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Beitrag vom 19.01.2010
Doris Peter - SOFIA - Auf Offener Strasse
Claudia Amsler
Hoffnungsvolle Blicke, sehnsüchtige Augen, ein glückseliges Lächeln. Menschen in Bewegung und einzelne Personen, die wie versteinert wirken. Eine Stadt und ihre BewohnerInnen verändern sich...
... jeden Tag, jedes Jahr aufs Neue und doch gibt es Dinge, die bleiben.
Berlin 1990. Die Schweizer Fotografin Doris Peter steigt in den Zug nach Sofia. Sie weiß nicht viel über diese Stadt, nur soviel, dass Sofia die Hauptstadt von Bulgarien ist. Dort angekommen, findet sie eine Stadt im politischen Umbruch vor. Viele Menschen verkaufen Lebensmittel oder sonstige Dinge auf der Straße, um durch zu kommen - um zu überleben. Etwa 80% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, doch die SofianerInnen sind gleichwohl reich. Reich an Würde und Stolz.
Doris Peter fotografiert diese Menschen auf "offener Straße" und lässt sie selbst zu Wort kommen. Die Künstlerin war so fasziniert und berührt von den BewohnerInnen und ihrer Lebenssituation, dass sie bis 2001 immer wieder in die bulgarische Hauptstadt fuhr, fotografierte und dokumentierte.
Die Schweizerin vereint nun die über 200 Fotografien und Statements von ZeitzeugInnen in einem Buch. Ein Fotobildband, der elf Jahre Geschichte von Sofia präsentiert. Es sind meist persönliche Bilder, die individuelle Standpunkte vertreten. Doch durch die Differenziertheit und Vielzahl der unterschiedlichen Fotografien kann sich frau ein Bild von der Situation und den Veränderungen der Hauptstadt und der Bevölkerung machen.
So wird frau durch Bild und Wort nicht nur die Geschichte der einzelnen Personen näher gebracht, sondern auch die Historie von Sofia. Die Stadt, welche die ersten Protestdemonstrationen gegen das herrschende und kommunistische Regime durchführte, welche als Symbol der "Blauen Idee" galt. Dennoch konnte sich die Demokratie lange Zeit nicht durchsetzen und so führte die unstabile politische Situation in den 1990er Jahren zu schwierigen Lebensbedingungen. Doch auch nach den großen politischen Machtkämpfen 1997 scheint die Stadt immer noch im Übergang zu sein.
Diese Umwälzungen und Erneuerungen sind in den Fotografien wieder zu finden, so tauchen in den Bildern ab 1998 Markennamen wie Electrolux, Kodak oder auch Milka auf. Frau bemerkt die Öffnung zum Westen und doch stehen diese Abbildungen stets im Kontrast zu den "Pilgerstationen" wie dem Gratis-Quellwasser oder dem Milchladen, der bereits um sechs Uhr früh eine unendlich erscheinende Menschenschlange versorgen muss.
So unterschiedlich die Gebäude und Situationen auf der Straße sind, so differenziert sind auch die Menschen: Von "Anka, 46, Putzfrau" über "Bodgan, 38, Kunstmaler und Freischaffender Werbegrafiker" hin zum "13-jährigen Schulmädchen" und doch beginnen die Texte oft mit denselben Worten: "Ich bin in Sofia geboren und habe immer hier gelebt." Es scheint fast so, als ob diese Stadt eine größere Erdanziehungskraft hätte, welche die Menschen nicht fortgehen lässt - sie auf bulgarischen Boden festhält. Diese Anziehung wirkt jedoch nicht erzwungen, vielmehr wollen die BewohnerInnen in Sofia bleiben, wollen nicht weggehen, sind trotz sehr schweren Verhältnissen zufrieden.
Die Schwarz-Weiß Fotografien mit leichtem Sepia Touch lösen jedoch nicht Glücksgefühle aus, frau beginnt zu reflektieren. Sätze wie "Ich habe viele Ziele, aber das Leben lässt es nicht zu." oder "Ich weiss nicht so recht, inzwischen ist die ganze Welt auf die schiefe Bahn geraten." stimmen nachdenklich, frau bleibt förmlich an den Gesichtern der Fotografien kleben, denn sie erzählen so Vieles - oft traurige Schicksale. "SOFIA - Auf Offener Strasse", ist kein gewöhnlicher Fotobildband, den frau mal schnell durchblättern kann, denn nicht nur die Texte, sondern auch jedes einzelne Bild erzählt eine ganze Geschichte - ein ganzes Leben, das berührt.
AVIVA-Tipp: Das einmalige Zeitzeugnis von Doris Peter zeigt die BewohnerInnen von Sofia in verschiedenen Lebenssituationen: Im Alltäglichen Sein, bei der Arbeit, beim Einkauf, auf der Straße. Die Armut der Stadt wird ersichtlich, jedoch verweist Doris Peter nicht speziell auf diese, will diese nicht anprangern, vielmehr liegt ihr Interesse im Abbilden der einzelnen Menschen. "SOFIA - Auf offener Strasse" wirft schlussendlich auch die Frage auf, wieso Begriffe wie Würde und Stolz in der westlichen Kultur, die bekanntlich "alles" besitzt, vom Aussterben bedroht sind.
Zur Künstlerin: Doris Peter Nach der Ausbildung zur Fotografin in Zürich, Schweiz, begann Doris Peter (geboren1967) ihre Reisen in verschiedene Länder und Städte. Dabei widmet sie ihre fotografische Tätigkeit immer dem gleichen Thema: den Menschen. Nicht den Reichen und so genannten Erfolgreichen gehört ihre Aufmerksamkeit, sondern den kleinen Leuten. Menschen, deren Leben oft ein Kampf ums tägliche Überleben ist. Doris Peter lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. (Quelle Verlagsinformation)
Mehr Infos finden Sie unter: www.ulpi.com
Veranstaltungshinweis: Freitag, 29. Januar 2010, 19.00 Uhr
Buchvernissage "Sofia - Auf offener Strasse 1900-2001" von Doris Peter
Die in Berlin lebende Schweizer Fotografin Doris Peter dokumentiert mit ihren Schwarzweiß-Fotografien die Veränderung der Bulgarischen Hauptstadt und ihrer BewohnerInnen. Menschen, die sich den neuen Umständen anpassen und sich neu positionieren müssen, für viele ein täglicher Kampf ums Überleben. Die Fotografin vermittelt mit ihren Bildern einen gefühlvollen und teilnehmenden Blick auf Sofia und seine Menschen. Dieser eindrückliche Fotoband mit Schilderungen von ZeitzeugInnen ist ein einmaliges Zeitdokument. Doris Peter wird an der Buchpräsentation anwesend sein.
Veranstaltungsort: Bulgarisches Kulturinstitut
Leipziger Straße 114-115
10117 Berlin
Weitere Infos finden Sie unter: www.ulpi.com
Doris Peter
SOFIA - Auf Offener Strasse
Dreisprachig (Bulgarisch, Englisch, Deutsch)
Ulpi Verlag, erschienen 2009
Gebunden, 356 Seiten
ISBN-13: 978-3-00-029204-0
39,90 Euro