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Beitrag vom 16.03.2021
Caroline Bernard – Die Frau von Montparnasse. Simone de Beauvoir und die Suche nach Liebe und Wahrheit
Silvy Pommerenke
Wie war das wohl Anfang des 19. Jahrhunderts, als Simone de Beauvoir gegen alle Regeln und Konventionen verstieß und zu einer der größten Intellektuellen wurde? Die Germanistin Caroline Bernard alias Tania Schlie weiß Antworten darauf und hat einen spannenden biografischen Roman über die französische Feministin geschrieben.
Caroline Bernard, die selbst in Paris gelebt hat, und für die Recherche zu diesem Roman erneut nach Paris ging, wurde dabei durch das Coronavirus ausgebremst. Sie musste vorzeitig ihre Zelte in der französischen Hauptstadt abbrechen, und befürchtete, dass sie aus diesem Grund ihr Projekt nicht zu Ende führen konnte. Aber in Zeiten von Homeoffice und Internet ist es natürlich trotzdem möglich, Recherchen durchzuführen. Die gebürtige Hamburgerin ist mit den Schriften von Simone de Beauvoir bestens vertraut, so dass "Die Frau von Montparnasse" ein lebendiges Porträt der Zeit der 1930er und 1940er und die Aufbruchstimmung in der französischen Bohème widerspiegelt. Ab der ersten Seite ist das Buch mitreißend geschrieben, und Bernard hält sich - bis auf wenige Ausnahmen, wo sie Gegebenheiten oder Begegnungen zeitlich nicht ganz genau einordnen konnte, – an die biographischen Fakten.
Caroline Bernard schreibt in einem kurzweiligen Stil und schildert die Zeit von 1924 bis 1951, die geprägt war von einem unermüdlichen Lern- und Lesedrang,- Simone de Beauvoir gab sich bis zu neun Stunden täglich der Lektüre hin -, was ihr schließlich den langersehnten Abschluss mit Bestnoten an der Sorbonne einbrachte. Bernard gibt detailliert den intellektuellen Entwicklungsprozess wieder, den Simone de Beauvoir durchlebt hat. Sehr früh an ihrer Seite erschienen Jean-Paul Sartre, mit dem sie eine für die damalige Zeit außergewöhnliche Liebesbeziehung einging. Er blieb bis zu ihrem Lebensende "der unvergleichliche Freund meiner Gedanken". Die immerwährende Lust, sich die Welt gedanklich anzueignen, sich der intensiven Lektüre hinzugeben und mit großer Leidenschaft intellektuelle Auseinandersetzungen zu führen, überträgt sich direkt auf die Leserin.
Zugleich ist die Geschichte Simone de Beauvoirs auch eine Geschichte des Feminismus. Lange bevor die französische Intellektuelle ihr feministisches Manifest "Das andere Geschlecht" veröffentlichte, stellte sie die patriarchale Gesellschaft in Frage. Sie lehnte sich gegen die von ihr erwartete Rolle auf, einen Mann zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ohne weibliche oder feministische Vorbilder zu haben, entwickelte Simone de Beauvoir ihren ganz eigenen Lebensstil: "Ich werde niemals eine brave Hausfrau sein, die ihr Leben einem Mann und Kindern widmet. Ich will schreiben und frei von all diesen Konventionen sein". Im selben Jahr, 1929, schreibt sie einen Rohrpost-Brief an ihre Schwester mit den Worten: "Ich werde ein Genie sein. Und wenn es keine weiblichen Vorbilder gibt, dann werde ich eben eines sein."
Simone de Beauvoir geht beharrlich ihren Weg, und der Pakt, den sie mit Jean-Paul Sartre schloss, nämlich für die nächsten zehn Jahre und schließlich bis zum Lebensende ein Paar ohne Trauschein zu sein, war für beide sowohl Motor als auch Verpflichtung. Der eine ist ohne die andere nicht zu denken.
