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Beitrag vom 14.02.2023
Ein jüdischer Garten. Herausgegeben von Itamar Gov, Hila Peleg, Eran Schaerf
Eva Lezzi
Von der Akazie bis zur Zypresse, von der Johannisbeere über den Knoblauch bis zur Tomate, von der Bougainvillea bis zum Schneeglöckchen wird hier ein Garten angelegt, ein Garten mit Bäumen, Sträuchern, Nutz- und Zierpflanzen, seltenen und vertrauten, vor allem aber…
…ein Garten aus Literaturen verschiedener Sprachen, Jahrhunderte und Kontexte.
Laut Klappentext soll mit diesem, im November 2022 bei Hanser erschienen Buch ein "migrierender Garten aus Wörtern jenseits sprachlicher und nationaler Grenzen" , und "ein Bestimmungsbuch für eine unbestimmbare jüdische Identität" vorliegen. Dies ist auf eine poetisch dichte, politisch anregende und inhaltlich informative Weise gelungen.
Jedem der gewählten kurzen Textauszüge sind einige Zeilen zur Autorin, zum Autor beigefügt. So finden sich in dem Garten beispielsweise Cedrats (Hebräisch: Etrogim), die in einem Brief von Asenath Barzani angesichts des nahen Laubhüttenfestes eine wichtige Rolle spielen. Aus den ergänzenden Notationen erfahren wir, dass Barzani im 16. Jahrhundert Rabbinerin und Vorsteherin einer kurdisch-jüdischen Gemeinde in al-Amadiyya war und als solche vermutlich die "älteste verzeichnete rabbinische Gelehrte". Wir begegnen in dem Garten jedoch auch heute kanonischen Autor:innen und ihren textuellen Gewächsen, so der Buche, unter der "Jakob der Lügner" von Jurek Becker erste Liebeserfahrungen gemacht hat und dem nicht näher bestimmbaren Baum, unter dem seine Frau Chana von den Nazis erschossen wurde. Von Nelly Sachs, die 1966 den Nobelpreis für Lyrik erhielt, wurde für den jüdischen Garten ein wenig rezipiertes Gedicht ausgewählt. In seiner ersten, Titelgebenden Strophe stellt es die Bäume auf den Kopf: "IN DER BLAUEN FERNE, / wo die rote Apfelbaumallee wandert / mit himmelbesteigenden Wurzelfüßen, / wird die Sehnsucht destilliert / für Alle die im Tale leben."
Der von den Künstler:innen Itamar Gov, Hila Peleg und Eran Schaerf angelegte Garten ist auch ein Irrgarten, dies deutet bereits die minimalistische Illustrationsweise an: Dünne farbige Linien, die sich überkreuzen und an scheinbar beliebigen Stellen aus dem Buch herausführen. Eindeutige Bestimmungen, auch die der jüdischen Inhalte – wie immer die drei Herausgeber:innen oder wir als Leser:innen diese definieren mögen – bleiben mitunter verborgen. Ein Lobgesang auf den Weinberg beispielsweise ist in diesem alphabetisch angelegten Wort-Garten unter dem nicht näher erläuterten Stichpunkt "Dill" zu finden, der im zitierten Text sogar verneint wird: "Kein Dornbusch, kein Dill. / Doch blüht der Rebstock, der Olivenbaum / schlägt aus." (Aus dem Theaterstück Achiman und Schulamith, das 1885 in Warschau mehr als 150 Jahre nach dem Tod des Autors Tobias Kohen gedruckt wurde.) Auch Jurek Beckers literarische Meditation über Bäume erscheint unter einem in seinem Text beinahe zufällig aufgerufenen Stichwort: "Zirbelkiefer". Die "Traube" taucht in alphabetischer Ordnung dann doch noch auf und wird gewürdigt als Frucht, über der man die "Havdala und den Kiddusch-Segen" spricht. Auch dieser Text aus dem frühen 14. Jahrhundert von Imanuel Romano zeugt, wie so viele weitere überraschende Fundstücke, von der akribischen, nicht nur philologischen Arbeit der Herausgeber:innen bzw. Gärtner:innen.
Etwas bedauerlich bleibt, dass in diesem Jahrhunderte umspannenden Garten die kreativen Früchte von jüngeren, heute in Deutschland lebenden Autorinnen und Autoren weitgehend fehlen. Auch sie, viele aus der ehemaligen Sowjetunion stammend, hätten sicherlich viel beizutragen zu diesem "migrierenden Garten". Er ist angelegt von drei Künstler:innen, deren israelische Herkunft und ihre Sympathie gerade auch für arabischsprachige jüdische Autor:innen oder hebräisch schreibende Palästinenser wie Anton Shammas bei der Textauswahl eine tragende Rolle spielen.
AVIVA-Tipp Das Buch zeigt, wie sein Titel klar festhält, einen jüdischen Garten, einen durchaus persönlich angelegten Garten, der jedoch uns alle zum Lustwandeln und Staunen, ebenso wie zum Nachdenken oder Trauern anregt und vielleicht ja auch dazu führt, weitere Gärten zu erfinden.
Ein jüdischer Garten
Herausgegeben von Itamar Gov, Hila Peleg, Eran Schaerf
Hanser Verlag: erschienen 24.11.2022
304 Seiten. Fester Einband
ISBN 978-3-446-27468-6
Preis: 28 €
Mehr zum Buch unter: www.hanser-literaturverlage.de