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Beitrag vom 02.06.2009
Darina Al-Joundi, Mohamed Kacimi - Der Tag, an dem Nina Simone aufhörte zu singen
Claire Horst
Darina Al-Joundi spielt seit ihrem achten Lebensjahr Theater. Aus ihrem ersten selbst verfassten Stück "Le jour où Nina Simone a cessé de chanter" ist jetzt ein Roman entstanden.
Die im Libanon geborene und heute in Paris lebende Al-Joundi erzählt darin von ihrer Kindheit und Jugend im kriegszerstörten Beirut. Vor allem jedoch ist es eine Liebeserklärung an ihren verstorbenen Vater.
Ganz anders als im Libanon üblich, war dieser – ein politischer Flüchtling aus Syrien – der Meinung, dass Mädchen alle Rechte haben sollten, die Jungen auch zustehen. Darina und ihre beiden Schwestern besuchen christliche und jüdische Schulen, dürfen Alkohol trinken und rauchen. Darinas siebten Geburtstag feiert der Vater mit ihr, indem er sie betrunken macht. Gegenüber dem Großvater rechtfertigt er sich: "Ich mache keine Huren aus ihnen, Großpapa, ich mache sie zu freien Frauen." Spätestens hier wird deutlich, dass Al-Joundis Schilderung ihrer Kindheit hauptsächlich zu ihrer Selbstinszenierung und zur unkritischen Beweihräucherung ihres Vaters dient: Das Verhalten ihres Vaters deutet sie immer als Erziehung zur Freiheit.
Ihr literarisches Ich beschreibt sie als wild und unabhängig: "Ich hasste es, Mädchenkleidung zu tragen. Mein schwarzes Haar hatte ich stets ganz kurz geschnitten. Ich sah aus wie ein Straßenjunge. [...] Meist war ich völlig verdreckt, weil ich ständig Heuschrecken fing." Manchmal wirkt ihr Bemühen, ihre Wildheit darzustellen, allerdings etwas angestrengt. Ob eine Vorschülerin tatsächlich ins Weihwasserbecken pinkelt, um sich für den Ausschluss aus dem Religionsunterricht zu rächen? Ihre selbstherrliche Selbstdarstellung ist streckenweise beinahe peinlich, etwa als sie und ihre Schwester bei einer Fernsehsendung mitwirken. Beide lernen ihre Texte schnell auswendig: ihre Schwester, weil sie eine Streberin ist, Darina selbst, weil sie ein phänomenales Gedächtnis hat.
Als der libanesische Bürgerkrieg ausbricht, bemerkt Darina zum ersten Mal, dass sie einer bestimmten religiösen Gruppe angehört. Ihr Vater war immer bemüht gewesen, seine Töchter atheistisch zu erziehen: "Meine Töchter, solange ich lebe, will ich keine von euch jemals den Hintern betend in die Luft strecken sehen, und noch weniger will ich euch je im Ramadan Hunger leiden sehen." Die Meinung ihrer katholischen Lehrerin ist eine ganz andere: Als sie erfährt, dass Darina Muslima ist, wird diese vom Religionsunterricht ausgeschlossen. Wie ihr Vater lehnt Darina von nun an jede Religion ab.
Die Familie flieht während des Bürgerkriegs nach Bagdad, wo einer der engsten Freunde des Vaters ein gewisser "Salem" ist – später erfahren die Mädchen, dass es sich um Ilich Ramirez Sánchez handelt, den später als "Carlos" bekannt gewordenen Terroristen. In solchen Momenten verwundert die scheinbar naive Darstellung des Geschehens etwas. Darinas Vater schreibt die Biografie von Carlos – den auch Darina bewundert. Dass auf Carlos´ Konto zahlreiche Terroranschläge gehen, stört dann nicht weiter. Ebenso störend ist, dass über Israels Angriffe auf den Libanon vollkommen einseitig berichtet wird – dass etwa dem Eindringen der israelischen Armee 1982 der Küstenstraßen-Anschlag mit 35 Toten voranging, erwähnt die Autorin nicht.
Aus Al-Joundis Roman spricht vor allem eins: eine alles überstrahlende Liebe zu ihrem Vater. Seine ständige Abwesenheit, seine vielen Affären im In- und Ausland erwähnt sie zwar, sieht aber keinen Widerspruch zu seinem angeblichen Eintreten für die Emanzipation der Frauen. Denn die Mutter ist es, die sich währenddessen um die beiden Töchter kümmert. Ihre Mutter spielt für Darina eine untergeordnete Rolle. Über Sex, ihre Drogenerfahrungen und ihre Gefühle spricht Darina nur mit dem Vater. Anders als dieser versteht der Rest der Familie nicht, warum sie sich nach Freiheit sehnt. Nach dem Tod des Vaters wird Darina von der Familie in die Psychiatrie eingeliefert – zum Glück gelingt ihr die Emigration.
AVIVA-Fazit: Zwiespältig. Einerseits erlaubt der Roman einen seltenen Einblick in das Leben im Libanon der 1970er Jahre, fernab von Religiosität und Tradition. Andererseits nervt die ständige Selbstdarstellung der Autorin als freie, unabhängige und ihrer gesamten Umgebung überlegene Person schnell.
Zu der Autorin: Darina al-Joundi, 1968 in Beirut geboren, trat seit ihrer Kindheit als Schauspielerin auf. Heute lebt sie in Paris. Ihr Buch "Der Tag, an dem Nina Simone aufhörte zu singen" basiert auf ihrem gleichnamigen Theaterstück, das in Frankreich zur Sensation wurde.
Weitere Infos und Kontakt: www.darina-al-joundi.com
Darina Al-Joundi, Mohamed Kacimi
Der Tag, an dem Nina Simone aufhörte zu singen
Originaltitel: Le jour où Nina Simone a cessé de chanter
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 160 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann, erschienen Mai 2009
ISBN: 978-3-570-01105-8
14,95 Euro
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