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Beitrag vom 27.04.2009
Prof. Dr. Gesine Schwan - Woraus wir leben
Yvonne de Andrés
Gesine Schwan entwirft mit "Das Persönliche und das Politische" im Gespräch mit Christian Geyer ihr politisches Credo. Kurz vor der BundespräsidentInnenwahl im Mai 2009 ist dies eine ...
... Möglichkeit, einen Einblick in Ansichten und Ziele der Professorin für Politische Philosophie zu gewinnen.
Im August 2008 begann Gesine Schwan, sich mit dem Redakteur der FAZ, Christian Geyer, im lauschigen Garten ihres Hauses in Berlin-Zehlendorf für dieses Interviewbuch zu treffen. In entspannter Atmosphäre wurde die Befragung bis Dezember 2008 fortgeführt. Gesine Schwan ermöglicht so persönliche Einblicke in ihr Politikverständnis, das vom polnischen Philosophen Leszek Kolakowski stark beeinflusst ist. Von ihm hat sie übernommen, "ins Offene und Weite", in Möglichkeiten und nicht in Sachzwängen zu denken. Schwan, die sich als Liberale, Konservative und Sozialdemokratin versteht, warnt vor zuviel Staat, weist aber auch darauf hin, dass sich der Staat nicht heimlich aus der Verantwortung des Wohlergehens seiner BürgerInnen verabschieden dürfe. Sie verteidigt den Wettbewerb, kritisiert jedoch den Leistungsbegriff, wenn sich dieser allein dem Konkurrenzdenken verpflichtet. Sie streitet für die Freiheit der Forschung und ist gegen Pseudowissenschaften an den Hochschulen.
Gesine Schwan interpretiert Kolakowski wie folgt und leitet davon ihren eigenen Politik Begriff ab: "Ihm geht es darum, die eigene vorhandene Welt auf die Vielfalt möglicher Welten hin zu sehen. Er fragt, was auch für mein eigenes Fragen wesentlich war: Wie können unterschiedliche Sichtweisen so begrenzen und ergänzen, dass nicht eine von ihnen sich fälschlicherweise für das Ganze ausgibt? Wenn die Philosophie die menschliche Individualität bejaht, so pflegt Kolakowski zu sagen, tut sie das nicht im Namen einer Vorstellung des Einzelwesens als eines selbstgenügsamen Atoms. Denn man kann die Individualität nur bejahen in ihrer Stellung zur Welt, in der Abhängigkeit von ihr und die Verantwortung für sie. Das ist, finde ich, eine sehr tiefe Begründung für das Politische."
Gesine Schwan ist smart in ihren Umgangsformen und kantig in ihren Ansichten. Als bekennende Katholikin und Intellektuelle vertritt sie nicht den Mainstream ihrer Partei. Das macht sie persönlich sehr sympathisch. Ihr nimmt frau ab, dass sie es ehrlich mit Ihrem Anliegen meint. Schade, dass die männliche Parteiriege der SPD dies anscheinend anders sieht.
Zur Autorin: Gesine Schwan geboren 1943 in Berlin, ist Professorin für Politische Philosophie und Mitglied der SPD-Grundwertekommission. Nach dem Abitur 1962 studierte sie Romanistik, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft in Berlin und Freiburg/Breisgau. Dort lernte sie ihren ersten Mann kennen, den Politikwissenschaftler Alexander Schwan. Studienaufenthalte in Warschau und Krakau zur Vorbereitung der Dissertation über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski schlossen sich an.
1971 wurde sie Assistenz-Professorin am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin und habilitierte sich 1975 mit einer Arbeit über die philosophischen und politökonomischen Voraussetzungen der Gesellschaftskritik von Karl Marx. 1977 wurde sie Professorin für Politikwissenschaft, insbesondere für politische Theorie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte waren Politische Philosophie und Demokratietheorien. Von Oktober 1999 bis September 2008 war Gesine Schwan Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Im Januar 2005 übernahm sie das Amt der Koordinatorin der Bundesregierung für die grenznahe und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit mit der Republik Polen.
Gesine Schwan publizierte seit dem Beginn ihrer wissenschaftlichen und politischen Tätigkeit regelmäßig über die ihr wichtigen Themen. Die wichtigsten ihrer jüngeren Publikationen sind: Politik und Schuld. Die zerstörerische Macht des Schweigens (Fischer, 1997), Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945 (Nomos, 1999), Demokratische Politische Identität. Deutschland, Polen und Frankreich im Vergleich (Hrsg., Verlag für Sozialwissenschaft, 2006), Allein ist nicht genug. Für eine neue Kultur der Gemeinsamkeit (gemeinsam mit Susanne Gaschke, Herder, 2007).
Im März 2004 wird Gesine Schwan von SPD und Bündnis 90/Die Grünen als gemeinsame Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin benannt. Bei der Wahl am 23. Mai 2004 unterliegt sie mit 589 zu 604 Stimmen ihrem Gegenkandidaten Horst Köhler. Im Mai 2008 wird sie erneut von der SPD für die am 23. Mai 2009 stattfindende Wahl für das Amt der Bundespräsidentin nominiert.
AVIVA-Tipp: "Woraus wir leben" ist ein leidenschaftliches Bekenntnis für Bügersinn im Gegensatz zu Interessenspolitik und Lobbyismus. Gesine Schwan plädiert gegen die "Erosion der Demokratie" und zeigt auf, dass Veränderung denkbar ist. Mit ihrem Interview möchte sie die Deutschen durchrütteln und Wandel /Change auch in die deutsche Politik bringen. Die sehr persönlichen Statements und Betrachtungen gleiten an mancher Stelle ins professorale Namedropping ab. Dieses Buch ist teil ihrer Bewerbung für das Amt der Bundespräsidentin. Viel Erfolg!
Gesine Schwan
Woraus wir leben
Das Persönliche und das Politische. Im Gespräch mit Christian Geyer
Piper Verlag, erschienen März 2009
Gebunden, 218 Seiten
ISBN: 9783492052788
16,95 Euro
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