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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 18.01.2020


Petina Gappah - Aus der Dunkelheit strahlendes Licht
Helga Egetenmeier

Die 1971 in Sambia geborene Schriftstellerin (Die Farben des Schmetterlings) lässt zwei afrikanische Begleiter*innen des schottischen Forschers David Livingstone ihre Sicht der letzten gemeinsamen Reise im Ostafrika des 19. Jahrhunderts erzählen. An diesem historisch detailreichen Roman...




... arbeitete Petina Gappah über zwanzig Jahre und entwickelte dabei die literarische Stimme der Köchin Halima und des Forschungsassistenten Jacob Wainwright. So entstand ein eindringlicher Blick auf die bis heute andauernden Auswirkungen des Kolonialismus.

Schon in ihrem, mit dem Guardian First Book Award ausgezeichneten, Romandebüt "Die Farben des Schmetterlings" verband Petina Gappah historische Themen mit aktuellen gesellschaftlichen Diskursen In "Aus der Dunkelheit strahlendes Licht" beschreibt sie die letzte Reise von David Livingstone, der im Mai 1873 auf dem Gebiet des Chief Chitambo starb. Die Gegend südlich des Bangweulusees wurde 1890 durch Verträge der lokalen Herrscher mit dem Briten Cecil Rhodes an die britische Kolonie Rhodesien gebunden und ist heute Teil von Sambia. Dort wurde Livingstone nach seinem Tod von seinen afrikanischen Begleiter*innen mumifiziert. Gappah beschreibt ausführlich die Diskussionen um die Ausführung und Bedeutung der Mumifizierung. Seine Begleiter*innen einigten sich darauf, sein Herz vor Ort zu bestatten und seinen Körper zu seiner Familie nach England zu bringen. Neunundsechzig Menschen transportierten seinen Leichnam über 1.500 Meilen bis an die Ostküste des heutigen Tansania. Ein Schiff brachte ihn von dort nach England, wo er im April 1874 unter hohen Ehren beigesetzt wurde.

Die Autorin stellt jedoch nicht den 1813 in Glasgow geborenen und als "Afrikaforscher" bekannt gewordenen David Livingstone in den Mittelpunkt. Vielmehr lässt sie zwei seiner ostafrikanischen Begleiter*innen, die - historisch verbürgt - Teil seiner Reisegruppe waren, ihre Lebensgeschichte erzählen. Mit Zitaten aus historischen Quellen, wie "The Last Journals of David Livingstone" von 1874 leitet sie die einzelnen Kapitel ein. Damit bietet sie den Leser*innen die Möglichkeit, ihre literarische Analyse mit den vor hundertfünfzig Jahren aufgezeichneten Beschreibungen zu verknüpfen.

Zwei Außenseiter*innen erzählen - Halima und Jacob Wainwright

Berichten lässt die Autorin Halima, die Köchin, und Jacob Wainwright, der sich als Forschungsbegleiter von Livingstone und christlicher Missionar versteht. Die selbstbewusste Halima sagt gern offen ihre Meinung und weiß sich durchzusetzen, obwohl sie als Frau offiziell kein Mitspracherecht in der hierarchisch männlich aufgestellten Gruppe hat. Wainwright, von Missionaren in Bombay ausgebildet, spricht englisch, kann schreiben und lesen und kleidet sich europäisch. So sind beide auch Außenseiter*innen unter den afrikanischen Beschäftigten von Livingstone.

Doch auch diese beiden stellt Gappah in eine Gegner*innenschaft zueinander. Denn als freiheitsliebende Frau kann Halima nichts mit der patriarchalen Religion anfangen, die Wainwright predigt. Dieser stört sich an der nach seinen christlichen Maßstäben schlechten Moral der Gruppe, die seiner Meinung nach durch die Anwesenheit von Frauen entsteht: "Ginge es nach mir, wären sie [Halima] und die anderen Frauen längst nicht mehr bei uns, nichts hält eine Expedition so sehr auf wie eine Frau." argumentiert Wainwright deshalb mit Livingstone. Dessen Motive, auf die Begleitung von Frauen zu bestehen, sind ebenfalls sexistischer Natur. Sie sollen die Aggressivität seiner männlichen Begleiter auffangen, wie Autorin Petina Gappah ihre Protagonistin Halima erzählen lässt, die immer wieder von ihrem Partner Hamoydah verprügelt wird.

