrt, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte, dass ihre Heimat heute von einer nationalkonservativen und EU-kritischen Partei regiert wird und wie diese die Nation spaltet.




Seitdem Emilia Smechowski schreibt, beschäftigt sie sich mit ihrem eigenen Lebensweg und ihrer Identität einer polnischen Migrantin. Bei der "taz", der "Zeit" und der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichte sie in den letzten Jahren zahlreiche Artikel und leistet auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur sogenannten Migrationsdebatte. Für ihr Essay "Ich bin wer, den du nicht siehst" wurde sie mit dem Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis, dem Deutschen Reporterpreis und dem Konrad-Duden-Journalistenpreis ausgezeichnet. Im Juli 2017 erschien ihr erster Roman "Wir Strebermigranten", in welchem sie ihre eigene Geschichte erzählt: Vom Ankommen und Anpassen in Deutschland.

Emilia Smechowski und Margarete Stokowski
© Saskia Balser, AVIVA-Berlin. Emilia Smechowski und Margarete Stokowski auf der Bühne des Pfefferberg Theaters.


"Rückkehr nach Polen" stellt gewissermaßen die Fortsetzung von Smechowskis erstem Roman dar, kann aber auch unabhängig von seinem "Vorgänger" gelesen werden. Bei der Buchpremiere am 27. August 2019 im Pfefferberg Theater in Berlin empfiehlt Interviewpartnerin Margarete Stokowski das Buch mit den Worten: "Pol*innen, die Emilias Geschichte teilen, können es als Roman und Nicht-Pol*innen können es als Sachbuch lesen."
Tatsächlich, beide Elemente sind in "Rückkehr nach Polen" enthalten. In vielen Passagen beschreibt Smechowski ihren Alltag mit ihrer kleinen Tochter in der "neuen" Heimat Danzig, die größtenteils kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und Polen darlegen, sowie Geschichten persönlicher Enttäuschungen und Frustration. Besonders die ersten Tage sind für Smechowski überwältigend und fremd: "Ich frage mich, was wir hier machen. Wir sind da, aber wir sind noch nicht angekommen. In einem Neuanfang liegt einfach keine Würde."

Als sie 1988 als Kind mit ihrer Familie nach Westberlin gekommen ist, war das Hauptanliegen der Familie, nicht aufzufallen, sich so schnell wie möglich an die neue Kultur und deren Eigenheiten anzupassen. Zurück in Polen fühlt sich Smechowski auch sprachlich zwischen den Stühlen: "Ich [...] habe mehr als nur Probleme mit der Aussprache. Und doch merkt jeder, dass ich keine Ausländerin bin. Mein Polnisch ist zu gut, als dass man mich mit meinem Anderssein durchkommen lassen würde. Ich spreche Polnisch, falle aber dennoch aus dem Raster. [...] Es ist nicht die Sprache, die mich verrät, es sind die Fragen, die ich stelle, weil ich nicht weiß, wie man in Danzig lebt. Die Fragen sagen: Bitte helft mir, ich bin nicht von hier. Nicht wirklich."

Das Erzählen ist aber nicht Smechowskis eigentliches Anliegen, als Journalistin will sie die politischen und sozialen Verhältnisse hinterfragen und verstehen. Aus diesem Grund begibt sie sich ins Gespräch, mit Nachbar*innen, Bekannten und Politiker*innen, unter anderem dem ehemaligen polnischen Staatspräsident Lech Wałęsa, der maßgeblich am politischen Wandel Polens (1980 – 1989) von einem realsozialistischen zu einem demokratisch-marktwirtschaftlichen System beteiligt war.

Smechowski spricht immer wieder von dem "Riss", der sich durch Polens Gesellschaft zieht. Dieser habe sich vor allem gebildet, als im Herbst 2015 die nationalkonservative PiS ("Prawo i Sprawiedliwość, dt. Recht und Gerechtigkeit) Regierungspartei wurde. Seitdem ist die Bevölkerung geteilt in jene, die "dem Westen" zugewandt sind, "die in den Urlaub nach Ägypten oder Spanien flogen und dafür zu Hause Rad anstatt Auto fuhren, die Sushi und vegane Burger aßen und ihre Kinder beim Capoeira beklatschten" und jene, die das vielleicht wollen, aber nicht können, die sich abgehängt fühlen und dennoch als "Polen der besseren Sorte" fühlen.

