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Beitrag vom 05.10.2009
Isadora Tast - Mother India. Searching for a Place
Claire Horst
Einen Platz in Indien haben alle Personen gefunden, die Isadora Tast in ihrem großartigen Bildband portraitiert. Herkunft und Beweggründe sind unterschiedlich, doch eins haben sie alle gemeinsam ...
... in Indien sind sie jetzt zu Hause.
Die Fotografin Isadora Tast hat sich als Spezialistin für das Portraitformat erwiesen. Schon 1999 reiste sie mit einem ASA-Stipendium nach Südafrika, um dort FarmarbeiterInnen zu fotografieren. Ihre Portraitarbeit "Schmerzlich-süße Zeit" über Jugendliche in der Pubertät wurde mit dem Kodak Nachwuchsförderpreis 2001 und dem BFF-Förderpreis 2002 ausgezeichnet. Die Arbeit an dem vorliegenden Bildband wurde durch ein Stipendium der VG Bild-Kunst finanziert.
Drei Jahre lang hat Tast an den Portraits gearbeitet. Drei Mal reiste sie nach Indien, um ihre ProtagonistInnen aufzuspüren und kennen zu lernen. Denn der Band umfasst nicht nur die fotografische Darstellung der Personen, sondern stellt sie auch in Kurztexten dar. Der großartig gestaltete Band wird ergänzt durch einen Essay des Autors und Reisejournalisten Christian Schüle, der das Motiv und die gesellschaftliche Bedeutung des Aussteigens analysiert.
"Niemand kann besser Auskunft geben über den Zustand einer Gesellschaft als der, der aus ihr aussteigt. In der Art des Ausstiegs und der Weise der Reaktion darauf lässt sich das Wertesystem eines Gemeinwesens ablesen. Der Aussteiger ist die Rache der Gesellschaft an sich selbst." Tast und Schüler nehmen den AussteigerInnen den Ruf der Lebensflüchtigen. Im Gegenteil sehen sie in ihnen Menschen, die eine bewusste und mündige Entscheidung für ein selbstbestimmtes Leben getroffen haben. "Besteht denn die höchste Form der menschlichen Freiheit nicht darin, sich von nichts und niemandem gehindert für ein neues Koordinatensystem entscheiden zu können, zu gehen, wann man will, wohin man will?"
Diese "letzten Freigeister", portraitiert von Isadora Tast, kommen aus westeuropäischen Ländern wie England, Deutschland und der Schweiz, aus Neuseeland, Kanada und Israel, aber auch aus Mexiko, der Ukraine, aus Russland und Serbien. Viele von ihnen interessieren sich für das spirituelle und religiöse Erbe Indiens, lernen und unterrichten Yoga oder leben in Gemeinschaften wie Auroville oder mit der Hare-Krishna-Gemeinde. Die Fotos zeigen sie an ihren Wohn- oder Arbeitsplätzen.
Tast zeigt die Personen mit großer Würde und Offenheit. An keiner Stelle werden sie ironisiert oder verklärt. Die Fotos vermitteln den Eindruck, dass die Künstlerin sich den dargestellten Personen annähern konnte und ihr Vertrauen gewonnen hat, so entspannt und gelöst stellen diese sich dar.
Im Anhang sind Ausschnitte aus den Gesprächen angefügt, die Tast mit den Menschen geführt hat. Auch diese geben Auskunft über die Motivation, in Indien zu leben. Religiöse Gründe können das sein, der Wunsch, frei von den Zwängen der Arbeitswelt zu leben, oder einfach die Idee, hier einen kurzfristigen Aufenthalt zu haben.
Dennoch bleiben einige der Aussagen befremdlich. "Ich bin 1,80 Meter groß, sehr groß, und dann in Indien… Oh mein Gott, die sind so klein und so plump" – bei solchen Aussagen vermittelt sich der Eindruck, der Kolonialismus sei doch noch lange nicht beendet.
Schüle zieht in seinem Essay Parallelen zwischen den Motiven moderner AussteigerInnen und denen der europäischen RomantikerInnen, die es ebenfalls in die Ferne zog. Auch mit den afrikanischen Flüchtlingen, die auf eine neue Heimat in Europa hoffen, vergleicht er die WahlinderInnen. Dabei stellt er fest, dass AussteigerInnen im Gegensatz zu Flüchtlingen keinem Imperativ folgen. "Der Aussteiger verzichtet auf das, was der Flüchtling erhofft. Er ist nicht Opfer der Umstände, sondern ihr Gestalter." Dieser Vergleich wirkt allerdings etwas zynisch angesichts der vollkommen unterschiedlichen Hintergründe – hier oft Hunger und Kriegserfahrung, dort Neugier und ein Gefühl der inneren Leere.
Beim Lesen der Interviews stellt sich manchmal die Frage, wie ein derart selbstbestimmtes, sogar selbstbezügliches Leben möglich ist. Wie schafft ein Mensch es, sich derart von der Welt um sich herum zu lösen? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Ein größeres Interesse an den Menschen in Indien ist nur bei wenigen von ihnen herauszuspüren. Und das ist wohl die besondere Erkenntnis, die die Portraits mit sich bringen: Diese Menschen sind gar nicht auf der Suche nach einem Ort, sondern einzig und allein auf der Suche nach sich selbst. Dass viele von ihnen dabei fündig geworden sind, ist natürlich großartig.
AVIVA-Tipp: Isadora Tast zeigt sich als feinfühlige Fotografin mit einem guten Gespür für fesselnde Motive. Dass sie sich nicht auf diese beschränkt, sondern sich für die Hintergründe interessiert, macht den Bildband umso interessanter.
Zur Autorin/Fotografin: Isadora Tast studierte Foto-Design an der Fachhochschule Bielefeld und arbeitete anschließend als Fotoassistentin in Hamburg. Seit 2002 ist sie selbständige Fotografin. Für ihre Arbeiten wurde sie mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
Weitere Infos und Kontakt:
www.isadoratast.de
Isadora Tast
Mother India - Searching for a Place
Mit einem Essay von Christian Schüle
Peperoni Books
144 Seiten, 47 Farbabbildungen, Hardcover, deutsch / englisch
ISBN 978-3-941825-00-0
38 Euro