Den unterschiedlichen Bildungshintergrund von Halima - als Kind einer Sklavin geboren und versklavt, bis Livingstone sie freikaufte - und Wainwright - ebenfalls als Sklave geboren, als Jugendlicher befreit und britisch-christlich erzogen - zeigt Gappah über ihren Erzählstil. Die Köchin spricht, plaudert manchmal, über ihren Alltag, die Auseinandersetzungen mit ihren Freundinnen, ihrem Mann und über Gespräche mit Livingstone. Dazu bedient sie sich einer einfachen Wortwahl im Sinn der Oral History. Wainwright hingegen, als einziger des Schreibens mächtiger Zeuge von Livingstones Tod, der diese Reisezeit notierte, lässt Gappah seine Geschichte über reflektiert formulierte Tagebucheinträge erzählen.

Zwischen den Kulturen

Im letzten und dritten Teil des Romans kommen verschiedene Stimmen zu Wort, die von ihrer Zeit nach der Beerdigung Livingstones in England erzählen. Darunter ist auch ein Kapitel, in dem Jacob Wainwright bemängelt, dass sich im nachträglich erstellten Reisejournal Livingstones nur die Sichtweisen der afrikanischen Gruppenleiter*innen Susi und Chuma wiederfinden - die auch in Gappahs Buch eine wichtige Position einnehmen: "In diesem Bericht widersprachen sie allem, was ich gesagt hatte, dass auf dieser letzten Expedition passiert war." Gappah sieht darin die Ablehnung desjenigen, der weder mit seinen Anschauungen, noch in seinem Erscheinungsbild zur afrikanischen oder englischen Kultur passte, und deshalb bei der Veröffentlichung der Tagebücher Livingstones aus rassistischen Gründen übergangen wurde.

Heute wird Jacob Wainwright, der unter dem Namen "Yamuza" südlich des Malawiesees geboren wurde, als schreibendem, ostafrikanischem Zeitzeugen eine große historische Bedeutung zugestanden. Sein Reisetagebuch war seit 1874 bekannt, doch nur als deutsche Übersetzung durch den Geographen August Petermann. Er hatte eine von Wainwright autorisierte Abschrift erhalten, die dieser vor seiner Abfahrt nach England in Sansibar anfertigen ließ - die Blätter in seiner Originalhandschrift jedoch verschwanden. Sie wurden zu Beginn des Jahres 2019 zufällig entdeckt, zu einer Zeit, wie Gappah schreibt, zu der sie ihr Buch "leider schon fertiggestellt" hatte. Das Original-Tagebuch wird ab 2020 im renovierten David Livingstone Birthplace Museum in Blantyre, Schottland, zu besichtigen sein.

Zum Titel: "Aus der Dunkelheit strahlendes Licht"

Gappah hat mit ihrem Romantitel "Aus der Dunkelheit strahlendes Licht" ein Bild gewählt, das vorab nichts vom Inhalt des Buches preisgibt. Die Dynamik in dieser Beschreibung scheint zunächst auf eine positive Entwicklung hinzuweisen. Doch bereits im Prolog verweist sie auf die Ambivalenz des von ihr gewählten Titels, die den Blickwinkel der Betrachtenden widerspiegelt. So lässt sie die neunundsechzig afrikanischen Weggefährt*innen Livingstones als einstimmige Wir-Erzähler*innen sich als "seine dunkelhäutigen Gefährten, die Schattengestalten in den Karawanen, mit denen er zog", bezeichnen. Aus der Zukunft sprechend sagen sie, dass aus ihrem Akt der Loyalität gegenüber dem Toten der "Samen aus dem Verrat an unseren Kindern" wurde. Denn anhand der mit dem Leichnam beförderten Unterlagen "erleuchtete" sich den nachfolgenden Kolonialist*innen der Weg zur Ausbeutung des für sie bis dahin unbekannten, "dunklen Kontinents" Afrika.

