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Beitrag vom 09.05.2009
Jutta Ditfurth - Zeit des Zorns
Claire Horst
"Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft" ist der Untertitel des neuen Buches von Jutta Ditfurth, ehemaligem Gründungsmitglied der Grünen. 1991 hatte sie die Partei verlassen, enttäuscht...
... von der Entwicklung ihrer ehemaligen WeggenossInnen.
Dass die Grüne Partei, die aus der außerparlamentarische Öko- und Anti-AKW-Bewegung hervorgegangen war, übergangslos zur Teilnehmerin am politischen Postengeschacher wurde, stieß Ditfurth ab. Von 2001 bis 2008 war sie Frankfurter Stadtverordnete von ÖkoLinX, sie selbst sieht ihre wichtigste Tätigkeit im außerparlamentarischen Engagement als Aktivistin, Autorin und Journalistin.
Jutta Ditfurth scheut keine öffentliche Auseinandersetzung und hat sich mit ihrer unverblümten Kritik rot-grüner Politik die Feindschaft vieler früherer FreundInnen erworben. Diese emotionale und direkte Haltung zeichnet auch ihr Buch "Zeit des Zorns" aus, zu seinem Vor- und Nachteil gleichermaßen. Das Buch ist stark geprägt von der Wut der Autorin über die Rückwärtsentwicklung nicht nur der deutschen, sondern der globalen Politik. In der Weltwirtschaftskrise sieht sie im Gegensatz zu der Darstellung in vielen Medien nicht die Folge unmoralischer Auswüchse eines "Raubtierkapitalismus". Stattdessen ist die Krise für Ditfurth ein Konstrukt, das zur Legitimation der Einschränkung mühevoll errungener Bürgerrechte benutzt wird.
Wohltuend ist es allemal, Ditfurths Zurückweisung der geliebten Thesen von den "raffgierigen Managern", den "verantwortungslosen Bankern" zu lesen – diese setzen voraus, es gebe einen guten und einen schlechten Kapitalismus. Neu ist das allerdings nicht. Das Motto "Der Kapitalismus ist die Krise" bestimmt schon seit geraumer Zeit sämtliche politischen Demonstrationen.
Das Ziel der Autorin ist es aber wohl, auch diejenigen Menschen zu erreichen, die (noch) nicht politisch aktiv sind – und die sich bislang in ihr Schicksal fügen. Dass Deutschland als eins der reichsten Länder der Welt beständig seine Arbeitslosenstatistik schönen muss, dass ArbeitnehmerInnenrechte zunehmend eingeschränkt werden, dass global gesehen Armut und Ungerechtigkeit nicht ab-, sondern zunehmen, regt Ditfurth immer noch auf – und sie will damit auch andere aufregen.
Die Autorin kritisiert die Perfidie, mit der BürgerInnen ruhiggestellt würden: "Damit die sozialen Probleme in Deutschland nicht zum Aufstand führen, muss versucht werden, die Folgen der Krise in andere Teile der Welt, vor allem in den Trikont, die drei unentwickelt gehaltenen Kontinente Afrika, Asien und Lateinamerika – die sogenannte Dritte Welt – zu verschieben. Falls das nicht gelingt, müssen die Betroffenen zur Ruhe gebracht werden." Zu diesem Zweck werden der Autorin zufolge fünf Instrumente eingesetzt: Die "Befriedung" durch Billigkonsum, die "Propaganda" durch Ablenkung und Desinformation, die "Überwachung und Bespitzelung", die "Repression" gegen Menschen, die sich dagegen wehren, und die "Militarisierung".
Für alle diese Mechanismen führt Ditfurth überzeugende Beispiele an. Sie zeigt etwa den Zusammenhang zwischen dem Abbau von Arbeitsplätzen und der Abspeisung von Menschen mit Almosen (ein Kind erhält nach Hartz IV- Gesetzgebung unter 3 Euro für die tägliche Ernährung) mit der globalen Ausbeutung. Wer bei Aldi und Kik zu Niedrigpreisen einkaufen und dann vor dem Fernseher zusehen kann, wie Angehörige der sogenannten "Unterschicht" aufeinandergehetzt werden, bemerkt weder die schlechte Qualität der Waren noch die Bedingungen, unter denen sie in der "Dritten Welt" hergestellt werden.
