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Beitrag vom 05.10.2009
Claire Lenkova - Grenzgebiete. Eine Kindheit zwischen Ost und West
Claire Horst
Im Juli 2008 erschien eine schockierende Studie der FU Berlin zum Wissen deutscher SchülerInnen über die DDR. So wusste kaum jemand, wer die Mauer gebaut hat. Im Osten der Republik sind die...
... Bildungslücken sogar noch größer als im Westen. Dass in beiden Teilen des Landes fast 70 Prozent der SchülerInnen meinen, die DDR werde zu wenig im Unterricht behandelt, ist da nur folgerichtig.
Die Graphic Novel der Zeichnerin und Illustratorin Claire Lenkova kann da vielleicht Abhilfe schaffen. Auf der Grundlage ihrer eigenen Biographie schildert Lenkova das alltägliche Leben in der DDR.
"Mein Bruder und ich haben einen Lieblingsplatz auf einem Berg zwischen Bayern und Thüringen. Das ist der Generalsblick. Er liegt im alten Grenzgebiet zwischen West- und Ostdeutschland. Als wir kleiner waren, waren wir hier oft auf Abenteuersuche."
Im Gespräch mit ihrem kleinen Bruder, der sich an die DDR kaum noch erinnern kann, ruft sich Jana, die Ich-Erzählerin, den Alltag in der DDR zurück. Der Wechsel zwischen Jetztzeit, in der Jana und ihr Bruder in ihrer Kuhle auf dem "Generalsblick" sitzen und picknicken, und der Kindheit, wird nachvollziehbar durch die sehr klar und plastisch gezeichneten Bilder. Die Erzählsituation ist dabei realistisch gestaltet: "Wie unsere Kuhle wohl entstanden ist? - Vermutlich durch eine Minenexplosion. Das war hier doch früher alles Grenzgebiet! - Stimmt ja! Und jetzt sitzen wir hier einfach herum und grillen! - Kannst du dich eigentlich noch an die DDR erinnern? - Nee, fast gar nicht. Erzähl mir doch davon, bis die Würstchen fertig sind!"
Das Leben einer christlichen Familie im real existierenden Sozialismus, die sich staatlichen Regelungen wie dem Beitritt zur FDJ und dem Wehrdienst verweigert, stimmt sicherlich auch Jugendliche nachdenklich, die – wie aus der genannten Studie hervorgegangen – ein glorifizierendes DDR-Bild haben. Die persönliche Familiengeschichte wird ergänzt durch farblich abgehobene Erläuterungen eines Historikers. Diese beziehen sich auf Bereiche wie Schule und Kindergarten, das Freizeitverhalten Jugendlicher, Konsum, aber auch auf das Strafsystem und die Krankenversorgung. Streckenweise entsteht der Eindruck, dass hier gezielt einer Verherrlichung des Sozialismus entgegengewirkt werden soll. Dass die Krankenversorgung kostenlos war, muss dann sofort mit dem Kommentar "häufig ist die Technik in den Krankenhäusern veraltet" abgeschwächt werden.
AVIVA-Tipp: Insgesamt ist "Grenzgebiete" durch den persönlichen Zugang ein sehr gelungenes Buch mit liebevoll gestalteten Zeichnungen, an denen auch Erwachsene Freude haben können. Einen kleinen logischen Fehler hat die Graphic Novel allerdings: Die Geschwister, die sich an ihre Kindheit in der DDR erinnern, sind zur Jetztzeit immer noch Kinder. Sind denn seit der Wende nicht 20 Jahre vergangen?
Zur Autorin: Claire Lenkova, geboren in Zwickau, kam 1989 kurz vor dem Mauerfall mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Bayern. Sie studierte an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg Illustration und arbeitet heute als Comiczeichnerin, Künstlerin, Grafikdesignerin und Illustratorin. Ihre Bildergeschichten und Illustrationen erscheinen u.a. in Die Zeit, Frankfurter Rundschau und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und in verschiedenen Anthologien. (Verlagsinformationen)
Weitere Informationen zur Studie der FU Berlin finden Sie unter: www.fu-berlin.de
Claire Lenkova
Grenzgebiete. Eine Kindheit zwischen Ost und West
48 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-8369-5247-7
14,90 Euro