Bereits als junges Mädchen war Simone de Beauvoir eine leidenschaftliche Leserin und wollte Schriftstellerin werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte sie ihre Tage streng durchgetaktet und lebte nach einem stringenten Fahrplan. Ihr Arbeitspensum war enorm, ließ ihr aber dennoch Zeit für einen aufregenden Lebensstil, der in erster Linie aus der Beziehung zu Jean-Paul Sartre und ihren zahlreichen Freund*innen sowie Liebesaffären zu Männern und Frauen bestand. Fast schon nebenbei verrichtete sie ihre Arbeit als Lehrerin. Wenn sie sich doch einmal einen Freiraum verschaffte, so unternahm sie lange Wanderungen, auf denen sie täglich 30 bis 35 km bis zur völligen Erschöpfung zurücklegte. Später wurde die Wanderlust durch langgestreckte Fahrradtouren abgelöst. Dort, in der Natur, tankte sie auf und ließ das unruhige gesellschaftliche Leben in Paris hinter sich.
Der Zweite Weltkrieg veränderte das Leben von Simone de Beauvoir massiv: Der Alltag bestand aus der deutschen Besatzung, Fliegeralarm, Verdunkelungsgebot, Hungersnot und Trennung von Sartre, der in eingezogen wurde, und dem Verlust von anderen geliebten Menschen – vor allem von ihren jüdischen Freund*innen, deren Deportation sie tief erschütterte. Dennoch widmete sie sich ganz ihrem Schreiben, und ihr erster Roman "Sie kam und blieb" (frz. "L´Invitée") wurde 1943 bei Gallimard veröffentlicht. Nachdem sie ihren Schuldienst quittierte, begann sie, Features für Radio Vichy zu schreiben, obwohl der Sender als Deutsch galt und von der Résistance als "Partisanen der Kollaboration" abgelehnt wurde. Sie glaubte, keine andere Wahl zu haben, und versuchte, in ihren Sendungen eine neutrale Position einzunehmen. Parallel dazu war sie damit beschäftigt, die Zeitschrift "Les Temps Modernes" zu gründen. In dieser Zeit begann sie sich auch über die soziale Rolle der Frau Gedanken zu machen – die ersten Schritte in Richtung "Das andere Geschlecht".
Caroline Bernard lässt "Die Frau von Montparnasse" leider im Jahr 1951 enden. Denn das Leben von Simone de Beauvoir sollte sich nach dem Erscheinen der feministischen Kampfschrift "Das andere Geschlecht", durch das sie weltbekannt wurde, noch einmal radikal ändern. Sie politisierte sich zusehends und war in der Friedensbewegung aktiv. Unter anderem forderte sie den Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn oder demonstrierte gegen den Algerienkrieg.
AVIVA-Tipp: Caroline Bernard hat sich keine leichte Aufgabe gestellt, indem sie die Biografie von Simone de Beauvoir in Romanform aufgeschrieben hat. Die philosophische Überfigur von Simone de Beauvoir in narrativer Form wiederzugeben ist wahrlich eine Herausforderung, aber Caroline Bernhardt gelingt dies mit Bravour, und dürfte damit auch einem jüngeren Publikum die französische Philosophin nahebringen. Den mit Simone de Beauvoir vertrauten Leser*innen hingegen ist es eine willkommene Auffrischung und zugleich Aufforderung, wieder einmal zu ihren Romanen und vor allem zu "Das andere Geschlecht" zu greifen!
Zur Autorin: Caroline Bernard ist das Pseudonym von Tania Schlie. Die Germanistin und Politikwissenschaftlerin wurde 1961 in Hamburg geboren und arbeitet seit zwanzig Jahren als freie Autorin. Neben "Die Muse von Wien" und "Rendezvous im Café de Flore" erschien von ihr zuletzt im Aufbau Verlag "Frida Kahlo und die Farben des Lebens". Tania Schlie ist Mitglied bei DELIA, der Vereinigung deutschsprachiger Liebesromanautoren und -autorinnen, und bei Soroptimist International, einem internationalen Netzwerk berufstätiger Frauen, das sich für die Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Mädchen einsetzt.
