Eure Ehre - unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord. Von Serap Cileli - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.11.2008


Eure Ehre - unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsehe und Ehrenmord. Von Serap Cileli
Karolin Korthase

Ein erschütterndes, wichtiges Werk über Unterdrückung von Frauen in patriarchisch geprägten Gesellschaften.




"namus" - das ist türkisch und steht für Ehre und gehört damit zu einem der wichtigsten Werte in der türkischen Familien- und Gesellschaftstradition. Serap Çileli, vielen Leserinnen als Autorin des Buches "Wir sind eure Töchter, nicht eure Ehre" bekannt, hat ein neues Werk zum Thema geschrieben. Über die Unterdrückung muslimischer Frauen in patriarchisch gesprägten Gesellschaften, die sich in arrangierten Ehen, Zwangsheiraten, Kopftuchzwang und gar in Ehrenmorden zeigt.

Es ist ihr Lebensthema, denn sie selbst wurde Opfer einer Zwangsehe und häuslicher Gewalt. Nun versucht die Autorin anderen Frauen in Not den Weg zu weisen, sie aufzuklären und das tabuisierte Thema der deutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anhand ihrer eigenen Geschichte und vielen ausgewählten Fallbeispielen zeigt sie, dass die Unterdrückung muslimischer Frauen in Deutschland der Regel- und nicht der Ausnahmefall ist und von der vielbeschworenen Multikulti-Gesellschaft keine Rede sei kann.

Im Gegenteil: Das muslimische Leben spielt sich, laut Çileli, in einer Parallelgesellschaft ab, in der die Erhaltung der Familienehre als das oberste Gebot, unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel, bewahrt werden muss. Schockierend an ihren Berichten ist dabei die Gleichmütigkeit der Mütter, Großmütter und Tanten, die selbst unterdrückt, ihren Töchtern in vielen Fällen nicht beistehen, sondern zu Komplizinnen der Männer werden.

Çilelis Unrechtsempfinden über die untergeordnete Stellung der Mädchen und Frauen in der türkischen Gesellschaft und ihre Wut über beispielsweise die erschütternde Bemerkung eines australischen Imams, der unverschleierten Frauen unterstellt, eine Vergewaltigung zu provozieren, lässt sie allerdings nie zu voreiligen Verurteilungen und Wertungen hinreißen. Das erfrischende und bereichernde an "Eure Ehre – unser Leid" ist ihr Versuch, auch die andere Seite zu verstehen und für das eigentlich unverständliche männliche Verhalten gesellschaftliche Ursachen zu finden.

Sie zeigt, dass auch die Männer eine Last zu tragen haben, dass Söhne ihren Vätern, Brüdern oder Cousins hinterher eifern, weil sie sonst aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Auch macht sie auf die Rolle der Religion aufmerksam, die in Bezug auf den Propheten Mohammed und eine seine Ehefrauen, die 9-jährige Aisha, eine Heirat mit Minderjährigen quasi per religiösem Gesetz legitimiert. Klare und kompromisslose Worte findet sie bezüglich der türkischen Regierungspartei AKP, die versuchte, das Kopftuchverbot aufzuheben und, laut Çileli, eine schleichende Islamisierung des Landes vorantreibt.

Erschütternd ist der letzte Teil des Buches, in dem die Autorin Schicksale muslimischer Frauen wie Zeitungsberichte aneinander reiht. Obwohl das Buch die Phänomene der Zwangsheirat und der Ehrenmorde, die uns Deutschen so fremd sind, begreiflicher machen konnte, drängt sich angesichts der Grausamkeit der Taten das "Warum" auf, das als Antwort nur die Sinnlosigkeit des Geschehenen kennt.

AVIVA-Tipp: Serap Çileli ist es gelungen, ein erschütterndes und berührendes Buch zu schreiben, das durch die Fallbeispiele zugleich anschaulich und durch Exkurse zur türkischen Geschichte, Gesetzgebung und Familientradition erklärend und aufklärend wirkt.

Zur Autorin: Serap Çileli, am 29. Januar 1966 in Mersin, Türkei geboren, kam mit acht Jahren nach Deutschland und wurde mit 15 Jahren in die Türkei zwangsverheiratet. Sie ist eine der ersten Frauen, die sich öffentlich gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen einsetzte und ihre eigene Geschichte publik machte. Für ihr Engagement erhielt sie unter anderem im Jahre 2005 das Bundesverdienstkreuze am Bande. Ende 2007 gründete Serap Çileli den Verein "peri e.V." (deutsch: "Die gute Fee"), der sich für Menschenrechte und Integration stark macht. Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund, die sich in Konflikt- und Notsituationen befinden, können sich an "peri e.V." wenden. Im Internet kann der Verein unter folgender Seite aufgerufen werden: www.peri-ev.de. Heute lebt sie unter anonym gehaltener Adresse im Odenwald.

Eure Ehre – unser Leid
Serap Çileli
Blanvalet Verlag, erschienen September 2008
240 Seiten
ISBN 978-3764503017
14,95 Euro


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Beitrag vom 20.11.2008

AVIVA-Redaktion