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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 13.11.2019


Lisa Mundt – Als meine Therapeutin schwieg
Saskia Balser

In ihrem Debütroman beschäftigt sich die österreichische Schriftstellerin Lisa Mundt mit den Schattenseiten der Psychotherapie. Sie zeigt auf, wie gefährlich schnell die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen kann, wenn die Therapeutin selbst in ungelöste Konflikte verstrickt ist.




Die Psychotherapeutin Tina K. gießt sich eine Tasse dampfenden Pfefferminztee ein, während sie ihrer Patientin Adriana dabei zuhört, wie diese von ihren jüngsten Selbstverletzungen berichtet. Auf ihren Armen und Beinen befinden sich neben bereits verblassendem, weißem Narbengewebe auch Brandwunden, blaue Flecken und blutige Bandagen. Die an Borderline erkrankte junge Frau ist nur eine von vielen Patient*innen, die Tina K. täglich in ihrer Praxis empfängt.

Im Fokus von "Als meine Therapeutin schwieg" stehen neben Adriana der achtjährige Adil, der seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr spricht und sich seinem Vater gegenüber gewalttätig verhält, sowie Simon, ein zutiefst depressiver Geschäftsmann, der seit Jahren vergeblich versucht, seinen Job zu kündigen. Zwischen den zahlreichen Therapiegesprächen, die Tina K. mit ihren leidenden Klient*innen führt, blitzen immer wieder auch ihre eigenen Sorgen durch. Dass die Therapeutin selbst vorbelastet ist, ist zunächst nur den Leser*innen klar, wird aber nach und nach auch für ihre Freund*innen bemerkbar, die sich zunehmend Sorgen um sie machen.

Drei Patient*innen und eine kranke Therapeutin – so ließe sich die Ausgangssituation von Lisa Mundts Roman vereinfacht resümieren. Die wenigen Figuren, gepaart mit einer internen Fokalisierung und dialoglastiger Schreibweise, ergeben zusammen eine spannende Erzählung, die schnell Fahrt aufnimmt. Sie hat allerdings auch ihre Schwächen.

Obwohl sich Adriana, Adil und Simon von Grund auf voneinander unterscheiden – Alter, Geschlecht, Symptome, Diagnose – zieht sich der Dialogstil mit abgehackten, kurzen Sätzen durch alle Therapiegespräche. Es gibt viele Situationen, in denen sich die Patient*innen gegen das Gespräch wehren, nicht auf die Therapeutin eingehen, mit ihr Katz und Maus spielen, bevor es endlich zu einer (scheinbaren) Öffnung und Genesung kommt. Im Hinblick darauf, wie unterschiedlich die psychischen Krankheiten der drei Patient*innen sind, hätte die entsprechende Darstellung ihrer jeweiligen Sitzungen auch sprachlich differenzierter und somit authentischer sein müssen. Im gleichen Erzählduktus werden übrigens auch persönliche Gespräche zwischen der Protagonistin und ihren Freund*innen wiedergegeben.

Positiv hervorzuheben ist die absolut unaufgebauschte, normalisierte Darstellung der lesbischen bzw. schwulen Beziehungen von Tina und Martha sowie Christian und Markus. Die Tatsache, dass kein einziges Mal explizit erwähnt wird, dass die Protagonistin in einer lesbischen Beziehung lebt, ist zwar absolut zeitgemäß und müsste selbstverständlich sein, soll aber trotzdem, gerade weil es sich zu oft noch gegenteilig verhält, an dieser Stelle als Plus erwähnt werden.

Lisa Mundt, Studentin der Gender Studies und selbst angehende Psychotherapeutin, stellt in ihrem Roman mit viel Feingefühl das (Innen-)Leben einer Frau dar, die selbst ein traumatisches Erlebnis erlitten hat und sich dem Opferdiskurs verweigert, indem sie über das Erlebte schweigt. Als ihre Partnerin Martha von der Vergewaltigung erfährt, die Tina zugestoßen ist, reagiert sie fassungslos darauf, dass Tina keine Anzeige erstattet hat. Ihre Frage "Was ist mit den anderen Frauen?" wirft Tina fehlende Solidarität und Leichtsinn vor. Der aufkommende Streit bringt die zuvor schon zerbrechliche Beziehung endgültig ins Wanken.

Genau dieses Erlebnis ist es jedoch, das Tina K. mit ihren Patient*innen verbindet. Sie selbst hat Leid erfahren und hilft anderen, auch wenn sie vielleicht selbst keine Hilfe annehmen kann. Durch die persönliche Verbundenheit kommt es allerdings auch immer wieder zu Grenzüberschreitungen, die letztendlich das Konzept der Psychotherapie und Tinas Professionalität ernsthaft in Frage stellen.

AVIVA-Tipp: Anderen zu helfen, sollte selbstverständlich sein und ist gleichzeitig eine hohe Kunst. Wer das trotz eigenem enormem Leidensdruck tut, meistert eine noch größere Herausforderung. Lisa Mundt inspiziert in ihrem Debütroman gekonnt die menschliche Psyche und offenbart das Helfen als Ausweg aus der eigenen Misere.

Lisa Mundt
Als meine Therapeutin schwieg

Milena Verlag, erschienen am 3. September 2019
Hardcover mit Schutzumschlag, 144 Seiten
ISBN 978-3-903184-41-1
23 Euro
Mehr Infos zum Buch unter: www.milena-verlag.at

Zur Autorin: Lisa Mundt wurde 1990 in Wien geboren. Nach einem Studium der Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst Wien und Studium der Gender Studies an der Universität Wien machte sie 2018 den Abschluss des psychotherapeutischen Propädeutikums beim Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG). 2014 war sie die Gewinnerin beim Dramatikerinnen-Wettbewerb des Kosmos Theater Wien mit dem Kurzstück "atemübung". Nach diversen Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien ist "Als meine Therapeutin schwieg" ihr Debütroman.
(Quelle: Verlagsinformation)

Mehr Infos unter: www.facebook.com

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Literatur

Beitrag vom 13.11.2019

AVIVA-Redaktion