Antisemitismus in Polen heute

Während ihrer Zeit in Polen besucht Smechowski insgesamt sieben Mal die Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau/Oświęcim und versucht damit zu begreifen, warum die PiS-Regierung ein Gesetz erlassen konnte, das unter Strafe stellt, von einer Mitverantwortung der Polen für den Holocaust zu sprechen und warum antisemitische Angriffe in Polen stetig zunehmen. Smechowski findet: "Auschwitz [ist] in Zeiten von wachsendem Nationalismus und Antisemitismus politischer denn je." Doch auch an ausgerechnet diesem Ort hört Smechowski am Rande, wie ein weiblicher Guide zu ihrer Kollegin sagt: "Ich habe gleich schon wieder Juden, leider." und sie erfährt, dass ein Italiener, der angefangen hat, in der Gedenkstätte als Guide zu arbeiten, Opfer rechter Hetze wurde. An den Eingang seiner Wohnung sprühte man ihm die Sprüche "Polen den Polen" und "Auschwitz den polnischen Guides", dazu einen Davidstern und ein Hakenkreuz.

Wie es zu den vielen Widersprüchen kommen konnte, die Smechowski in ihrem Buch beschreibt und analysiert, und was in den letzten 30 Jahren in der Heimat der Autorin auf gesellschaftspolitischer Ebene passiert ist, geht sie auf die Spur. Ihre augenöffnenden Erlebnisse und Beobachtungen erlauben einen klaren, scharfen Blick auf unser Nachbarland und seine Gesellschaft. Im Zuge ihrer Reise kommt Smechowski zu einer optimistischen Schlussfolgerung:

"Vielleicht muss man sich nicht überall zu Hause fühlen. Vielleicht sollten viel mehr Menschen ab und an Fremde sein. In Deutschland und in Polen und anderswo. Vielleicht würden dann mehr Verständnis wachsen für diejenigen, die ihre Fremdheit nicht so frei wählen können, die Sprachen nicht sprechen und Codes nicht kennen, weil sie Migrantinnen und Migranten sind."

AVIVA-Tipp: Emilia Smechowski, geboren als Emilka Elżbieta Smiechowska, wurde in vielfacher Hinsicht "eingedeutscht" und untersucht aus genau dieser Perspektive das Land ihrer Kindheit. In "Rückkehr nach Polen" findet sie eine interessante Balance zwischen unterhaltsamen, persönlichen Erzählungen sowie informativen Gesellschaftsanalysen.

Zur Autorin: Emilia Smechowski, 1983 in der Nähe von Danzig geboren, migrierte mit ihrer Familie 1988 nach Westberlin, studierte Operngesang und Romanistik in Berlin und Rom und entschied sich dann, als Journalistin zu arbeiten. Sie war Redakteurin der tageszeitung, arbeitet heute als freie Autorin und Reporterin u.a. für Geo, Süddeutsche Zeitung und Die Zeit. Für ihren in der taz erschienen Essay "Ich bin wer, den du nicht siehst" über die große und zugleich kaum wahrgenommene Einwanderungsgruppe aus Polen wurde sie 2015 mit dem Deutschen Reporterpreis, 2016 mit dem Konrad-Duden-Journalistenpreis und dem Deutsch-Polnischen Tadeusz-Mazowiecki-Journalistenpreis ausgezeichnet. 2018 erschien ebenfalls bei Hanser Berlin ihr Buch "Wir Strebermigranten".
Emilia Smechowski im Netz: twitter.com/emilia_owski

Emilia Smechowski
Rückkehr nach Polen. Expeditionen in mein Heimatland

Hanser Berlin, ET: 22. Juli 2019
Fester Einband, 256 Seiten
ISBN 978-3-446-26418-2
23 Euro
Mehr zum Buch und Lesungstermine unter: www.hanser-literaturverlage.de

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Weitere Informationen unter:

www.reporterforum.de
PDF-Dokument des im Mai 2015 in der taz erschienen Essays "Ich bin wer, den du nicht siehst", für den Emilia Smechowski mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.


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Beitrag vom 05.09.2019

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