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Beitrag vom 14.11.2019
Aufbruch der Frauen. Die wilden Zwanzigerjahre. Herausgegeben von Brigitte Ebersbach
Christina Mohr
Vor einhundert Jahren betrat sie die Weltbühne: Die Neue Frau! Sie trug kurze Haare und ebensolche Röcke, rauchte, spielte Tennis und fuhr im eigenen Automobil um die Welt. Oder tippte im Büro langweilige Briefe und sparte eisern jeden Pfennig fürs Wochenendvergnügen. Vor allem aber wollten sie...
... frei sein, diese neuen Frauen, und nicht mehr abhängig von den Männern und ihrem Geld.
Aus Amerika schwappten erste aufrührerische modische und musikalische Signale (Jazz! Bubiköpfe!) herüber, und als im Januar 1919 Frauen zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wählen gehen und gewählt werden konnten, begann eine neue Ära des Selbstbewusstseins und der Selbstbestimmung – die allerdings, wir wissen es, durch die Nationalsozialisten, das von ihnen ausgerufene sogenannte "Dritte Reich" und den Zweiten Weltkrieg brutal zurückgeworfen wurde.
In welcher Aufbruchsstimmung sich Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden, zeigt der von Brigitte Ebersbach herausgegebene Band "Aufbruch der Frauen". Autorinnen wie Marieluise Fleißer, Irmgard Keun, Mascha Kaléko, Erika Mann oder Ruth Landshoff-Yorck sind mit Essays oder Romanauszügen vertreten, zusammengefasst unter den Themenbereichen Liebe (trotz allem doch sehr wichtig), Mode, Beruf, Sport, und zu Beginn mit standortbestimmenden Texten dazu, was die "Neue Frau" denn überhaupt ausmacht: Vicki Baum beispielsweise sieht fundamentale Unterschiede in der Erziehung der Kinder – niemals hätte ihre eigene Mutter Sport getrieben, während Baum vom forschen Sohnemann zum flotteren Laufen angespornt wird. Paula von Reznicek wiederum sieht eine wesentliche Veränderung zu früher darin, dass Frauen nun in Nachtlokale gehen dürfen. Herrlich ihre Analyse des Ausgehens: "Die Amüsierkurve hat ihre Höhepunkte. Ihre beste Zeit liegt zwischen eins und drei. Die Gefahrenzonen tauchen gegen elf, halb eins und ab halb vier auf. Macht mit, solange ihr hübsch, frisch und fröhlich ausseht, aber verschwindet heimlich und leise, wenn ihr euch zwingen müsst, Spaß zu haben."
Der Wirkungskreis der neuen Frauen war natürlich nicht auf die Bar und den Tenniscourt begrenzt. Oft war er noch viel enger und hieß Arbeit: Im Büro, im Kaufhaus oder anderswo schufteten Mädchen und Frauen für ihren Lebensunterhalt, mit Sechstagewochen weit entfernt von Work-Life-Balance – und doch so wichtig für Renommee und Portemonnaie. Denn Frisuren, Schuhe, Maniküre und der fesche Hut in Dunkelgrün mit Feder kosteten Geld und waren unerlässlich für das Selbstverständnis der neuen Frauen: Undenkbar, ohne große Toilette auch nur auf die Straße zu gehen, siehe der Themenkomplex "Die modische Frau" mit Beiträgen von Helen Hessel, Vicki Baum und von Reznicek.Ebenso neu wie selbst verdientes Geld: sexuelles Selbstbewusstsein. So lässt Irmgard Keun ihre Protagonistin Doris zur keuschen Freundin Tilli sagen: "Frauen sind auch manchmal sinnlich und wollen auch manchmal nur das. Und das kommt dann auf eins raus."
Die angehängten Biografien belegen, wie stark autobiografisch die Romane und Magazintexte der Autorinnen geprägt waren: Baum beispielsweise schrieb für Zeitschriften wie "Die Dame" oder "Elegante Welt", Helen Hessels Dreiecksbeziehung zu zwei Männern war Vorbild für Truffauts Film "Jules et Jim", Fritzi Massari war Revuesängerin.
Viele der Autorinnen waren Jüdinnen, emigrierten in die USA, oder wurden wie Carola Neher wegen ihrer politischen Gesinnung in Arbeitslager gesteckt. Die neuen Frauen verschwanden – und wirken doch bis heute nach. Oder anders: Die heutige Frau sollte auf der Suche nach Inspiration und Wagemut ruhig mal hundert Jahre nach hinten blicken.
AVIVA-Tipp: Auch wenn die Autorinnen und ihre Arbeiten weitgehend bekannt sein dürften (oder zumindest sollten), ist die Lektüre der von Brigitte Ebersbach ausgewählten Texte äußerst bereichernd und unterhaltsam. Und frau sollte – Brigitte Eberbachs im Vorwort geäußertem Wunsch entsprechend – unbedingt die genannten Romane in voller Länge lesen.
Zur Herausgeberin: Brigitte Ebersbach, Germanistin und Gründerin der edition ebersbach und Seniorverlegerin von ebersbach & simon, beschäftigt sich seit 25 Jahren schwerpunktmäßig mit der Literatur von und über außergewöhnliche Frauen.
Aufbruch der Frauen. Die wilden Zwanzigerjahre
Herausgegeben von Brigitte Ebersbach
ebersbach & simon, Reihe: blue notes Nr. 82, erschienen 18. September 2019
142 Seiten, Fadengeheftet, Einband: Halbleinen
ISBN: 978-3-86915-184-7
18,00 €
Mehr Informationen zum Buch und Bestellung unter: www.ebersbach-simon.de
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1914 erschien in einem kleinen Berliner Verlag, dem P. Baumann Verlag in Charlottenburg, das sehr erfolgreiche, mehrere Auflagen durchlaufende fiktive Tagebuch eines "Tauentzien-Girls", erdacht und niedergeschrieben von Emma Mahner-Mons, die ihre Werke auch unter dem Pseudonym "Emma Nuss" veröffentlichte. (2018)
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