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Beitrag vom 27.12.2020
Tove Jansson – Briefe von Klara. Erzählungen
Doris Hermanns
Die Künstlerin und Schriftstellerin Tove Jansson, die durch ihre Mumins weltberühmt geworden ist, ist auch eine Meisterin der Kurzgeschichten, wie sie in diesem neuen Band wieder einmal mehr unter Beweis stellt.
"Ich bin nicht alle Kinder, ich bin ich, die ein Haus gebaut hat. Mit Lampe. Also zog ich aus."
Es sind – unabhängig vom Alter – eigensinnige Personen, über die Tove Jansson in ihrem vierten Erzählungsband schreibt, der auch diesmal wieder von Brigitte Kicherer ins Deutsche übersetzt wurde.
In dieser Erzählung "Im Sommer" geht es um ein Kind, das die Welt für sich entdeckt. In sehr kurzen Episoden erzählt die Ich-Erzählerin, was sie erlebt, wie sie sich unsichtbar macht, Straßen und ein geheimes Zimmer baut, schwimmt und rudert – malt und eigene Worte erfindet. Alles, was sie erlebt, und sei es noch so alltäglich, bereichert sie, bringt sie dazu, sich zu überlegen, wie sie wohl mit einer Tochter umgehen würde.
Die meisten Personen in diesem Band sind allerdings schon älter. So auch die Briefschreiberin Klara aus der titelgebenden Erzählung. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, sondern schreibt Klartext, so beispielsweise an eine Freundin, deren Geburtstag sie vergessen hatte: "Aber gestatte mir, dir endlich eins zu sagen – das reine Vergehen der Jahre ist nichts, woraus man sich etwas zugutehalten kann" und hält sich auch nicht mit Ratschlägen zurück: "Was auch immer du willst oder nicht willst, wäre es doch am einfachsten, deinen Willen sehr lautstark mit kraftvollen Worten kundzutun."
Immer geht es um Menschen, die ihren eigenen Weg gehen oder suchen – und dies auf eine ihnen sehr eigene Weise, wobei sie manchmal andere zurücklassen, wie den Vater des Malers, der für ein Stipendium in ein anderes Land zieht, aber von dort aus in der Lage ist, dessen Dämonen zu bestreiten, sowie die Glaskugel-Sammlerin Emmelia, die einen Mitbewohner nicht darüber informiert, dass sie wegzieht. Aber weggehen kann auch bedeuten, einen anderen Weg einzuschlagen, wie in der Erzählung "Meine Freundin Karin", in der eine Kusine zunehmend in ihrer Religion aufgeht, dass kein Platz mehr für die vorherige Freundschaft bleibt. Und einmal bedeutet weggehen auch, den Frühling durch eine Reise zweimal erleben zu dürfen.
Eine als seltsam beschriebene Frau ist für ihre Vorwarnungen bekannt und hält alles, was sie erlebt für ihre Schuld. Erst kurz bevor sie stirbt, kann sie ihre Schuldgefühle loslassen: "Weißt du was, das hier ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich mir keine Sorgen mache. Ein wunderbares Gefühl." War es ein Unfall oder Absicht?
So unterschiedlich die Themen in diesem schmalen Band auch sein mögen, es sind die Details, die ihn so besonders machen, ob es nun um die Traurigkeit eines Hundes oder einen Hut geht.
Dieses im Original 1991 erschienene Buch ist der letzte Erzählungsband, den Tove Jansson veröffentlicht hat, aber zum Glück gibt es noch weitere Bücher von ihr, die noch nicht übersetzt sind.
AVIVA-Tipp: Dreizehn wunderbare Geschichten, in denen es um Vieles geht, was Tove Jansson wichtig war und aus anderen Erzählungsbänden vertraut ist: ihre enge Verbindung zur Natur, ihre Liebe zur Kunst, die Reisen, die Seen, die Insel, auf der zwei Frauen ihre Sommer verbringen – und doch sind es wieder völlig andere Geschichten.
Zur Autorin: Tove Jansson (1914-2001) wuchs in Helsinki als ältestes Kind des Bildhauers Viktor Jansson und der schwedischen Illustratorin Signe Hammarsten Jansson auf. Mit 16 Jahren begann sie in Stockholm ihre künstlerische Ausbildung, studierte in Paris und Helsinki und arbeitete als Illustratorin und Karikaturistin. International wurde sie durch ihre Mumin-Bücher und -Comics bekannt, sie erhielt dafür u.a. die Nils-Holgersson- und die Elsa-Beskow-Plakette sowie den H.C.-Andersen-Preis. In den letzten beiden Jahrzehnten ihres Lebens schrieb Tove Jansson Romane und Erzählungen für Erwachsene.