Caroline Bernard alias Tania Schlie im Netz: www.tania-schlie.de
Zu Simone de Beauvoir: wurde am 9. Januar 1908 in Paris als "Tochter aus gutem Hause" geboren. Ihre Mutter war die Bibliothekarin Françoise de Beauvoir, geb. Brasseur, ihr Vater war Anwalt und begeisterte sich für Literatur und Theater. Ihre Erziehung war wie die ihrer jüngeren Schwester Hélène katholisch geprägt. Sie las und schrieb viel. "Mit fünfzehn Jahren wünschte ich mir, dass die Leute eines Tages meine Biographie mit gerührter Neugier lesen würden. Diese Hoffnung war es, die in mir den Wunsch weckte, eine bekannte Autorin zu werden."
Beauvoir studierte Philosophie und Literatur an der Sorbonne und der Ecole Normale Supérieure (Elitehochschule für die Lehramtsfächer). Sie unterrichtete zehn Jahre lang Philosophie an Lyzeen in Marseille, Rouen und Paris. Zuhause war sie zeitlebens in Montparnasse und seit 1953 auch in Rom.
Der Durchbruch zur "bekannten Autorin" kam mit "Sie kam und blieb" (1943) und "Das Blut der Anderen" (1945). 1951 erschien ihre wegweisende feministische Streitschrift "Das andere Geschlecht", das die Unterdrückung der Frauen anprangerte ("Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.").
Sie schrieb insgesamt sechs Romane, darunter das preisgekrönte Werk "Die Mandarins von Paris" (1955), Erzählungen, ein Drama, Essays zu Philosophie, Literatur, Politik und Gesellschaft sowie ihre Autobiographie in vier Bänden.
Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986, ihr Grab befindet sich auf dem Cimetière Montparnasse in Paris.
Caroline Bernard
Die Frau von Montparnasse
Simone de Beauvoir und die Suche nach Liebe und Wahrheit
Aufbau Taschenbuch Verlag, Erscheinungstermin 02/2021
Klappenbroschur, 448 Seiten
ISBN 978-3-7466-3814-0
Euro 12,99
Mehr zum Buch unter: www.aufbau-verlag.de
Mehr zu Simone de Beauvoir: Lesenswert ist auch die ebenso kurzweilig geschriebene Lektüre von Julia Korbik mit "Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten", das 2017 erschienen ist. Sie hat sich der französischen Feministin nicht chronologisch, sondern thematisch angenähert, beleuchtet dabei fünf wichtige Punkte wie beispielsweise das Denken, Schreiben und Kämpfen von Beauvoir, und fasst deren Publikationen in einem prägnanten Satz zusammen.
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Simone de Beauvoir - Die Welt der schönen Bilder
Zum 30. Todestag der Schriftstellerin. Wieder ist es der Verlag ebersbach & simon, der sich der Neuauflage de Beauvoirs Werk widmet. In diesem Roman führt die Autorin aus, wie die Emanzipation nach dem Krieg erste Früchte in der gehobenen Pariser Gesellschaft trägt und thematisiert wie beiläufig auch deren Umgang mit der Shoa. (2016)
Ingrid Galster - Simone de Beauvoir und der Feminismus
25 Jahre forschte die Romanistin zum Leben und Werk von Simone de Beauvoir. Ihre dabei entstandenen Aufsätze und Reden machen klar: Die Werke der französischen Feministin sind auch heute aktuell. (2015)
Barbara Holland-Cunz - Gefährdete Freiheit. Über Hannah Arendt und Simone de Beauvoir
Die beiden Philosophinnen in einem Atemzug zu nennen, irritiert zunächst, weiß mensch doch von ihrem eher distanzierten Verhältnis zueinander. Dennoch begibt sich die Autorin auf die Suche nach verbindenden Elementen dieser (Nicht-)Beziehung und findet mehr als nur zwei Abbildungen der beiden Denkerinnen, die über Äußerlichkeiten eine Ähnlichkeit konstruieren wollen, nämlich deren Weltbezug. (2012)
Simone de Beauvoir - 25. Todestag am 14. April 2011
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