Noch deutlicher interpretiert Gappah ihren Titel (im Original: Out of Darkness, Shining Light), indem sie diese Gruppe die rassistische Arroganz von Forscher*innen und Kolonist*innen aufgreifen lässt: "Die weisen Männer seiner Epoche sagen, dass er wie eine Flamme in die Dunkelheit des Landes, in dem wir geboren wurden, schoss und eine Spur des Lichts hinterließ, auf der die weißen Männer, die ihm nachfolgten, in vollkommener Sicherheit voranschreiten konnten." Dass diese Verkettungen zwischen Dunkelheit und Licht, die Entwicklung von Kolonialismus und Rassismus und deren Wechselwirkungen weiterhin erforscht wird, ist der Autorin ein wichtiges Anliegen,. Dafür hat ihre literarische Ausarbeitung historischer Tatsachen eine überzeugende Basis geschaffen.

AVIVA-Tipp: Petina Gappah gelingt es gefühlvoll und überzeugend, die vielschichtigen Erfahrungen ostafrikanischer Zeitzeug*innen zur Zeit des Kolonialismus im 19. Jahrhundert literarisch stimmig einzufangen. Indem sie zwei gegensätzliche Persönlichkeiten zu Wort kommen lässt, verweist sie sowohl auf die facettenreichen Unterdrückungsmechanismen der kolonialen, als auch der lokalen Machthabenden. Damit verurteilt sie nicht nur den historisch gewachsenen, aktuellen Rassismus, sondern jegliche Formen ausgrenzender Identitätsvorstellungen.

Zur Autorin: Petina Gappah wurde 1971 in Sambia, dem ehemaligen Rhodesien geboren, wuchs in Harare, Simbabwe auf und studierte dort Jura, bevor sie nach Cambridge ging und später in Graz promovierte. Sie arbeitete 15 Jahre lang bei der Welthandelsorganisation in Genf, bevor sie sich ausschließlich der Tätigkeit als Schriftstellerin zuwandte. 2009 wurde sie für ihren Erzählband "An Elegy for Easterly" mit dem Guardian First Book Award ausgezeichnet. 2015 folgte ihr Romandebüt "Die Farben des Nachtfalters", 2016 die Erzählungen "Die Schuldigen von Rotten Row". Ihr Roman "Aus der Dunkelheit strahlendes Licht" entstand während ihrer Zeit im Künstler*innenprogramm des DAAD, für das sie im Frühjahr 2017 nach Berlin reiste. Nachdem im November 2017 der in Simbabwe regierende Diktator Robert Mugabe durch einen Militärputsch abgesetzt worden war, trat sie bei der neuen Regierung als externe Beraterin an. Als Fachanwältin für Handelsrecht brachte sie ein Investitionsgesetz auf den Weg, verlängerte jedoch nach 18 Monaten ihren Job nicht, da von den Herrschenden keine Reformen gewünscht wurden, wie sie in einem Interview mit Susanne Lenz sagte, das am 12.09.2019 in der Berliner Zeitung erschien, siehe dazu auch www.thezimbabwemail.com, veröffentlicht am 23.08.2019.

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Zur Übersetzerin: Anette Grube, 1954 geboren, studierte in München Kommunikationswissenschaften, Politik und Amerikanistik, und lebt in Berlin. Sie ist unter anderem die Übersetzerin von Arundhati Roy, Chimamanda Ngozi Adichie, Kate Atkinson, Monica Ali und Madeleine Thien.

Petina Gappah
Aus der Dunkelheit strahlendes Licht

Originaltitel: Out of Darkness, Shining Light
Ãœbersetzerin: Anette Grube
S. Fischer Verlag, erschienen August 2019
Hardcover, 432 Seiten
ISBN-13: 9783103974492
24,00 Euro
Mehr zum Buch: www.fischerverlage.de

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Weitere Infos unter:

The Project Gutenberg eBook
The Last Journals of David Livingstone, in Central Africa, from 1865 to His Death, Volume I (of 2), 1866-1868, by David Livingstone, Edited by Horace Waller

www.livingstoneonline.wordpress.com
Livingstone Online, a digital resource dedicated to the Scottish explorer David Livingstone (1813-1873), has published a rare and unique manuscript by Jacob Wainwright (1849/1850[?]-1892), one of the African attendants who accompanied Livingstone on the latter´s final journey in Africa (1866-1873). The manuscript, released in spring 2019 as a set of images plus detailed transcriptions, consists of two diary excerpts that total 11 handwritten pages of text and was written in 1873 and 1874.


Literatur

Beitrag vom 18.01.2020

Helga Egetenmeier