In den 1950er-Jahren traf sie die Graphikerin Tuulikki Pietilä, mit der sie bis zu ihrem Lebensende zusammenblieb.
Die ergänzende Biographie von Tove Jansson auf Fembio www.fembio.org
Tove Jansson
Briefe von Klara. Erzählungen
Originaltitel: Brev från Klara och andra berättelser
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer
ISBN 978-3-8251-5250-5
Urachhaus, erschienen 2020
137 Seiten, Hardcover mit Umschlag
Euro 18,00
Mehr zum Buch unter: www.urachhaus.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Tove Jansson – Das Puppenhaus
Auch wenn Tove Jansson vor allem mit ihren Mumins bekannt geworden ist, so sind ihre Erzählungen immer wieder eine Entdeckung wert. In diesem Band, der uns an verschiedene Orte führt, gibt es unter anderem auch eine Erzählung, in dem es um einen Comic-Zeichner geht, dessen Erfahrungen an ihre eigenen erinnert. (2019)
Tove Jansson – Stadt der Sonne
In der Sun City St. Petersburg in Florida, angepriesen als Paradies auf Erden, verbringen die BewohnerInnen eines Gästehauses ihren Lebensabend. Auf gekonnt liebevolle Art beschreibt die 2001 gestorbene finnische Malerin, Karikaturistin, Grafikerin, Comic-Zeichnerin, Illustratorin und Schriftstellerin, Dramaturgin und Bühnenbildnerin Tove Jansson ihre skurrilen Persönlichkeiten. (2018)
Tove Jansson – Die Zuhörerin
In diesem Band sind die frühen Erzählungen von Tove Jansson versammelt. Diesmal haben sie kein zentrales Thema, sondern jede von ihnen führt uns in eine andere Welt. Es sind wunderbare Kleinode der 2001 gestorbenen finnischen Malerin, Karikaturistin, Grafikerin, Comic-Zeichnerin, Illustratorin und Schriftstellerin, Dramaturgin und Bühnenbildnerin. (2018)
Tove Jansson – Reisen mit leichtem Gepäck
Geschichten vom Reisen sind es, die jetzt neu von Tove Jansson vorliegen: vom Abfahren und Verlassen des Alltags, vom Ankommen, von neuen Umgebungen, davon sich selber anders erleben. (2016)
Tove Jansson - Mumin und das Meer, das Buch, und die DVD, Mumins an der Riviera nach den Comics von Tove Jansson
Passend zu den steigenden Temperaturen fahren die Mumins diesmal sowohl im Buch als auch im Film übers Meer und erkunden neue Welten – um letztendlich doch wieder nach zu Hause zurückzukehren, wo es bekanntlich doch am schönsten ist. (2016)
Tove Jansson – Die ehrliche Betrügerin
Es waren die Mumins, die Tove Jansson weltberühmt machten, aber sie schrieb auch zahlreiche Werke für Erwachsene. Mit "Die ehrliche Betrügerin" wurde einer ihrer besten Romane im Verlag Urachhaus wieder neu aufgelegt. (2016)
Tuula Karjalainen - Tove Jansson. Die Biografie
Die Mumins machten sie weltbekannt, aber die nun zum 100. Geburtstag ihrer Erfinderin Tove Jansson erschienene erste Biografie auf Deutsch zeigt auf, wie vielfältig und umfangreich ihr Werk ist. (2014)
Tove Jansson - Fair Play
Das wunderbare Leben und Lieben zweier Künstlerinnen beschreibt Künstlerin Tove Jansson auf hinreißend witzige, gleichzeitig sehr berührende Weise. (2014)
Tove Jansson - ein Portrait der Erfinderin der Mumins und Gründerin von Oy Moomin Characters Ltd
Am 9. August 2014 wäre die finnische Comic-Ikone Tove Jansson 100 Jahre alt geworden. In einem Interview mit AVIVA erklärt die Presseagentin und Ausstellungsmacherin Jutta Harms, warum die Künstlerin in Deutschland noch immer kaum bekannt ist, und was ihre "Mumins" weltweit so unglaublich beliebt macht. (2014)
Weiterlesen:
Website zu Tove Jansson: www.tovejansson.com
Das Unternehmen Oy Moomin Characters Ltd, das Tove Jansson mit ihrem Bruder Lasse Ende der 1950er Jahre gründete, ist im Netz zu finden unter: www.moomin.com
www.reprodukt.com
Westin, Boel: Tove Jansson: Life, Art, Words. The Authorized Biography. Translation: Silvester Mazzarella. Sort of Books 2014