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Beitrag vom 01.07.2008
Ivana Jeissing - Unsichtbar
Stefanie Denkert
Bis zu ihrem Umzug nach Berlin führte Jane Terry ein bequemes Leben in der Unsichtbarkeit. Nun gerät alles ins Wanken und für die erfolglose Designerin hat der erzwungene Neuanfang sichtbare Folgen.
Invisible Girl, die Quotenfrau im Superhelden-Team "Fantastic Four", erhält durch einen kosmischen Unfall die Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Das wurde zuletzt den Kino-ZuschauerInnen in der Verfilmung des Marvel-Comics ("Fantastic Four 2" mit Jessica Alba) als ´Superpower´ verkauft. Für die Ich-Erzählerin Jane Terry in Ivana Jeissings Debutroman ist ihre Unsichtbarkeit jedoch alles andere als eine Superkraft, es ist ein selbstgewählter Zustand und eine lang gehegte matrilineare Familientradition. Wie ihre Großmutter und Mutter zuvor, nimmt sich die Mittdreißigerin beruflich und persönlich zurück, um ihren Ehemann Peter zu unterstützen. So folgt sie ihm auch anstandslos von London nach Berlin, wo er seine Karriere als Anwalt vorantreiben will. Die studierte Designerin weiß mit sich und der fremden Stadt zunächst nichts anzufangen, also besucht sie täglich das nahgelegene Odeon-Kino und entwickelt dabei eine Freundschaft zu dem gealterten Besitzer Fred Leibowitz.
Die Gespräche mit Fred im Kino, die kurze Begegnung mit einem Unbekannten in einer Picasso-Ausstellung, das Zusammentreffen mit ihrer ehemaligen Kommilitonin Jill Plumhammer, mittlerweile Englands Star-Designerin No. 1, und weitere turbulente Ereignisse bringen Janes festgefahrenes Leben langsam, aber stetig ins Wanken. Auf ihrem Weg in die Sichtbarkeit muss sie sich auch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und stellt dabei fest, dass das Schattendasein neben dem Ehemann bei ihren weiblichen Vorfahren eine lange Tradition hat - lediglich ihre Cousine Melanie sich bisher aufgelehnt. Die studierte Psychologin und Verhaltenbiologin kann wissenschaftlich beweisen, dass die ´ewige Liebe´ maximal drei Jahre dauert und dass "ein Mann mit einer einzigen Ejakulation alle Frauen Europas befruchten könnte". Wozu also der selbstzerstörerische Aufwand, den die Terry-Frauen für ihre Männer - ein evolutionsbiologisch gesehen fast überflüssiges Geschlecht - betreiben?
Nachdem Janes Vater alkoholsüchtig und uneinsichtig in der Psychiatrie gelandet ist, kommt ihre Mutter überraschend aus dem Schatten heraus und blüht vollkommen auf. Als Jane dann auch noch - wie ihre Großmutter - Grund hat, an der Treue ihres Ehemannes zu zweifeln, muss sie sich eingestehen, dass "ein unsichtbares Leben nicht unverwundbar macht, sondern nur ohne einen stattfindet". Eine Erkenntnis mit sichtbaren Folgen ...
AVIVA-Tipp: "Unsichtbar" ist eine wunderbare Erzählung mit emanzipatorischen Charakter, gespickt mit brillanter Situationskomik und oftmals spannend wie ein Krimi. Ivana Jeissing lässt Jane ihre Selbstfindungsgeschichte sowohl bewegend erzählen als auch selbstironisch reflektieren. Das alles macht Jeissings Debutroman so packend, dass frau ihn erst am Ende der letzten Seite weglegen will!
Zur Autorin: Ivana Jeissing wurde 1958 in Österreich geboren und verbrachte ihre Kindheit in Salzburg und Turin. Sie arbeitete viele Jahre als Regisseurin und Creative Directorin, mit dem Ziel, eines Tages doch noch Astronautin zu werden. Heute schreibt und lebt sie glücklich in Berlin. (Verlagsinfo)
Ivana Jeissing
Unsichtbar
Diogenes Verlag, erschienen im Juli 2008
Broschiert, 224 Seiten
ISBN-10: 3257237146
ISBN-13: 978-3257237146
Ca. 8,90 Euro