Ähnliches gilt für die Außenpolitik der EU – in welchen Ländern interveniert wird, wird natürlich vom wirtschaftlichen Interesse bestimmt. "Die kriegführenden Staaten exportieren ihre ´humanitären´ Interventionen keineswegs überall dorthin, wo Menschen überfallen und gequält werden. Das Land muss geostrategisch und ökonomisch interessant sein, so wie der Balkan oder Zentralasien. Offensichtlich nachteilig ist es, wenn die Betroffenen in den Augen der ´Weißen´ ein ´schwarze´ Haut haben und afrikanischer Herkunft sind".
Die Kritik an diesem Buch gilt demselben Element, das positiv hervorzuheben ist: der Verständlichkeit. Zwar wird jeder Leser, jede Leserin, überzeugt sein von den Argumenten Ditfurths. Aufgrund der populistischen Diktion und der polemischen Seitenhiebe auf einstige GefährtInnen wirkt das Buch jedoch streckenweise wie eine persönliche Abrechnung mit politischen GegnerInnen. Damit nimmt Ditfurth sich selbst die Glaubwürdigkeit – was schade ist, denn sie hat viel zu sagen. Die von ihr dargestellten Zusammenhänge sind viel zu komplex, als dass sie "Einzeltätern" wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder anzulasten wären.
Ditfurth will einen Anstoß zum Handeln geben, um ein utopisch klingendes Ziel zu erreichen: "So ist ein menschenwürdiges Leben für alle nur in einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit und Kapital vorstellbar, wenn die Banken überflüssig geworden sind und das Geld keine Rolle mehr spielt, wenn die innere Qualität der Ware entscheidet und das Design sekundär ist, wenngleich nicht belanglos."
Eine Idee, wie das zu erreichen ist, hat sie auch: "Es gilt der alte Dreiklang: Theorie, Aktion, Organisation. Nach geschlagenen Schlachten [...] kommt meist ein Wellental, eine große Erschöpfung. [...] Manche Menschen steigen dann aus und bilden sich ein, alles sei vorbei. Dabei ist es die Zeit zum Atemholen, zur Analyse, zur Vorbereitung des nächsten Angriffs." Zur Durchführung dieses Angriffs plädiert sie dafür, möglichst breite Allianzen zu schaffen statt sich auf das eigene Milieu zu beschränken – eine klare Ansage an die Linke, in der ihre Thesen schon längst bekannt sein dürften. So erklärt sich vielleicht auch ihre allzu populistische Darstellung: auf diese Weise erreicht sie möglichst viele LeserInnen. Etwas platt klingt dann ihre Aussage: "Es muss ja nicht auf ewig so sein, dass Menschen, die dem Kapitalismus die Harke zeigen wollen, nur deshalb nicht zusammenkommen, weil sie unterschiedliche Musik hören. O.K, es gibt Grenzen der Toleranz: Deutsche Volks- und Marschmusik sind auf ewig ausgeschlossen." So einfach ist es dann doch nicht.
AVIVA-Tipp: Jutta Ditfurths Buch ist eine stringent geschriebene Zusammenfassung der antikapitalistischen Kritik an der modernen Weltordnung. Sie zeigt Zusammenhänge auf, die Wut auslösen sollen – und es hoffentlich auch tun. Über die allzu vereinfachenden Passagen muss dann eben hinweggelesen werden. Informativ ist das Buch definitiv, ihre Thesen untermauert Ditfurth mit vielen Zahlen und Beispielen. Dass die wirklich zündende Idee zum Umsturz fehlt, ist ihr natürlich nicht vorzuwerfen – das wäre zu viel verlangt. Dem Buch sind viele LeserInnen zu wünschen – eine kritischere Haltung großer Teile der Bevölkerung wäre schon ein erster Schritt.
Zur Autorin: Jutta Ditfurth, geboren 1951, lebt in Frankfurt am Main. Publizistin und politische Aktivistin in neuen sozialen Bewegungen (u.a. Mitbegründerin der Grünen und Bundesvorsitzende von 1984-1988) und in der "Ökologischen Linken", Mitglied des Frankfurter Stadtparlaments für "ÖkoLinX". Autorin zahlreicher Bücher, u.a. "Rudi und Ulrike. Geschichte einer Freundschaft" (2008), "Ulrike Meinhof. Die Biographie" (2007), "Durch unsichtbare Mauern. Wie wird so eine links?" (2002), "Die Himmelsstürmerin" (Roman 1998).
Die Autorin im Netz: www.jutta-ditfurth.de
Jutta Ditfurth - Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft
Droemer Sachbuch, Erscheinungstermin 05.05.2009
Klappenbroschur, 272 Seiten
16, 95 Euro
ISBN 978-3-426-27504-7
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